In der Schweiz treten Flüsse und Seen über die Ufer. Gewitterstürme verursachten schwere Schäden, doch Menschenleben kosteten die Unwetter bislang keine. Ganz anders in Deutschland: Dort wurden bis Freitagmittag mehr als 100 Todesopfer gemeldet. Weitere werden befürchtet. Die materiellen Schäden lassen sich noch kaum beziffern.
Besonders betroffen von den heftigen Regenfällen ist die Eifel, eine gebirgige Region in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Politikerinnen und Politiker eilten am Donnerstag vor Ort, um ihre Betroffenheit auszudrücken, Hilfe zu versprechen und sich als Krisenmanager zu profilieren. Hochwasser als Chance, das hat in Deutschland Tradition.
In der Nacht auf den 17. Februar wurde die Nordseeküste von einer verheerenden Sturmflut heimgesucht. 340 Menschen kamen ums Leben, der weitaus grösste Teil in der schwer getroffenen Hansestadt Hamburg. Die Einsatzleitung übernahm SPD-Innensenator Helmut Schmidt, der nationale Bekanntheit erlangte. Zwölf Jahre später war er Bundeskanzler.
Besonders denkwürdig war der «Gummistiefel-Wahlkampf» 2002. Der rotgrünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder drohte nach nur vier Jahren die Abwahl. Deutschland steckte damals in einer Art Dauerkrise mit hoher Arbeitslosigkeit und Reformstau. Dann kam es im August zu einer Flutkatastrophe, die vor allem den Osten des Landes hart traf.
Die Elbe trat über die Ufer und verwüstete Städte und ganze Landstriche. Allein in Sachsen kamen 21 Menschen um Leben. Schröder erkannte die Chance. Er besuchte die Region mehrfach, markierte den zupackenden «Krisenkanzler» und versprach umfassende Hilfe. Seine Auftritte in Regenjacke und Gummistiefeln erhielten eine grosse mediale Beachtung.
Sein Kontrahent Edmund Stoiber, Kanzlerkandidat von CDU und CSU, reagierte hingegen zögerlich, obwohl auch seine Heimat Bayern betroffen war und er als Ministerpräsident in der Verantwortung stand. Der Mythos besagt, dass Stoiber damit den sicher geglaubten Sieg bei der Bundestagswahl «verschenkt» und Schröder zur Wiederwahl verholfen hat.
Nun will es der Zufall, dass sich die aktuelle Flutkatastrophe im Westen des Landes erneut im Vorfeld einer Bundestagswahl ereignet. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet unterbrach seine Wahlkampftour in Süddeutschland und begab sich an den Ort des Geschehens, wo er sich über die Verwüstungen informierte, natürlich in Gummistiefeln.
Laschet geniesst eine Art doppelten Heimvorteil. Er stammt aus Aachen am Nordrand der Eifel und ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Wie einst Gerhard Schröder versprach er den raschen Wiederaufbau der zerstörten Gebiete. Einen weiteren prominenten Auftritt hatte Armin Laschet am Donnerstagabend in der ZDF-Talkshow «maybrit illner».
Seine Forderung nach mehr Tempo beim Klimaschutz blieb nicht ohne Widerspruch, denn im bisherigen Wahlkampf war von Laschet zu diesem Thema ein «Ja, aber» zu hören, wie die ARD-«Tagesschau» kritisierte. Einen nicht sehr vorteilhaften Eindruck hinterliess Laschet auch bei einem Interview in der WDR-Sendung «Aktuelle Stunde».
Davon profitieren könnte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Er war am Donnerstag ebenfalls vor Ort und inspizierte die Schäden mit Parteikollegin Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Scholz trug keine Gummistiefel, sondern Wanderschuhe, dafür versprach er als Finanzminister, sein Kässeli zu öffnen.
Nicht mithalten konnte Annalena Baerbock, die Kandidatin der Grünen. Sie hat keinen persönlichen Bezug zur Region (sie stammt aus Hannover und wohnt in Brandenburg), und als einfache Bundestagsabgeordnete und Oppositionspolitikerin hat Baerbock nicht die Mittel, um schnelle Hilfe zu mobilisieren und sich als Krisenmanagerin zu profilieren.
Meine Gedanken sind heute bei den Menschen im Westen und Osten Deutschlands, deren Straßen und Häuser durch #Starkregen überschwemmt werden.
— Annalena Baerbock (@ABaerbock) July 14, 2021
Dabei könnte Baerbock nach den Kontroversen um ihren Lebenslauf und die Plagiate in ihrem Buch ein wenig Wahlkampfhilfe gebrauchen. Ihre einzige Chance ist, dass die Katastrophe das Klimathema ins Zentrum rückt und die Grünen ihre Kompetenz ausspielen können. Ein Auftritt vor Ort in Gummistiefeln könnte dabei sicher nicht schaden.