Ein alter Mann beginnt mit einer Erzählung: «Ich glaube es war im Winter 2020, als das gesamte Land auf uns schaute.» Unterlegt wird die Erzählung von dramatischer, teils heroischer Musik. Anton Lehmann heisst der Mann, der laut Unterzeile 2020 in Chemnitz, Sachsen, im Einsatz war. Lehmann erzählt weiter:
«Ich war gerade 22 geworden, studierte Maschinenbau in Chemnitz, als die zweite Welle kam. 22. In diesem Alter will man doch feiern. Studieren, jemanden kennenlernen oder mit Freunden einen trinken gehen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne mit uns. Eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles woran wir glaubten.» Und sagt dann dramatisch:
Lehmann spricht natürlich nicht von einem Krieg, wie man es aufgrund der Optik erwarten könnte, sondern – offensichtlich: von der Corona-Pandemie. Er beschreibt seinen «Einsatz» folgendermassen:
«Also fassten wir alle unseren Mut zusammen und taten, was von uns erwartet wurde. Das einzig Richtige. Wir taten ... nichts. Absolut gar nichts. Waren faul wie die Waschbären. Tage und Nächte lang hockten wir auf unserem Arsch zuhause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Unsere Couch war die Front und unsere Geduld war unsere Waffe.»
Lehmanns Bilanz: «Wissen Sie, manchmal muss ich fast ein bisschen schmunzeln, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Das war unser Schicksal, so wurden wir zu Helden. Damals in unserem Corona-Winter 2020.» Und im Hintergrund salutiert der Pizzabote.
#besonderehelden pic.twitter.com/lrb0ntUee3
— Steffen Seibert (@RegSprecher) November 14, 2020
Das Video stammt nicht etwa von einem Satireprogramm, wie es die Pointe vermuten lässt, sondern von der deutschen Bundesregierung. Am Ende des Videos folgt der Appell der Regierung: «Werde auch du zum Helden und bleib zu Hause.» Regierungssprecher Steffen Seibert postete es am Samstag auf Twitter.
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Es ging für deutsche Verhältnisse viral: Innerhalb eines Tages sahen sich mehr als eine Million Menschen das Video an. Gar auf Unterhaltungsseiten wie etwa «9Gag» fand man das Video mit englischen Untertiteln unter den meistgelikten Posts. Seibert legte am Sonntag dann nach und teilte ein zweites Video mit dem fiktiven Lehmann und seiner Frau, was allerdings weniger beachtet wurde.
#besonderehelden pic.twitter.com/eBueDB0ZEz
— Steffen Seibert (@RegSprecher) November 15, 2020
Kann es gut kommen, wenn eine Regierung ein humoristisches Video postet? Abseits der Welt der empörungsfreudigen Twitter-User wohl schon. Doch auf Twitter löste es einen Empörungssturm aus – und das von allen Seiten.
Von linker Seite etwa wurde kritisiert, dass vor allem die jungen Menschen aus wohlhabendem Haus mit dem Video angesprochen werden. Nicht erwähnt: Die Menschen, die trotz der Pandemie arbeiten müssen und sich in Gefahr begeben, so etwa der Pizzabote, der es überhaupt ermöglicht, dass der fiktive Lehmann zu Hause bleiben kann. Als Helden solle man viel eher die Menschen im Gesundheitssektor bezeichnen.
Ziemliche Verachtung der arbeitenden Bevölkerung
— Nils Heisterhagen (@N_Heisterhagen) November 15, 2020
Als ob wir alle faul auf dem Sofa sitzen
Zudem:
-Verhöhnung für die, die momentan sogar mehr und unter schwierigen Bedingungen arbeiten müssen.
-Schlag ins Gesicht für die, die Existenzängste haben
Wer beauftragt sowas? 👇 https://t.co/ThYEl2c8HM
Die Kölner Kommunikationsexpertin Christine Richter wiederum sagte gegenüber dem WDR, dass sie hin und hergerissen sei. Problematisch sei für sie aber insbesondere das Kriegsvokabular.
Sie sagte: «Aus ethischer Sicht finde ich es ganz schwierig, diese Parallele zu ziehen in Wort und Bild zu den Kriegsgeschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Das ist das, was viele sicher ganz schwierig finden, und wir deshalb auch so eine starke Polarisierung haben in den sozialen Medien.»
Der deutsche Journalist Boris Reitschuster fand gar: «Mit einem Werbe-Streifen verhöhnt die Regierung mit Steuergeldern faktisch die Opfer der Corona-Massnahmen – indem sie die Krise als Spass darstellt und diejenigen, die sich aufs Sofa zurücklehnen, als #besondereHelden. Losgelöst von der Realität der Bürger!»
Was bei all der Kritik aber unterging: Der Werbespot wurde mehrheitlich gut bis sehr gut aufgenommen. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz kritisierte die Twitter-Diskussion rund um #besondereHelden.
Die Diskussion über #besonderehelden zeigt in a nutshell, wie humorlos, verbiestert und rechthaberisch so manche auf Twitter unterwegs sind. https://t.co/HDMgHrzrQh
— Ruprecht Polenz (@polenz_r) November 15, 2020
Model und Influencerin Marie von den Benken fand noch deutlichere Worte:
Als ich mit Twitter anfing, wurde ein guter Aufklärungs-Spot, der zu Solidarität & Vernunft aufrief und viral ging, noch nicht von Woke-Twitter weggepöbelt, nur weil sich die hyperintellektuelle Pseudo-Elite auf Empörungs-Gang-Bangs ihre Like-Geilheit in die Fresse kotzen muss.
— Marie von den Benken (@Regendelfin) November 15, 2020
Und was meint die deutsche Regierung? Ein Sprecher des Bundespresseamts erklärte, die Videos seien Teil der Informationspolitik in der Corona-Pandemie. «Ihre Botschaft ist klar: Kontakte zu reduzieren ist derzeit unser wichtigstes und wirksamstes Mittel, um die Pandemie einzudämmen.» Mit dem Video wollte man möglichst viele junge Menschen erreichen.
Der Spiegel schrieb in einem Kommentar, während man noch darüber diskutiere, ob es angemessen sei oder nicht: «Das Ziel wurde eigentlich schon erreicht – und wir alle, auch dieser Kommentar, haben daran mitgewirkt. Denn an der Grundbotschaft gibt es bisher wenig Kritik: Bleibt zu Hause!»
- Ein Video wird gepostet, die einen findens lustig, die anderen weniger
- Leute empören sich über das Video
- Leute empören sich über die Leute die sich über das Video empören
- Leute empören sich über die Leute die sich über die Leute empören die sich über das Video empören
- Andere Leute holen Popcorn