Die Zahl der Neuinfektionen in den USA geht weiterhin dramatisch nach oben. Zuletzt verhängte Kalifornien eine Ausgangssperre für seine Bewohner. Selbst US-Vizepräsident Mike Pence räumte ein: «Die Fälle und die Positivrate steigen im ganzen Land.» Trotzdem glaubt er, das Land sei vorbereitet. Er blickte dabei auf die Ausweitung der Tests, die Verfügbarkeit von Schutzausrüstung und die Fortschritte bei den Impfstoffen.
Die Realität zeigt allerdings ein anderes Bild. Insbesondere im Bundesstaat Wyoming geht gerade die Positivitätsrate durch die Decke. Gemäss «covidexitstrategy.org» steht diese bei sagenhaften 77,5 Prozent. Vor 14 Tagen lag sie noch bei 33 Prozent.
Auch andere Staaten der Region wie South Dakota (55,9%), Iowa (50,1%), Idaho (43,7% und Kansas (40,6%) liegen bei der Positivitätsrate über 40 Prozent. In der Schweiz liegt diese im 7-Tage-Schnitt bei rund 23% – und wird insbesondere aus dem Ausland stark dafür kritisiert.
Zur Erinnerung: Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärt eine Positivitätsrate bis maximal 5% als Ziel. In den USA erreichen dieses aktuell nur fünf Staaten im Nordosten und das abgelegene Hawaii.
In Wyoming hingegen scheint die Situation ausser Kontrolle. 77,5%! Wie konnte das passieren? Der mit knapp 600'000 bevölkerungsärmste und nach Alaska am wenigsten dicht besiedelte Bundesstaat der USA legt seit Mitte Oktober mächtig zu. Sowohl bei den Fallzahlen als auch bei den Hospitalisationen.
Nicht zunehmend sind hingegen die Anzahl Tests – womit wir bei einer der Erklärungen sind, weshalb die Positivitätsrate derart explodiert ist. Im 7-Tagesschnitt liegt die Anzahl Tests bei rund 1400. Pro 100'000 Einwohner wird in Wyoming damit mit am wenigsten getestet in den USA.
Zum anderen sind die Neuinfektionen nach South und North Dakota die dritthöchsten in den USA (146 pro 100'000 Einwohner). Hält die Tendenz an, ist bald jeder Test ein Treffer in Wyoming.
Massnahmen gelten dagegen praktisch keine in dem traditionellen Republikaner-Staat, der Anfang November mit über 70 Prozent Donald Trump gewählt hat. Dies soll sich diese Woche zumindest in 14 Counties Wyomings ändern. Eine Maskenpflicht gilt dann beispielsweise für rund zwei Drittel der Bewohner des Staats.
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Die Gesundheitsbehörde Wyoming übrigens will die Positivitätsrate gemäss «Fox19 News» so nicht bestätigen. Man habe unvollständige Daten. Aber die jüngsten Trends lassen vermuten, dass sich «Wyoming auf einem erhöhten Positivitätsniveau befindet». Gemäss der John Hopkins Universität hat die Testmenge sich kaum verändert in den letzten Wochen.
Warum die Infektionszahlen im oberen Mittleren Westen rund um die Staaten Wyoming, South und North Dakota, Minnesota oder Montana so zunehmen, ist wohl einem Event im Ort Sturgis (South Dakota) geschuldet. Dort fand vom 7. bis 16. August die Sturgis Motorcycle Rally statt. Sie gilt bei Motorradfans als heiliger Gral, rund 250'000 Besucher wurden erwartet, bis zu einer halben Million kamen, wie die «Washington Post» schreibt.
Schutzmassnahmen galten keine, Masken wurden kaum getragen und die Besucher verteilten das Virus danach in ihrer Heimat weiter. Auch wenn der Event schon drei Monate her ist. Aufgrund der Menschenmassen aus den verschiedensten Gebieten in unterschiedlichen Staaten wird davon ausgegangen, dass dort das Virus in viele (abgelegenen) Ecken verteilt wurde.
Denn auffallend ist: Die Staaten im oberen Mittleren Westen gehören zu den am wenigsten dicht besiedelten der USA. Ein grösserer Austausch findet sonst wenig statt. In Wyoming leben beispielsweise nur zwei Personen pro Quadratkilometer. Nur in Alaska sind es noch weniger.
Und so ein Land war mal auf dem Mond und befreite Europa.
Lang ists her.