Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 sind vor allem die Frauen die Leidtragenden. Hinter Schleiern versteckt und ohne Stimmen verschwinden sie langsam, aber sicher aus der Öffentlichkeit.
Doch die Afghaninnen kämpfen für ihre Rechte. Drei mutige Frauen riskieren ihr Leben, um ihre Proteste und ihren einsamen Alltag mit einer Kamera zu dokumentieren. Denn auch Filme zu drehen ist den Frauen verboten.
Daraus entstanden ist die Dokumentation «Bread & Roses». Dieser geben Schauspielerin Jennifer Lawrence, Aktivistin Malala Yousafzai und Filmemacherin Sahra Mani eine Plattform und eine internationale Stimme.
«Ursprünglich hatte ich nicht vor, einen Film zu drehen. Die Idee war einfach, Beweise für die Frauenbewegung in Afghanistan zu bewahren. Aber dann kam das Team von Jennifer Lawrence auf mich zu und wir beschlossen, dass die Welt diese Videos und die Stärke der Frauen in Afghanistan sehen muss», erzählt Produzentin Mani gegenüber NPR.
Die Aktivistin Malala Yousafzai, die 2012 selbst von den Taliban attackiert wurde, sagt gegenüber CBS: «Was mich wirklich erschüttert hat, war die Tatsache, dass die Menschen zu einem stehen, wenn man überlebt hat, aber wir schauen nicht auf die Menschen, die immer noch einer grossen Bedrohung ausgesetzt sind. Lasst uns unsere Solidarität mit ihnen teilen.»
«Es gibt 20 Millionen Frauen, deren Leben in Gefahr ist», fügt Lawrence hinzu. Eine Untersuchung der UN im Jahr 2022 ergab, dass es in Afghanistan «jeden Tag mindestens eine oder zwei Frauen gibt, die Suizid begehen, weil sie keinen Ausweg sehen und unter Druck stehen».
Diese Aussichtslosigkeit ist auch in «Bread & Roses» zu spüren. Denn: «Die Unterdrückung der Frauen fängt zu Hause an. Mit ihrem Vater, Bruder oder Ehemann», heisst es am Anfang der Doku. Früher durften die Frauen immerhin arbeiten, zur Schule gehen, das Haus verlassen – Dinge, die seit der Machtübernahme der Taliban nicht mehr möglich sind.
Die Protagonistinnen der Doku versuchen sich davon aber nicht unterkriegen zu lassen. Eine davon ist Zahra. Sie ist Zahnärztin und hat ihre eigene Klinik. Anfangs erlauben ihr die Taliban, ihre Praxis zu behalten, sie müsse aber das Schild von der Strasse nehmen. Zahra stellt ein noch grösseres Schild auf. Daraufhin wird ihr immer wieder gedroht, bis sie ihre Praxis schliesslich zu ihrer eigenen Sicherheit aufgibt. In einem Fall wird ihr sogar mit dem Tod gedroht.
Ihre Klinik wurde für eine Weile ein sicherer Ort für Zahra und ihre Freundinnen und Mitstreiterinnen. Sie planten Proteste, redeten über ihre Ängste oder genossen einfach zusammen eine Mahlzeit. Doch auch dieser Zufluchtsort währte nicht lange.
Immer wieder gehen die Frauen in Kabul auf die Strasse und fordern unter anderem Bildung und finanzielle Freiheit für Mädchen und Frauen. Bei den Protesten sind meistens schwer bewaffnete Taliban-Mitglieder vor Ort. Wiederholt kommt es vor, dass die Frauen mit Tränengas angesprüht werden, auch Wasserwerfer kommen im eiskalten Winter zum Einsatz. Handgreiflichkeiten sind keine Seltenheit. Nicht nur Frauen werden verprügelt, auch die anwesenden Journalisten werden Opfer von Gewalt. «Ich bin Journalist» zu rufen, hilft nichts.
Bei solchen Protesten werden von den Taliban regelmässig Frauen mitgenommen. Wohin oder was mit ihnen passiert, ist nicht klar. Noch immer werden Hunderte Frauen von den Taliban festgehalten – unter «fragwürdigen Haftbedingungen», wie in der Doku gesagt wird.
Die Aktivistin Taranom ist nach Pakistan geflüchtet, ihre Familie blieb in Kabul. Sie erzählt von einem Leben voller Einsamkeit und Unsicherheit. «Ein Grossteil meines Schmerzes ist der Schmerz, ein Flüchtling zu sein. Obdachlosigkeit, Armut», sagt Taranom. Alles, was sie während ihrer Flucht bei sich hatte, war Kleidung und 20 Afghani. Das sind aktuell rund 25 Rappen.
In Pakistan wohnt sie in einem Haus mit anderen afghanischen Geflüchteten. Gelegentlich schafft es jemand, nach Europa zu gehen, dann feiern sie alle zusammen eine Abschiedsparty. Doch eine solche Reise benötigt einen Pass. Und viel Geld.
Sharifa war vor der Machtübernahme der Taliban bei der Regierung angestellt, danach wurde sie gezwungen, zu Hause zu bleiben. Ihre einzige Freude ist es, ihrer Mutter das Lesen beizubringen und ihrem Bruder beim Lernen zu helfen.
Ihre Mutter lässt Sharifa nicht an den Demonstrationen mitwirken. Sie hat Angst um ihre Tochter. Die einzige Freiheit, die sie hat, ist, auf dem Dach die Wäsche aufzuhängen. Trotzdem möchte sie helfen. Heimlich schleicht sie sich aus der Wohnung, um mit ihren Freundinnen Lebensmittel zu verteilen.
Mit ihrer Familie spricht sie oft über die aktuelle Situation im Land. «Frauen sollen arbeiten und studieren. Es ist falsch, dass sie ein Leben zu Hause unter dem Hidschab führen», sagt ihr Vater. Und auch Sharifas Mutter stimmt zu:
Am Ende der Doku erzählt Sharifa, dass die Taliban vor einigen Monaten Zahra mitgenommen haben. Niemand weiss, wo sie ist, ihre Praxis ist komplett leer geräumt, die Tür von aussen verriegelt.
In «Bread & Roses» werden Bilder gezeigt, die die breite Öffentlichkeit bisher fast nicht gesehen hat. Die Aufnahmen sind intim, roh und eindrücklich – viele davon wurden mit dem Handy gemacht.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Doku sind Zahra, Taranom und Sharifa alle ausser Land und in Sicherheit. Millionen andere Frauen sind aber weiterhin in dem Land, das sie einst geliebt haben, gefangen. Ohne Job, ohne Geld, ohne Zukunft.
«Bread & Roses» ist auf Apple TV+ verfügbar.
Wieso hassen sie ihre eigenen Frauen und Töchter so sehr?