Jair Bolsonaro ist als Präsident Brasiliens Geschichte. Und obwohl der für seine umweltfeindliche Politik bekannte Rechtskonservative – die Abholzung des Regenwalds am Amazonas erreichte unter seiner Regentschaft Rekordausmasse – nichts mehr zu sagen hat, droht Brasilien nun ein erneutes potenzielles Umweltdebakel: Es geht um die Versenkung eines schrottreifen Riesen-Flugzeugträgers.
34'000 Tonnen schwer, über 260 Meter lang: Die «São Paulo», wie der Flugzeugträger heisst, hat gigantische Ausmasse. Doch das Schiff hat mit 60 Jahren seit der Inbetriebnahme auch ein ebenso stattliches Alter auf dem Buckel – und deshalb ausgedient. Darum verkaufte die brasilianische Marine das Kriegsschiff 2021 an eine Werft in der Türkei, wie das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time berichtet. Dort hätte es ordnungsgemäss verschrottet werden sollen.
So weit kam es allerdings nicht. Denn noch während der Überfahrt Richtung europäische Gewässer im August 2022 entzog die Türkei dem Schiff die Anlegegenehmigung. Der Grund: Die brasilianischen Ex-Besitzer konnten nicht nachweisen, dass die «São Paulo» frei von Asbest ist. Asbest ist ein giftiges Material, das in die Lunge gelangen und Krebs verursachen kann. Auch in der Schweiz wurde Asbest noch bis 1989 beim Bau von Häusern verwendet und stellt deshalb eine gesundheitsgefährdende Altlast dar.
Auch für die Konstruktion von Schiffen wurde Asbest lange bedenkenlos eingesetzt – womöglich auch beim Bau der «São Paulo», wie zumindest die türkischen Behörden befürchten. Weil diese also das potenzielle Gesundheitsrisiko – Asbest wird in der Regel erst freigesetzt, wenn ein Bauteil beschädigt wird, also beispielsweise beim Abwracken – nicht im Land haben wollten, kehrte das Schiff um. Doch: Auch Brasilien will den maritimen Oldtimer nicht zurückhaben. In keinem brasilianischen Hafen erhielt die «São Paulo» eine Landeerlaubnis.
So begann für das Schiff eine monatelange Odyssee vor der brasilianischen Küste. Bis am 20. Januar: Dann erklärte die brasilianische Marine, sie habe das Schiff gezwungenermassen in internationale Gewässer ziehen müssen – während des monatelangen Herumtuckerns vor der Küste habe der Schiffsrumpf Schäden erlitten, der Flugzeugträger hätte damit an der Küste auflaufen oder gar sinken können. Um die Gefährdung anderer Boote und der Flora und Fauna in Küstennähe abzuwenden, habe man das Schiff deshalb in internationales Gebiet gezogen.
Nun treibt das Schiff, das niemand will, irgendwo im Südatlantik ziellos umher.
Wie geht es weiter? Das weiss niemand so genau. Klare Stellungnahmen der brasilianischen Behörden sucht man bisher vergebens. Die brasilianische Zeitung «Folha de São Paulo» berichtete unter Berufung auf Quellen beim Militär, dass dieses die Versenkung des Schiffs in den Tiefen des Ozeans als einzige Möglichkeit betrachte, den Hickhack um den Flugzeugträger zu beenden.
Ausgediente Schiffe zu versenken oder sie an einer verlassenen Küste sich selbst zu überlassen, ist vielerorts noch immer eine gängige Methode, sich nicht mehr erwünschter Altlasten zu entledigen. Laut «Time» werden auf diesem Weg noch immer Zehntausende Schiffe entsorgt. In der Regel sind diese aber viel kleiner, als es im aktuellen Beispiel des brasilianischen Flugzeugträgers der Fall ist.
Dementsprechend grösser sind die umweltbezogenen Gefahren, die bei einer Versenkung des Riesenschiffs verursacht würden – sagt das Basel Action Network (BAN), eine US-amerikanische NGO, die sich gegen die Entsorgung von Giftabfällen in der Natur einsetzt (der Name bezieht sich auf das Basler Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1989, das den Handel mit Giftmüll einschränken soll).
Nach Einschätzung des BAN enthält die «São Paulo» Tausende Tonnen Asbest sowie Unmengen an anderen giftigen Stoffen wie elektrische Leitungen, nicht abbaubare Farben und Benzin- und Ölvorräte. Laut Jim Puckett, Geschäftsführer von BAN, wäre es grob fahrlässig, die «São Paulo» dem Ozean zu überlassen. «Wir sprechen hier von einem Schiff, das sowohl gefährliche als auch wertvolle Materialien enthält – es sollte in das brasilianische Hoheitsgebiet gebracht und umweltgerecht bewirtschaftet werden», so Puckett. Laut der NGO würde das gezielte Versenken des Schiffs zudem gegen mehrere Umweltkonventionen verstossen. Puckett: «Man kann es nicht einfach versenken.»
Die NGO ruft den neuen brasilianischen Präsidenten Lula, der deutlich umweltfreundlichere Positionen als Vorgänger Bolsonaro vertritt, auf, einzuschreiten. Er soll veranlassen, dass das Schiff in einen brasilianischen Hafen einlaufen kann, dort repariert und schliesslich anderen Werften in Europa angeboten werden soll, die den Asbest sicher entfernen und das Schiff abwracken können.
Laut Einschätzung des «Time»-Magazins ist dieses Szenario aber eher unwahrscheinlich – Lulas Beziehung zum brasilianischen Militär ist bekanntlich nicht die beste und insbesondere nach den Forderungen von Bolsonaro-Anhängern nach einem Militärputsch fragil. Da das Militär dem Vernehmen nach die Versenkung des Schiffs favorisiert, ist fraglich, ob sich Lula in der Lage sieht, sich dem Vorhaben entgegenzusetzen und damit auf Konfrontationskurs mit dem Militär zu begeben.
Ein echtes Angebot.
Kediglich Asbeststaub ist langzeitschädlich, weil es sich um sehr kleine Partikel handelt, die sich in der Lunge festsetzen. Aber im Boden oder in Wasser gebunden ist es völlig ungefährlich.
Die anderen Giftstoffen sehe ich als viel problematischer.