Nach einer kurzen Anmoderation durch Hazel Brugger – deren genaue Rollendefinition an diesem Abend für das ein oder andere Fragezeichen im Publikum sorgt – legt die deutsche Ex-Kanzlerin los. Es wird direkt ernst: Merkel fängt die Lesung mit dem Hinweis auf den Gedenktag der Opfer des Holocaust und damit den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee an.
Passend dazu liest die Altkanzlerin eine erste Passage aus ihrem Buch vor. Ein Besuch der Holocaust-Gedenkstätte in Israel im März 2008. Merkel betont im Hinblick auf die heutigen Probleme in Nahost, sie habe stets für die Zweistaatenlösung geworben. Über den amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sagt sie:
Nachdrücklich betont die ehemalige Kanzlerin die historische Verantwortung Deutschlands. Sie verurteilt den Angriff der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober 2023 auf Israel und die nachfolgenden antisemitischen Übergriffe auf Juden und Jüdinnen in Deutschland.
Merkel macht in der Folge zwar Bezüge zur Aktualität, bleibt aber vorsichtig. Auf klare politische Statements zur aktuellen Politik in Deutschland oder den USA hofft das Publikum vergebens. Die Altkanzlerin hält sich streng an ihre Memoiren. Streckenweise wirkt die Veranstaltung daher wie eine Vorlesestunde für Erwachsene.
Die Altkanzlerin kommt zum – wie sie sagt – üblichen Programm der Lesung zurück. Und liest eine Passage aus ihrer Kindheit vor. Ihre Kindheit beschreibt sie «trotz DDR» als glücklich.
Auf die Kindheit folgen Anekdoten aus ihren Jugendtagen. Merkel und ihre Klassenkameraden provozieren an der Abiturfeier mit einem umstrittenen Rahmenprogramm. Unter anderem tragen sie das Gedicht «Mopsenleben» von Christian Morgenstern vor.
Merkel liest vor:
Das Abitur scheint nach dem Skandal-Rahmenprogramm in Gefahr. Doch Merkel kriegt ihren Abschluss.
Damit sind die Schwänke aus der Jugend beendet.
Als Nächstes liest Merkel aus dem Prolog des Buches vor. Darin schreibt sie, Politik sei kein Hexenwerk, sondern werde von Menschen gemacht. Sie kommt auf den Ausspruch «Wir schaffen das!» zu sprechen. Kein Satz sei ihr mehr um die Ohren geflogen.
Nach dieser Einleitung rollt sie ihre Karriere auf. Wie sie zuerst CDU-Vorsitzende und dann Kanzlerkandidatin wurde. Wie Gerhard Schröder sie am Wahlabend behandelt habe und sie sich gefragt habe, ob er sich gleich verhalten hätte, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Wie sie zu Erdogan reiste und die Flüchtlingskrise löste und dafür nur Kritik erntete.
Auf jede Buchpassage folgt gleich eine weitere. Eine Moderation mit kritischen Fragen fehlt. Das Publikum hört viel Selbsterklärung und wenig Selbstkritik.
Eines macht Angela Merkel dadurch mehr als deutlich: Sie steht hinter ihren Entscheidungen. Das betont sie auch im Hinblick auf die Ukraine.
Sie liest wieder vor. Corona sei der Sargnagel des Minsker Abkommens gewesen. Hätte es keine Pandemie gegeben, hätte Putin sich nicht zurückziehen können. Denn der direkte Meinungsaustausch sei immer essenziell gewesen.
Diese Aufgabe (die Ukraine-Situation) müsse jetzt noch gelöst werden. Sie sei aber selbst keine aktive Politikerin mehr. Sie könne höchstens Anregungen geben.
Was soll dieses Buch? Diese Frage stellt Merkel sich selbst und beantwortet sie auch gleich. Das Buch erzähle zwei Geschichten: Ein Leben in einer Diktatur und ein Leben in einer Demokratie. Beide Leben seien wichtig, und ohne den ersten Teil ihres Lebens gebe es den zweiten nicht. So ist dann auch der Leitsatz ihres Buches:
Am Schluss liest die Altkanzlerin aus dem Epilog vor. Politiker würden dazu neigen, Fragen auszuweichen. Und sie fügt an, es falle ihr heutzutage schwer, Politikern zuzuhören.
Als nicht mehr aktive Politikerin nimmt sie sich vielleicht darum die Freiheit, sich die Fragen gar nicht mehr stellen zu lassen.
Sie hat Deutschland strategisch günstig aufgestellt, aber dummerweise nicht für Deutschland, sondern für Putins Russland.
Das darf man nicht vergessen, wenn man die Ampel bewertet. Es gab noch nie eine neue Regierung, die eine derart schlechte Situation gleich von Anfang zu bewältigen hatte. Die Abhängigkeit von russischem Gas, von Merkel und Schröder verschuldet, durfte Habeck in Rekordzeit wieder lösen.
Merkel war mindestens 8 Jahre zu lange Bundeskanzlerin
Warum eigentlich nicht? Es gibt ja auch immer noch Leute, die regelmässig Gottesdienste in der Kirche besuchen.