Moskau und Kiew bezichtigen sich gegenseitig eines angeblich unmittelbar bevorstehenden Anschlags auf Europas grösstes Atomkraftwerk im Süden der Ukraine. «Wir haben jetzt von unserem Geheimdienst die Information, dass das russische Militär auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke des AKW Saporischschja Gegenstände platziert hat, die Sprengstoff ähneln», sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache.
Möglicherweise solle ein Anschlag auf das Kraftwerk simuliert und die Ukraine als Drahtzieher beschuldigt werden. Selenskyj forderte internationalen Druck auf Russland, um das zu verhindern. Aus Moskau hiess es dagegen, die ukrainischen Streitkräfte planten selbst einen Angriff auf das AKW, das nahe der Front liegt.
«Leider gab es keine rechtzeitige und breite Reaktion auf den Terroranschlag gegen das Wasserkraftwerk Kachowka. Und das kann den Kreml zu neuen Übeltaten inspirieren», sagte der ukrainische Staatschef. Am 6. Juni hatte eine Explosion den Kachowka-Staudamm zerstört, woraufhin riesige Wassermassen aus dem angrenzenden Stausee strömten und Hunderte Ortschaften überfluteten.
Die ukrainische Seite ist überzeugt, dass Russland das für die Kühlwasserversorgung des AKW Saporischschja wichtige Bauwerk absichtlich sprengte. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich, Moskau hingegen dementiert und beschuldigt seinerseits Kiew der Tat.
In die Kritik der Ukraine war auch Rafael Grossi geraten, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Die Bemühungen Rafael Grossis um die Sicherheit des Atomkraftwerkes Saporischschja hätten keine Wirkung gezeigt, klagte der Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak.
Die IAEA hätte bei dem Versuch, die Sicherheit des Atomkraftwerkes zu gewährleisten, eine Kehrtwendung gemacht. Grossi hätte «herumgealbert», anstatt die Position der IAEA von Anfang deutlich zu machen. «Und wenn es eine Katastrophe gibt, dann wird er sagen, dass sie nichts damit zu tun hatten und ja vor allen Gefahren gewarnt hatten.»
Schon vor Selenskyjs Videoansprache hatten sich beide Kriegsparteien am Abend mit Vorwürfen überzogen. Bereits in der Nacht zum Mittwoch würden die ukrainischen Streitkräfte versuchen, das AKW Saporischschja mit Raketen und Drohnen anzugreifen, behauptete Renat Kartschaa, Berater des Chefs der russischen Atomenergiebehörde Rosenergoatom, am Dienstag im Staatsfernsehen. Der ukrainische Generalstab wiederum schrieb in seinem täglichen Lagebericht über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW, deren Explosion den Eindruck eines Beschusses wecken solle.
Die Sprengsätze seien an den Dächern des dritten und vierten Reaktorblocks angebracht, sollten die Reaktoren selbst aber wohl nicht beschädigen, heisst es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Die Ukraine werde nicht gegen die Normen des Völkerrechts verstossen, betonte die Militärführung in Kiew zugleich.
Genau solch einen Verstoss warf Kartschaa den Ukrainern vor. Demnach soll nicht nur das AKW beschossen werden, sondern auch zeitgleich eine mit Atomabfällen bestückte Bombe abgeworfen werden. Beweise für die Anschuldigung brachte der hochrangige Moskauer Beamte nicht vor – genauso wenig wie die ukrainische Seite.
Zwar werfen sich beide Kriegsparteien immer wieder geplante Provokationen rund um das Kraftwerk vor, zuletzt wurden die Anschuldigungen aber stetig schärfer. Jüngst trainierten Rettungskräfte in den Regionen um die ukrainischen Städte Cherson, Mykolajiw, Saporischschja und Dnipro für einen möglichen atomaren Notfall.
Aber was bezwecken beide Seiten mit ihrer verschärften Rhetorik? Laut einer aktuellen Analyse des amerikanischen «Institute for the Study of War» (ISW) könnten die russischen Vorwürfe ein Hinweis darauf sein, dass der Kreml einen sogenannten «False Flag»-Angriff auf das AKW rhetorisch vorbereitete.
Damit ist gemeint, dass Russland eine Erzählung schaffe, die einen ukrainischen Angriff auf das Kraftwerk plausibel erscheinen lassen würde. Sollte die russische Seite künftig dann tatsächlich einen Angriff auf Saporischschja durchführen, könnte der Kreml die Schuld bei der Ukraine suchen und erklären, dass man genau vor dieser Situation in der Vergangenheit gewarnt hatte. Gleichzeitig könnte Russland dadurch seine eigene Beteiligung rhetorisch verschleiern.
Das ISW wies aber darauf hin, dass ein tatsächlicher russischer Angriff aktuell unwahrscheinlich sei. Hinzukomme, dass das Kraftwerk Saporischschja so konstruiert sei, dass es erheblichen Schäden standhalten könne, ohne dass es zu einer atomaren Katastrophe kommt. Aus ukrainischen Militärquellen heisst es laut dem Bericht, dass die platzierten Sprengsätze wohl keine grösseren Schäden verursachen könnten. Bei einer Explosion könnten sie aber dennoch den fälschlichen Eindruck erwecken, dass die Ukraine das Kraftwerk beschossen hätte.
Zu einer ähnlichen Auffassung kommt auch das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz: Zum einen gefährde die Zerstörung des Kachowka-Staudamms weiterhin nicht die Kühlung des Kraftwerks. Zugleich sind seit dem vergangenen September alle Reaktoren des Kraftwerks heruntergefahren: «Damit nimmt die Nachzerfallswärme der Brennelemente ab, wodurch das Risiko eines radiologischen Unfalls kontinuierlich sinkt», heisst es in einer Einschätzung vom Dienstag.
Russische Truppen halten das Kraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine seit März 2022 besetzt. Der riesige Komplex geriet während der Gefechte mehrfach unter Beschuss, was international Sorgen vor einer Atomkatastrophe schürte. Aus Sicherheitsgründen wurde das AKW inzwischen heruntergefahren. Eine Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde ist vor Ort.
Mit Material der Agenturen dpa und Reuters
Sollte es zum Supergau kommen, wäre das wohl auf die Russen zurückzuführen. Ich glaube nicht, dass Putin irgend jemand mit Verstand eine Sprengung durch die Ukrainer abnehmen würde. Leider sind aber die Vorzeichen ähnlich wie vor der Sprenung des Staudammes.
Ist Putin echt krank genug um so etwas zu machen? Seit Februar 2022 habe ich mich das immer wieder gefragt und bisher war die Antwort leider immer: Er ist e!