Fast genau drei Jahre nach dem knappen Votum der Briten zum EU-Austritt sieht sich Boris Johnson seinem Ziel nahe. Der ehemalige Wortführer der Brexit-Kampagne «Vote Leave» steht am Samstag als einer von zwei Kandidaten für das Amt des Premierministers auf einer Bühne im Konferenzzentrum in Birmingham.
Der 55-Jährige bellt förmlich ins Mikrofon: «Das erste, was wir machen müssen, wissen Sie was das ist? Wir müssen den Brexit wuppen». Grosser Beifall. Johnson sagt das, als sei es eine Kleinigkeit, wenn man es nur wolle.
Am 23. Juni 2016 hatten die Briten mit rund 52 zu 48 Prozent für den Brexit gestimmt. Doch das Land ist drei Jahre später noch immer Teil der Staatengemeinschaft.
Premierministerin Theresa May schaffte es in drei Anläufen nicht, ihr mit Brüssel ausgehandeltes Austrittsabkommen durchs Parlament zu bringen. Die Frist für den Austritt wurde bis zum 31. Oktober verlängert. May kündigte ihren Rücktritt an.
Johnson ist der Favorit im Rennen um ihre Nachfolge. Mit überwältigendem Vorsprung war er von seiner Fraktion in die Finalrunde des Auswahlverfahrens gewählt worden. Nun soll er sich im ganzen Land der konservativen Parteibasis präsentieren.
Es sind die schätzungsweise etwa 160'000 Tory-Mitglieder, die bis Ende Juli entscheiden, wer neuer Parteichef und damit auch Premierminister wird. Einige Hundert sind in Birmingham zur ersten von 16 Vorstellungsrunden gekommen. Johnsons Kontrahent, Aussenminister Jeremy Hunt, gilt als nahezu chancenlos.
Erreichen will Johnson, was May verwehrt blieb: Er will die EU zu Zugeständnissen zwingen. Die bereits vereinbarte Schlussrechnung von umgerechnet rund 45 Milliarden Euro will er nur unter Bedingungen zahlen.
Vor allem aber will er die heikle Frage nach Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland dorthin verschieben, wo sie seiner Meinung nach hingehört: «In die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen während der Übergangsphase, nachdem wir am 31. Oktober ausgetreten sind», ruft Johnson und schwingt seine Faust, als würde er einen Hieb mit einem unsichtbaren Säbel führen.
Sollte Brüssel nicht auf seine Forderungen eingehen, droht er mit einem Brexit ohne Abkommen. Dann würden über Nacht alle Vereinbarungen zwischen Grossbritannien und der EU ungültig werden. Experten rechnen mit chaotischen Verhältnissen und schweren Konsequenzen für die Wirtschaft.
Doch Johnson beschwichtigt: Das Land müsse nur darauf vorbereitet werden. Dann habe es ein hervorragendes Druckmittel gegen die EU. Bisher habe das gefehlt. Doch mit «der richtigen Energie und mit dem richtigen Einsatz» werde es klappen.
Ob Johnson klar ist, wie unrealistisch seine vollmundigen Versprechungen sind? Die EU hat Nachverhandlungen am Brexit-Deal wiederholt ausgeschlossen. Beim Versuch, die Irland-Frage in die Zeit nach dem Austritt zu verschieben, hatte sich bereits May in Brüssel die Zähne ausgebissen.
Die Drohung eines Brexits ohne Abkommen scheint zudem hohl: Grossbritannien würde darunter weit mehr leiden als die EU. Verspricht Johnson dies möglicherweise alles nur, um gewählt zu werden? Hat er einen echten Plan in der Tasche?
Eingefleischte Johnson-Unterstützer scheinen diese Fragen nicht umzutreiben. Sie schätzen offenbar vor allem den Unterhalter Johnson. Immer wenn «Boris», wie er oft nur genannt wird, ein extravagantes Wort heraus hustet oder sich in einer Tirade über Labour-Chef Jeremy Corbyn ergeht, geht ein seeliges Glucksen durch den Saal.
Als er sich dann doch einigen kritischen Fragen stellen muss, buhen sie und fordern, er solle in Ruhe gelassen werden. Einige, die ihm besonders frenetisch Beifall klatschen, sind verschwunden, als sein Kontrahent Jeremy Hunt auf die Bühne kommt.
Doch es gibt auch einige, denen Johnsons Auftritt nicht gefallen hat. Besonders sein beharrliches Schweigen auf mehrfaches Nachfragen über einen nächtlichen Polizeieinsatz bei der Londoner Wohnung, die er sich mit seiner Lebensgefährtin teilt, scheint viele zu verstören. Ein Nachbar hatte in der Nacht zum Freitag die Polizei gerufen, wegen eines lautstarken Streits in der Johnson-Wohnung.
«Ich fand Boris Johnson war so enttäuschend, es war unglaublich», sagt der 74 Jahre alte Keith Jones nach der Veranstaltung. «Er plappert, er beantwortet die Frage nicht, er tut so, als sei es ein Witz», klagt er.
«Wie könnte er mit den Deutschen und Franzosen verhandeln, die würden ihn doch nicht ernst nehmen, oder?» Er sei als Johnson-Enthusiast gekommen und gehe als Hunt-Enthusiast nach Hause, sagt er. Ähnlich äussern sich auch andere.
Hunt präsentiert sich als Mann der Vernunft. Die EU werde ihn zumindest anhören, wenn er neue Pläne vorlege, die eine Chance hätten, durchs Parlament zu kommen, prophezeit er.
Einen EU-Austritt ohne Abkommen will er möglichst vermeiden, aber nicht ausschliessen. Ob er die Mehrheit der konservativen Parteimitglieder mit dieser Botschaft überzeugen kann, bleibt fraglich. (leo/sda/dpa)
Für mich haben die Briten entschieden die EU zu verlassen und das sollen sie, geordnet und mit der Schlusszahlung von 45Mia. Sollte ja kein Problem sein, denn die Johnson schon mehrfach versprochen hat wird es den Briten nach dem Austritt bestens gehen, also wo ist das Problem?