Einige Eltern begannen während des Neujahrsfestes im Februar seltsame Symptome bei ihren Kindern festzustellen. Die Kinder des Baoren Kindergartens waren während der Ferientage plötzlich sehr reizbar und litten unter starken Stimmungsschwankungen und Krämpfen. Bei Gesprächen mit den Kindern erfuhren die Eltern daraufhin, dass ihnen von den Lehrpersonen ein «unbekannter Trank» verabreicht worden sei.
Im April und Mai reichten die Eltern bei der Polizei Beschwerden ein. Nachdem im Juni noch weitere gefolgt waren, leitete sie schliesslich Ermittlungen ein. Mit einem schockierenden Resultat: Bei mindestens acht Kindern sollen Spuren der psychoaktiven Drogen Phenobarbital und Benzodiazepine nachgewiesen worden sein.
Phenobarbitalhaltige Medikamente werden üblicherweise zur Behandlung von Epilepsie oder zur Narkose eingesetzt und sind deshalb nur schwer zu beschaffen. Benzodiazepine werden derweil besonders zur Behandlung von Angststörungen eingesetzt. Und: Beide Medikamente machen stark süchtig. Bei den beobachteten Symptomen der Kinder dürfte es sich deshalb um Entzugserscheinungen gehandelt haben.
Infolge der Ermittlungen musste der Kindergarten am 12. Juni schliessen. Die führenden Personen des Kid Castle Educational Institute, dem der Kindergarten angehört, wurden zu einer Geldstrafe von 150'000 taiwanesischen Dollar (umgerechnet 4300 Schweizer Franken) verurteilt. Gegen den Direktor des Kindergartens und fünf Lehrpersonen ist eine strafrechtliche Untersuchung im Gange.
Wieso den Kindern der süchtig machende Sirup verabreicht worden ist, ist auch nach Wochen von Ermittlungen noch immer nicht klar. Am Wochenende demonstrierten deswegen Tausend Menschen vor dem Rathaus in New Taipei. Sie fordern mehr Transparenz im Rahmen der Ermittlungen und fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Zudem wollen sie strengere Strafen für Kinderschänder, sowie umfassendere Schutzmechanismen in Kindergärten.
Am Montag wurde nun noch ein weiterer Fall am anderen Ende der Insel bekannt: In der südlich gelegenen Stadt Kaohsiung sei gar 20 Kindern unsachgemäss Phenorbital verarbeicht worden. Die lokale Gesundheitsbehörde befand vier Ärzte für schuldig. Sie wurden zu einem sechsmonatigen Praxisverbot und eine Geldstrafe von 1,4 Millionen taiwanesischen Dollar (umgerechnet 40'000 Schweizerfranken) verurteilt. (saw)