Mit einem Geständnis hat der Prozess um die beispiellose Mordserie des früheren Krankenpflegers Niels Högel begonnen. Der 41-Jährige räumt am Dienstag vor dem Landgericht in norddeutschen Oldenburg ein, die ihm vorgeworfenen 100 Taten begangen zu haben.
Högel soll zwischen 2000 und 2005 100 Intensivpatienten in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst getötet haben. Dazu soll er den Pazienten bewusst Injektionen gegeben haben, die Herz-Kreislauf-Stillstände auslösten.
1997 schliesst Högel seine Ausbildung ab, schnell ist er überfordert. Nimmt Schmerzmittel, trinkt viel Alkohol. Vor Gericht schilderte er eine Situation, mit der er nicht klar kam.
Dieser Vorfall ereignet sich in der Klinik in Oldenburg, wo auch das Morden beginnt, wie der Angeklagte zugibt. Ein Pfleger schöpft verdacht, verbietet es Högel, sich um seine Patienten im Operationssaal zu kümmern. Es kommt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Trotz des Rauswurfs denkt Högl nicht daran, seine Morde zu beenden und einen anderen Weg einzuschlagen. «Der Gedanke war einfach nicht da.» Er bewirbt sich auf der Intensivstation in Delmenhorst und findet eine Arbeitsstelle.
Gleich zu Beginn seiner Zeit in Delmenhorst gibt es ein Erlebnis, das Högel prägt. «Ein Patient musste intubiert werden, doch der leitende Arzt kriegte es nicht hin, den Schlauch in die Luftröhre zu stecken», erzählt er. Högl intubiert erfolgreich und wird von seinen Kollegen gelobt.
Endlich erhält er Anerkennung, dies macht ihn süchtig. Er will dieses Gefühl immer und immer wieder. Deshalb verabreicht Högl Patienten regelmässig Injektionen, die Herz-Kreislauf-Stillstände auslösen. Er versuchte sie danach wieder zu beleben, um als Lebensretter zu glänzen.
2005 wird er entlassen und kurz darauf festgenommen, weil ihn eine Kollegin bei einer Tat auf frischer Tat beobachtet. In einem ersten Prozess wird er dafür 2008 verurteilt, ein zweites Verfahren wegen fünf weiterer Fälle folgt 2014 bis 2015. Dabei gesteht er überraschend weitere Morde.
Erst danach kommen systematische Ermittlungen in Gang, drei Jahre lang nimmt eine Sonderkommission alle Todesfälle während seiner Tätigkeit an den beiden Kliniken unter die Lupe. Zahlreiche Verstorbene werden exhumiert und auf Medikamentenrückstände untersucht. Das Ergebnis der Ermittlungen ist der nun beginnende dritte Prozess.
Ob Högel eventuell noch weitere Morde beging, lässt sich nach Einschätzung der Ermittler nicht abschliessend sagen. Viele verstorbene frühere Klinikpatienten wurden feuerbestattet. Trotz interner Verdachtsmomente konnte Högel lange ungehindert weiter töten. Mehrere Verantwortliche der Krankenhäuser sind deshalb inzwischen separat angeklagt.
Vertreter der Angehörigen reagierten überrascht auf Högels erstes öffentliches Geständnis und dessen Aussagen zu seiner Gemütsverfassung während seiner beruflichen Anfangszeit, die seinen Angaben nach bereits schnell von hohem Stress auf den Intensivstationen gekennzeichnet war. «Heute sieht er wie ein kleiner verletzlicher Massenmörder aus», sagte deren Sprecher Christian Marbach. (cma/sda/afp/dpa)