Offene Drohungen: Warum China an Japan ein Exempel statuieren möchte
Der Streit zwischen China und Japan zieht immer weitere Kreise. Am Sonntag sprach Peking eine «Frühwarnung» gegenüber Chinesen aus, die in Japan studieren wollen. «In letzter Zeit ist die soziale Sicherheit in Japan instabil», heisst es in der Stellungnahme: «Dies führt zu einem erhöhten Sicherheitsrisiko für chinesische Staatsbürger in Japan».
Tatsächlich ist die Fehde zwischen den zwei Nachbarstaaten politischer Natur. Vergangene Woche äusserte sich die neue japanische Ministerpräsidentin Sanae Takaichi im Parlament zur sogenannten Taiwan-Frage. Wenn Peking die demokratisch regierte Insel mit Kriegsschiffen angreife, so die 64-jährige Politikerin, dann würde dies eine «Existenz bedrohende Situation» darstellen, die dazu führen könnte, dass Japan sein Recht auf Selbstverteidigung ausübe.
Was harmlos klingt, birgt geopolitisches Konfliktpotenzial: Takaichi hat erstmals konkret angedeutet, was zuvor in strategischer Ambivalenz stets offen gelassen wurde – dass Japans Streitkräfte Taiwan im Ernstfall zur Hilfe eilen würden.
Aus chinesischer Perspektive stellt dies einen klaren Tabubruch dar. Chinas Staatsführung betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, die man versucht, in die Volksrepublik einzugliedern – notfalls auch mit militärischer Gewalt. Dass sich nun also ausgerechnet der japanische Staat, der während des Zweiten Weltkriegs fürchterliche Kriegsverbrechen gegen die chinesische Bevölkerung begangen hatte, in diese «innere Angelegenheit» einmischt, führte zu einem Sturm der Entrüstung.
Selbst mehrere Diplomaten haben sich seither massiv im Ton vergriffen. Der chinesische Generalkonsul in Osaka, Xue Jian, drohte zum Beispiel in einem mittlerweile gelöschten Post auf X: «Der schmutzige Kopf, der sich einmischt, muss abgeschlagen werden». In einem Leitartikel eines staatlichen Medien-Accounts fragte man rhetorisch: «Vielleicht wurde ihr Kopf von einem Esel getreten?»
Am martialischsten äusserte sich das Aussenministerium auf seinem X-Account: Wer sich gegen das chinesische Volk stelle, dessen Köpfe werden «an der Stahlmauer aus 1,4 Milliarden Chinesen zerspalten und mit Blut bedeckt».
Das eigene Volk wird zur wirtschaftlichen Waffe
Seit dem Wochenende hat Peking die diplomatische Fehde auch zu einem wirtschaftlichen Konflikt gemacht. So veröffentlichten staatliche Stellen eine de facto Reisewarnung für chinesische Staatsbürger: japanische Politiker hätten mit «unverhohlen provokativen Aussagen zu Taiwan» die Atmosphäre für den gegenseitigen Austausch «schwer belastet» und die Sicherheit chinesischer Staatsbürger in Japan «erheblich gefährdet».
Der Kausalzusammenhang ist zwar hanebüchen, doch in der Vergangenheit hat die chinesische Staatsführung immer wieder die eigene Bevölkerung als wirtschaftliche Waffe missbraucht. Allein im August sind über eine Million Chinesen nach Japan gereist, sie stellen für das laufende Kalenderjahr die grösste Gruppe ausländischer Touristen im Land dar.
Nun sollen also chinesische Staatsbürger keine Gelder mehr in Japan lassen. Aus vorauseilendem Gehorsam haben die staatlichen Fluglinien bereits ihren Kunden versprochen, sämtliche Kosten für Tickets nach Japan bis zum 31. Dezember rückzuerstatten.
Am Sonntag setzte auch die chinesische Küstenwache ein machtpolitisches Statement: Sie schickte eine Schiffspatrouille zur territorial umstrittenen Inselgruppe, die in Japan Senkaku und in China Diaoyu genannt werden.
Ob der Konflikt weiter eskalieren wird, steht bislang noch aus. Doch schon jetzt reicht die Bedeutung der Causa weit über die bilateralen Ländergrenzen hinaus. Denn Peking möchte eine Botschaft an sämtliche Demokratien senden, die es wagen könnten, ihre Unterstützung gegenüber Taiwan auszusprechen. Dann nämlich folgen politische Konfrontation und wirtschaftliche Vergeltung.
Etliche Staaten haben dies bereits erfahren müssen. Als Südkorea 2016 ein Raketenabwehrschild der Amerikaner installierte, um gegen die Bedrohung aus Nordkorea vorzugehen, wertete dies Peking als Angriff auf die eigene Souveränität. Und es strafte Südkorea mit einem plötzlichen Visa-Stopp für Gruppenreisen ab, gefolgt von einem Boykott sämtlicher südkoreanischer Popmusik und Fernsehserien.
Die Volkswirtschaft des ostasiatischen Staates erlitt Milliardenverluste, doch konnte diese nicht einmal anfechten: Denn offiziell hatte die chinesische Regierung ihre Vergeltungsmassnahmen nie ausgesprochen, sondern einfach abgestritten.
Im aktuellen Fall gegen Japan bleibt abzuwarten, ob sich die chinesische Bevölkerung an die politische Stossrichtung ihrer Parteiführung halten wird. Von einem Boykott kann bislang noch keine Rede sein: Die chinesischen Kino-Charts werden etwa derzeit von Blockbuster-Produktionen unliebsamer Staaten angeführt – nach dem neuen Terminator rangiert die japanische Manga-Adaption «Demon Slayer» auf dem zweiten Platz. (aargauerzeitung.ch)
