Es handelt sich um erfahrene Unparteiische, Schiedsrichter und ihre Assistenten. Alle sind in den beiden Profiligen des Schweizer Fussballs tätig. Sie sprechen anonym und in einem klar definierten Rahmen mit den Redaktionen von watson in der Deutschschweiz und der Romandie. Sie betonen es immer und immer wieder: «Wir sind alle begeisterte Fans. Wir lieben den Fussball und das Schiedsrichterwesen.» Aber diese Leidenschaft hat einen Preis, den sie allmählich als zu hoch empfinden: «Unser Leben besteht nur noch aus Stress. Beim Fussball, bei der Arbeit, zu Hause.»
Neben einer gewissen Überanstrengung betonen die Schiedsrichter auch eine mentale Ermüdung, die im Gegensatz zu Spielern nicht berücksichtigt wird. «Von uns wird eine tadellose Leistung erwartet. Keine Fehler. Kein Versagen. Wir stehen unter einem kranken Druck.»
«Wenn wir die Spiele beenden, pfeifen wir aus dem letzten Loch. Aber wir haben keine Pause. Nach dem Abpfiff hat man nur noch einen Gedanken im Kopf: Am nächsten Tag muss man wieder arbeiten. Dann kommen wieder andere Sorgen und Verantwortungen.»
Ein Schiedsrichter der Challenge League merkt an, dass «der Druck in dieser Saison mit zwei automatischen Aufsteigern ein Rekordniveau erreicht hat.» Fünf Vereine haben aufsteigen wollen und alle seien gereizt gewesen. «Vom FC Sion ganz zu schweigen.»
In der Super League ist es auch nicht viel anders. «Die Vereine schicken jede Woche Briefe an unsere Chefs. Sie verlangen Stellungnahmen zu allem. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass wir im Zentrum der Kritik stehen, aber diese Saison war es etwas Besonderes. Einige Klubs haben Woche für Woche starken Druck ausgeübt.»
Ein Schiedsrichter erinnert daran, dass «die Spieler nach einem Spiel verhätschelt, gefüttert und massiert werden». Sie hätten Zeit, sich zu erholen. Die Schiedsrichter hingegen tauchen sofort in ein anderes Leben ein. Sie «arbeiten im Zug» und versuchen, «ein bisschen Schlaf zu bekommen». Sie sind «völlig fertig». Für die ist klar: Dieser Rhythmus ist so nicht mehr tragbar.
Wir treffen einen Schiedsrichter, der 42'000 Franken im Jahr verdient. Er erzählt uns von einem hybriden Status Halbprofi, und einem unruhigen und ungeordneten Leben. «Wenn du in der Schweiz Schiedsrichter bist, muss deine Frau arbeiten. Im Ausland sind die Väter vielleicht weniger oft zuhause, aber wenigstens fehlt es ihren Familien an nichts.»
Denn in der Schweiz werden die Vergütungen eher nach unten korrigiert. Ein Schiedsrichter-Assistent erhält rund 20 Prozent weniger Lohn, bei gleichem Aufwand auf dem Spielfeld. Alle beklagen Lohndruck und Einsparungen bei den laufenden Kosten, während die Anforderungen steigen.
Die Schweiz hat:
Diese Entlöhnung deckt alle persönlichen Ausgaben des Schiedsrichters: Training, Fitnessabonnement, Teilnahme an Kursen des Schweizerischen Fussballverbands (SFV), Massagen, Regenerationsprodukte etc.
Zum Grundgehalt kommt eine Entschädigung für jedes Spiel hinzu.
In der Super League (CHF):
1170.- für den Hauptschiedsrichter
520.- für die Assistenten
420.- für den 4. Offiziellen
670.- für den VAR-Chef
420.- für die VAR-Assistenten
In der Challenge League (CHF):
670.- für den Hauptschiedsrichter
320.- für die Assistenten
170.- für den 4. Offiziellen
Alle Schiedsrichter der Swiss Football League erhalten weiterhin ein Generalabonnement der 1. Klasse sowie eine Pauschalentschädigung von 80 Franken pro Spiel. Ist das im internationalen Vergleich zu wenig, wenn man die Einnahmen aus dem Fussball betrachtet? Ist das zu wenig für diese Stufe der Verantwortung? Für die aufgewendete Zeit und Energie? Unsere Gesprächspartner sehen das so.
In der Regel rechnen Schiedsrichter mit zehn Stunden für ein Spiel, das einigermassen in der Nähe stattfindet. Es kommt aber auch vor, dass sie sich den Wecker um 4.30 Uhr stellen, um sechs Stunden von zu Hause entfernt zu eine Partie zu leiten, und erst am nächsten Tag mit dem ersten Zug nach Hause fahren.
Um auf diesem Niveau Schiedsrichter zu sein, müsse man zudem mindestens viermal pro Woche trainieren. Da gehe es nicht um etwas Joggen im Wald, sondern um hartes, ernsthaftes Training von etwa zwei Stunden.
Die Schiedsrichter, mit denen wir sprechen, machen pro Saison etwa 40 Spiele, einschliesslich der Einsätze als VAR. Aber sie sprechen von Kollegen, die mehr als 50 oder 60 Spiele pro Saison leiten. Ein anderer Schiedsrichter hat gerade acht Spiele in elf Tagen absolviert.
Hinzu kommen noch Sitzungen und Kurse, darunter jeden Dienstag eine 15- bis 30-minütige Videokonferenz, in der strittige Aktionen vom Wochenende nachbesprochen werden.
Diese Tätigkeit lässt sich nur schwer mit bestimmten Berufen oder Funktionen vereinbaren. Die Konsequenz:
Ein erfahrener Schiedsrichter stellt fest, dass alle Investitionen in die Technologie (VAR, Torlinientechnologie) auf Kosten der Menschen zu gehen scheinen. Das bedeutet, dass auf der einen Seite Mittel hinzugefügt werden, um sie auf der anderen Seite wieder wegzunehmen. «In der Super League wird eine neue Abseits-Technologie eingeführt. Das ist teuer.» Auf Kosten der Schiedsrichter?
Ihre Arbeit, so sagen die Unparteiischen im Gespräch, werde nicht geschätzt. Und schon gar nicht werden sie aufgrund von Budgetkürzungen und kleinlichen Einsparungen angemessen gewürdigt. Unsere Schiedsrichter erzählen von «abgesagten Kursen, um ein paar hundert Franken zu sparen», Portokosten, die sie zu tragen haben, wenn sie «Material zur Wartung zurückschicken» müssen. In einem offiziellen Schreiben wurde den Schiedsrichtern zum Beispiel der Kauf von gewissen Gadgets verboten, weil die Mittel fehlen.
Bei den fünfmal im Jahr stattfindenden Gruppentrainings (von denen vier obligatorisch sind) müssen die Teilnehmer nun für Essen und Getränke selbst aufkommen. «Es gibt nicht einmal ein Sandwich zum Mittagessen. Das letzte Mal haben wir einen Laib Brot in zwei Hälften geteilt.»
«Wir wurden mitten im Winter in einer dezentralisierten Region der Schweiz an einem schönen Morgen zu einem zweistündigen Körpertraining einberufen. Es herrschten -5 Grad und eine steife Bise ging. Es gab nicht einmal eine Thermoskanne mit Tee, sondern nur Wasserflaschen. Keine Bananen, nichts. Einige Kollegen hatten den Zug um 5.30 Uhr genommen und mussten ein Picknick kaufen.»
Ein Schiedsrichter berichtet von einem internationalen Juniorenturnier, das in Bellinzona stattfand. Ein besonderer Moment, in dem Schiedsrichtertalente der Zukunft mit erfahreneren Kollegen zusammengebracht werden. «Aber da das Hotel nicht bezahlt wurde, nahmen sie fast nur Tessiner mit.»
Ein weiteres Beispiel: «Wir schicken keine Schiedsrichter mehr ins Ausland, weil die Kosten für die Unterbringung vom Verband übernommen werden müssen.» In ihren Stimmen schwingt sowohl Verärgerung als auch Wut mit. Sie sagen: «Wenn uns ein Berater im Fernsehen als Amateure bezeichnet, möchte ich ihm zurufen: ‹Ja, wir sind Amateure!›.»
Die Schiedsrichter haben alle eine mehr oder weniger offizielle Erklärung für diese Zustände. «Der SFV bekam Angst, als sich die Schweiz nur knapp für die WM 2018 qualifizierte, weil ein Elfmeter nicht gegeben wurde (Redaktion: Shaqiris Volleyschuss wurde vom Iren Evans mit der Schulter abgefälscht). Der Verband hat erkannt, dass er zu sehr von den Einnahmen aus der Nationalmannschaft abhängig ist, und hat beschlossen, sein Budget zu kürzen. Wir zahlen den Preis dafür.»
Eine andere Erklärung: «Der SFV hat aufgrund des starken Frankens einen grossen Teil seiner Einnahmen durch Wechselkurseffekte verloren, da die UEFA in Euro und die FIFA in Dollar zahlt.»
Die Schiedsrichter stehen unter der Aufsicht des SFV, der sie der Swiss Football League (SFL) zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten, der SFV fungiert als Dienstleister: Er bildet Schiedsrichter aus und «verleiht» sie. Dieser Posten wird im Jahresbudget mit 2,75 Millionen Franken veranschlagt. Das Problem: Die tatsächlichen Kosten belaufen sich auf 3,5 Millionen Franken. «Und die SFL weigert sich, die Differenz zu zahlen.» Also zieht der SFV die Schrauben an.
Die Schiedsrichter sind der Meinung, dass diese Logik nicht mit der Realität vereinbar ist: «Es gab noch nie so viel Geld im Fussball, selbst in der Schweiz, mit potenziell drei europäischen Vereinen (Red: Die Prämie für die Teilnahme an der Europa League beträgt 3,63 Millionen Euro). Wie ist es zu erklären, dass der Anteil für Schiedsrichter gekürzt wird?» In Frankreich erhält ein Schiedsrichter der Ligue 1 laut Angaben der Zeitung L'Equipe ein Bruttomonatseinkommen von 6497 Euro und eine Prämie von 3029 Euro pro Spiel.
«Die Deutschen und Franzosen haben gute Arbeitsbedingungen. Ein Masseur vor den Spielen. Regelmässige Treffen im nationalen Zentrum. Ein unternehmerischer Geist. Ein anerkannter sozialer Status. Nicht wie wir, die Arbeit auf Abruf leisten und ihr Berufs- und Familienleben opfern.»
Die Frage drängt sich auf: Warum machen sie denn trotzdem weiter? «Weil wir verrückt sind. Wir sind fussballverrückt.»
Sie tragen nicht das gleiche Trikot, aber die Ziele und Vorzüge sind denen der Spieler ähnlich. «Das Adrenalin des Wettbewerbs.» «Das Spielfeld mit dem einzigen Ziel betreten: Die weisse Weste, die perfekte, fehlerfreie Leistung.» «Nur gute Entscheidungen treffen, ohne nachdenken zu müssen.» «Ein Akteur des Fussballs sein.» «Sich vor Tausenden von Zuschauern entwickeln».
Auch die Solidarität ist wichtig. Ein unsichtbares Band verbindet den Schiedsrichter und seine Assistenten. «Ich versichere euch, dass wir in Zeiten intensiven Stresses eng miteinander verbunden sind. Wir sind wie eine Familie. Wir rufen uns gegenseitig Sätze zu wie: ‹Rette mich!›.»
In der Schweiz sind die Schiedsrichter, die in der nationalen Liga tätig sind (und noch viel mehr die Assistenten), nach wie vor Amateure. Der Fussball ist für sie eine Freizeitbeschäftigung oder ein Nebenjob. Bei einem Pensum von 20, 40 oder 50 Prozent ist es illusorisch zu glauben, dass sie sich voll und ganz dieser Tätigkeit widmen können.
«Ein Schiedsrichter erreicht seinen Zenit zwischen 30 und 40 Jahren, international bis zu 45 Jahren. In diesem Alter trifft eine Person in der Regel berufliche und familiäre Entscheidungen. Mit meinem Ausbildungsniveau bin ich auf dem Arbeitsmarkt zwischen 180'000 und 200'000 Franken wert. Aber ich bin immer noch ein Schiedsrichter, weil es mir Spass macht. Ich wünsche mir nur, dass unsere Arbeit besser anerkannt wird. Dass sich unsere Bedingungen nicht weiter verschlechtern.»
Das ist der Sinn und Zweck ihres Gangs an die Öffentlichkeit. Die Hoffnung, dass sie verstanden, wenigstens aber gehört werden.
SFV, man erntet was man säht. Wenn ihr diese allwöchentlichen Diskussion über falsche Spielentscheide satt habt, wie auch die Belächlungen aus dem Ausland, dann solltet ihr unsere Schiris mehr schätzen und unterstützen. Das verdienen die Schiedsrichter, aber auch Spieler, Clubs und Zuschauer. Dass der Fussball den wir so lieben nicht zur Lachnummer mutiert.
Gut in der Schweiz zu streiken ist nicht so einfach wie bei unseren Nachbarländern