Am Samstag traf sich die deutsche Freie Demokratische Partei (FDP) zum Parteitag in Berlin. Der Anlass stand unter dem Motto «Innovation Nation». Der Chef der Partei, Christian Lindner, wollte originell sein und eröffnete mit einer Anekdote. Hätte er gewusst, was diese auslöst, er hätte wohl eine andere Geschichte erzählt.
In seiner Rede schilderte Lindner eine Beobachtung aus dem Alltag. Man stelle sich vor, man stehe beim Bäcker im Laden in der Warteschlange:
Für eine befriedete Gesellschaft sei es nötig, dass in einer solchen Situation alle in der Bäckerei anwesenden wissen, «dass es keine Zweifel an der Rechtschaffenheit des Mannes gibt.» «Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht.» Das sei die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.
Während der Parteitag geordnet zu Ende geht und sich niemand über Lindners Vergleich aufregt, braut sich im Netz ein Shitstorm zusammen. Später bricht dieser über Lindner herein.
Wenn ich mich beim #Bäcker fürchte oder unwohl fühle, weil jemand in der Schlange steht, die*der nicht meinem weißen, deutschen Stereotyp entspricht, dann bin ich vielleicht schlichtweg ein rassistisches Arschloch. Oder einfach nur bisschen blöd. Oder beides. #Lindner
— Marco (@fruitgecko) 13. Mai 2018
Weißt Du noch damals, als man zum #Bäcker gehen konnte, ohne gleich an illegale Migranten denken zu müssen? Dank #Lindner geht das ja jetzt nicht mehr. #BäckerAnekdote
— Mostly blocked by idiots (@FeeMitV2EH) 13. Mai 2018
Der klassische Serienmörder ist übrigens weiß, zwischen 20 und 40 Jahren alt, und ledig. Seit der Trennung von seiner Freundin habe ich daher Angst vor Christian #Lindner. Es ist daher Aufgabe des deutschen Staates sicherzustellen, dass ich ihm beim #Bäcker nicht begegne.
— Sorrento (@psychoticos66) 13. Mai 2018
Also, mein Hamburger #Bäcker verkauft (!!) sogar Brötchen in gebrochenem Deutsch! Was jetzt? #Bäckerschland
— Andreas Petzold (@andreaspetzold) 13. Mai 2018
Als dann das FDP-Mitglied Chris Pyak in der Folge auf Twitter den Parteiaustritt bekannt gibt, ist der Skandal perfekt. In seiner Kurznachricht verurteilt Pyak den Parteichef Lindner, Nazis einen Vorwand geliefert zu haben, dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren.
Ich bin soeben aus der FDP ausgetreten.
— Chris Pyak (@chris_pyak) 12. Mai 2018
"Bürger müssen sicher sein, das der Ausländer beim Bäcker kein Illegaler ist."
Christian Lindner hat in seiner Rede allen Nazis einen Vorwand geliefert dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren.@Lambsdorff @johannesvogel @c_lindner
Die Debatte ist lanciert. In Lindners Worten werden AfD-Argumente erkannt, Sozialdemokraten und Grüne wettern, die Bäckerei-Anekdote sei rassistisch.
Zuletzt ist der Protest so gross, dass sich Lindner gezwungen sieht, eine Erklärung nachzureichen. In einem Video, das er auf Twitter hochlädt, sagt er, ein Bekannter, selber ein Zuwanderer, habe ihm geschildert, dass ihm vermehrt Fremdenangst begegne, zum Beispiel in der Warteschlange beim Bäcker. «Wer in meinen Äusserungen Rassismus liest, ist hysterisch unterwegs.» Vielmehr gehe ihm es darum, den Menschen das Vertrauen in einen funktionierenden Rechtsstaat zurückzugeben.
Was ich mit der #Bäcker-Anekdote sagen wollte: hier erkläre ich es nochmal. CL #bpt18 pic.twitter.com/8QxtXax1sK
— Christian Lindner (@c_lindner) 13. Mai 2018
Zwar vermochte Lindner mit dem Video die Wellen etwas zu glätten. Doch ganz aus der Affäre konnte er sich damit nicht ziehen. Denn die Debatte zeigt ein Problem auf, das es so einfach nicht auszumerzen gibt: Die FDP und die AfD kämpfen in Deutschland teilweise um dieselbe Wählerschaft. Geht es um die Einwanderungsfrage, plädiert die FDP auf einen starken Rechtsstaat, will sich gleichzeitig aber von den Rechtspopulisten abgrenzen. Wie sich zeigt, ist dies eine Gratwanderung, die nicht immer einfach ist. (sar)