Drei Tage vor der Bundestagswahl ist das Rennen völlig offen. In den letzten Umfragen von «Spiegel» und Forschungsgruppe Wahlen kommt die SPD auf 25 und die Union auf 23 Prozent. Damit ist am Sonntag jeder Ausgang möglich, auch ein Sieg von CDU/CSU. Für die Regierungsbildung muss das nichts heissen – auch die Nummer zwei kann Kanzler werden.
Die Voraussetzungen waren also günstig für die «Schlussrunde» der Parteien am Donnerstagabend in ARD und ZDF. Doch schnell zeigte sich: Dieses Format eignet sich nicht für einen lebhaften Schlagabtausch. Die Runde mit sieben Spitzenkandidatinnen und -kandidaten war einfach zu gross, um eine «Wahl-Schlacht» («Bild») zu ermöglichen.
Dabei bemühten sich die Moderatoren Tina Hassel (ARD) und Theo Koll (ZDF) um eine animierte Debatte. Sie räumten einem Thema viel Raum ein, das in den drei «Triellen» zu kurz gekommen war: der Aussenpolitik. Und da gab es den einen oder anderen Treffer, etwa als CSU-Chef Markus Söder den Grünen «eine unreife Einstellung zur Welt» vorwarf.
Neben diversen Bekenntnissen zu einer starken Europäischen Union kamen die prägnantesten Wortmeldungen von den Rändern: AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel warb für ein gutes Verhältnis zu China, wo sie einige Zeit gelebt hatte, während Linken-Chefin Janine Wissler die Nato als «überkommen» bezeichnete und damit Donald Trump zitierte.
FDP-Chef Christian Lindner äusserte sich weniger China-kritisch als in früheren Fällen, aber er warb auch für mehr Freihandelsabkommen mit Südamerika oder den ASEAN-Staaten. Ansonsten gelangen Linder, ohne den es kaum eine neue Regierung geben wird, starke Momente. So wagte er es, die Abschaffung der Subventionen für Elektroautos zu fordern.
Ausserdem verwies er darauf, dass der Daimler-Konzern zwar ein Bekenntnis zur Elektromobilität abgegeben habe, gleichzeitig aber in China ein neues Werk für Verbrennungsmotoren baue. Es braucht Mut, sich mit der für Deutschland so wichtigen Autoindustrie anzulegen. Wie aber schlugen sich die Drei, die ins Kanzleramt wollen?
CDU-Chef Armin Laschet hätte angreifen müssen, doch einmal mehr blieb er blass, und das lag nicht nur am Format dieser «Elefantenrunde». Wie zuletzt im Wahlkampf versuchte er, bei fast jeder Wortmeldung das Schreckgespenst einer Rot-rot-grünen Regierung heraufzubeschwören, selbst wenn die SPD auf dem zweiten Platz landen sollte.
Das ist eine zumindest abenteuerliche Vorstellung, und von Markus Söder erhielt er wenig Schützenhilfe. «Wir haben ein ganz klares Ziel, dass Armin Laschet Kanzler wird», sagte der bayerische Ministerpräsident, ohne seine frühere Aussage zu revidieren, dass CDU und CSU dafür die Wahl gewinnen müssten. Sonst blieb er ziemlich defensiv.
Man wurde den Eindruck nicht los, dass Markus Söder nach wie vor überzeugt ist, dass er eigentlich der bessere Kanzlerkandidat der Unionsparteien gewesen wäre. Und deshalb nicht wirklich Lust hatte, sich für Laschet ins Zeug zu legen. Dafür war er der Einzige, der die scheidende Kanzlerin Angela Merkel erwähnte und ihr «hohes Ansehen in der Welt» lobte.
Annalena Baerbock würde sie gerne beerben, doch die Kandidatin der Grünen blieb einmal mehr den Beweis schuldig, dass sie das Rüstzeug dafür mitbringt. Eine prägnante Aussage blieb nicht hängen, dafür leistet sie sich einen Schnitzer, als sie auf die Frage, was sie persönlich für das Klima tue, sagte, sie sei im Wahlkampf viel mit dem Bus unterwegs.
Der Spott in den sozialen Medien folgte sofort, denn offensichtlich handelt es sich um ein mit Diesel betriebenes Gefährt. SPD-Kandidat Olaf Scholz hingegen gab zu, dass ein Politiker, der mit gepanzerten Autos herumfährt und viel fliegt, nicht gerade vorbildlich lebt.
So viel Ehrlichkeit könnte sich durchaus auszahlen. Ansonsten blieb Scholz ganz der «Scholzomat». Er argumentierte trocken, frei von Charisma, aber auch von Fehlern. Zum Schluss zeigte er Kante, als er bei der Frage nach einer möglichen Koalition Punkte aufzählte, die für die Linke eine «rote Linie» bilden: Nato, Bundeswehr, Verfassungsschutz.
Damit signalisierte Olaf Scholz verklausuliert und doch unverkennbar, welche Regierung er anstrebt: eine «Ampel» mit Grünen und FDP. Janine Wissler machte ihm dies leicht, indem sie stur auf der Linie ihrer Partei blieb und etwa die Enteignung grosser Immobilienkonzerne forderte. Um eine Brücke zum direkt neben ihr sitzenden Scholz bemühte sie sich kaum.
Mit der AfD will ohnehin niemand zusammenarbeiten. Für Alice Weidel wäre dies eine Vorlage gewesen, um es krachen zu lassen. Sie flirtete mit den «Querdenkern», als es zu Beginn um den schrecklichen Mord in Idar-Oberstein ging, ansonsten aber blieb sie seltsam zahm. Was vielleicht daran liegt, dass die AfD ihr Hassobjekt vermisst.
Die Parole «Merkel muss weg!» zieht nicht mehr, weil Merkel wirklich bald weg ist. Wer ihre Nachfolge antreten soll, dürfte manchen Wählerinnen und Wähler auch nach dieser «Schlussrunde» Kopfzerbrechen bereiten. «Gewinner verzweifelt gesucht!», lautete der Titel der Blitzanalyse von «Bild». Auch eine Blitzumfrage gab es beim Siebnerformat nicht.
Das Fazit des watson-Beobachters: Den besten Eindruck hat Christian Lindner hinterlassen. Er hat seine Position mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen noch einmal gestärkt. Die inhaltliche Schnittmenge sei «bei Jamaika am Grössten», also einer Regierung mit CDU/CSU und Grünen, meinte er. Eine Ampel aber hat der FDP-Chef nie völlig ausgeschlossen.
Was die Union sich dabei gedacht hat, Laschet so kurz vor der Wahl nochmals neben Söder zu setzen, bleibt wohl ihr Geheimnis. Besser kann man die Fehlbesetzung des Spitzenkandidaten nicht mehr hervorheben.
Am Ende bleibt die gleiche Erkenntnis zurück, wie nach allen Triellen. Zu 100% überzeugend ist kein Kandidat, aber Scholz ist derjenige, der Kanzler wohl am besten kann.