Die deutsche Regierung sieht die Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als «zentrale Aktionsplattform» für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Das geht aus einer vertraulichen Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.
Zuerst hatte der öffentlich-rechtliche Sender ARD darüber berichtet, aber auch der Nachrichtenagentur DPA lag der Text vor: Ankara arbeitet seit Jahren mit Islamisten zusammen.
Der Bericht könnte das angespannte diplomatische Klima zwischen Berlin und Ankara weiter verschlechtern. Die Opposition fordert nun vehement ein Ende des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.
Zwischen deutschem Innen- und Aussenministerium gab es Irritationen wegen der vom Innenressort (BMI) für die Regierung übermittelten und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Antwort.
Das Ministerium von Thomas de Maizière räumte am Dienstagabend eine regierungsinterne Kommunikationspanne im Zusammenhang mit der brisanten Einschätzung ein. «Auf Grund eines Büroversehens im BMI ist die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der Schlussfassung nicht zustande gekommen», teilte das Innenressort mit.
In der als vertraulich eingestuften Antwort auf die Linken-Anfrage heisst der Kernsatz: «Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Aussenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.» Und weiter heisst es in der Analyse:
Damit stellt die deutsche Regierung eine direkte Verbindung zwischen Erdogan und einer Terrororganisation her – als solche wird zumindest die Hamas, anders als in der Türkei, seit 2003 in der Europäischen Union eingestuft. Die Stellungnahme basiert auf Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND), des deutschen Auslandsgeheimdienstes.
Die Einschätzung ist auch deswegen heikel, weil die Opposition Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seit Beginn der Flüchtlingskrise vorwirft, sich mit kritischen Äusserungen über Erdogan zu sehr zurückzuhalten. Die Regierung habe sich mit dem von Merkel initiierten EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei von Erdogan abhängig gemacht.
Die Linksfraktion fühlt sich in ihrer Kritik bestätigt. Deren aussenpolitische Sprecherin Sevim Dagdelen sagte der DPA, es könne nicht angehen, dass die Regierung öffentlich «den Terrorpaten Erdogan als Partner bezeichnet, während man intern vor der Türkei als Drehscheibe des bewaffneten Islamismus warnt».
Der CDU-Aussenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte, die mit dem Flüchtlingspakt verbundenen Verhandlungen über eine Visaliberalisierung könnten so nicht fortgesetzt werden. Die Annäherung des Landes an die EU dürfe aber nicht aufgegeben werden, sagte er im Deutschlandradio.
Die Türkei muss sich immer wieder gegen Vorwürfe verteidigen, sie liefere Waffen auch an in Syrien kämpfende Terrorgruppen.
Im Falle der Hamas dagegen hat die türkische Regierung eine grundlegend andere Einschätzung als Israel und der Westen: In Ankara wird die Hamas als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes betrachtet, das sich gegen die israelischen Besatzer wehre. Noch in seiner Zeit als Regierungschef hat Erdogan den Hamas-Spitzenpolitiker Ismael Hanija in Ankara mit brüderlichen Gesten empfangen. (gin/sda/dpa)