«Geht's noch!?», herrschte Hubert Seipel 2021 einen Radiomoderator an, der ihn gefragt hatte, ob er jemals Geld aus Russland genommen habe. Der deutsche Buchautor und Dokumentarfilmer schien sich in seiner Ehre gekränkt zu fühlen, die Sendung kurz vor dem Abbruch zu stehen.
Zwei Jahre später scheint der Verdacht Gewissheit zu werden: Seipel, so berichtet ein internationales Recherchekonsortium von 69 Medien, zu dem unter anderem das ZDF und der «Spiegel» gehören, soll 600'000 Euro von einer Briefkastenfirma mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln angenommen haben. Hinter der Firma stehe der russische Oligarch Alexei Mordaschow, der zum Umfeld Wladimir Putins gehöre.
In einem Vertrag vom März 2018 soll sich Seipel verpflichtet haben, ein Buch «über das politische Umfeld in der Russischen Föderation» zu schreiben, das sich «an ein breiteres Publikum» richten sollte. Bereits 2015 war eine Putin-Biografie Seipels erschienen; 2021 brachte er ein Buch mit dem Titel «Putins Macht. Warum Europa Russland braucht» heraus.
Sollte sich der Verdacht gegen Seipel erhärten, wäre er der bisher bekannteste westliche Journalist, der sich von Putins Umfeld bezahlen liess. Für die Glaubwürdigkeit der Branche, die sich in Deutschland wie in den meisten Ländern der Welt in einer schwierigen Lage befindet, könnte der Fall Seipel ein weiterer Schlag sein: Deutsche Kommentatoren sprechen bereits vom grössten Medienskandal seit dem Auffliegen des «Spiegel»-Reporters Claas Relotius, dessen Reportagen in weiten Teilen auf Erfindungen basierten.
Seipel arbeitete in seiner mehr als 40-jährigen Laufbahn unter anderem als Auslandskorrespondent für den «Spiegel» und den «Stern». In den vergangenen Jahren drehte er rund 30 Dokumentarfilme für ARD und ZDF. Für seine Arbeiten wurde der 73-Jährige mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Adolf-Grimme-Preis. 2012 produzierte er für die ARD die Dokumentation «Ich, Putin».
Seine Auftraggeber der letzten Jahre, der Norddeutsche Rundfunk sowie der Buchverlag Hoffmann und Campe, erklärten am Dienstag, nichts von Seipels «Sponsorenvertrag» gewusst zu haben. Den Verkauf der beiden Bücher hat der Verlag unterdessen gestoppt. Seipel behauptet, Mordaschow habe keinen Einfluss auf den Inhalt seiner Bücher über Putin gehabt. Tatsächlich heisst es in dem Vertrag zwischen dem Journalisten und dem Oligarchen, Ersterer gehe keinerlei Verpflichtungen «in Bezug auf den Inhalt oder die Zusammensetzung des Buches» ein.
Auf dem sozialen Netzwerk X, wo sich zahlreiche Medienleute äussern, gaben sich deutsche Journalisten nach Bekanntwerden der Vorwürfe demonstrativ unverwundert: Dass Seipel von den Russen gekauft sein soll, sei nicht überraschend, lautete der Tenor. Tatsächlich bemühte sich der Filmemacher, der Putin knapp 100 Mal getroffen haben will, nach Ansicht von Rezensenten kaum um Distanz zum russischen Präsidenten. «Ich wollte etwas aus Putin rauskriegen. Das geht aber nur, wenn ich ihn möglichst lange reden lasse», sagte Seipel 2015 gegenüber CH Media Zeitung.
Beim deutschen Publikum warb der Journalist für eine Kooperation zwischen Russland und Europa. Damit vertrat er eine Position, die in Deutschland bis zum russischen Einmarsch in der Ukraine von vielen Angehörigen der politischen und wirtschaftlichen Elite geteilt wurde. Der einzige prominente Deutsche, dessen Blick auf Putins Russland von Geschäftsinteressen geprägt zu sein scheint, ist Seipel beileibe nicht.
Ich finde es aber gut, dass ein Investigativ-Kollektiv endlich handfeste Spuren offenlegen kann. Das ist insbesondere wichtig, weil ein schwarzes Schaf im Journalismus andere mit herunterziehen kann.
Menschen sind sehr gut darin alles kollektiv zu verurteilen, wenn wenige von vielen aus der Reihe tanzen.