Eines wolle er noch anfügen, sagt Stefan Scheibenzuber, der Bürgermeister von Wörth an der Isar. «Die Wolke werden wir vermissen», scherzt er.
Nur knapp fünf Minuten dauert es von seinem Büro im Rathaus bis zu einem der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland, dem Reaktor von Isar 2, der am Samstag – wie die Anlagen in Neckarwestheim bei Stuttgart und Lingen an der niederländischen Grenze – abgeschaltet werden soll.
Aber in Scheibenzubers Scherz, da steckt auch ein wenig Wahrheit, fügt er hinzu. Denn hier, auf dem niederbayerischen Land, bei Landshut, rund eine Stunde von München entfernt gelegen, da habe man ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Kraftwerk in der Nachbarschaft, wie Scheibenzuber sagt.
1979 wurde die Anlage in Betrieb genommen. «Ich habe mich nie unsicher gefühlt», berichtet der Bürgermeister im Gespräch mit T-Online. Trotzdem: Dass Isar 2 bald Geschichte sein wird, findet er richtig, grundsätzlich zumindest.
Aber warum ist jetzt schon Feierabend für die Atomkraft? Das kann er nicht so richtig nachvollziehen. «Ich verstehe nicht, warum man nicht auf Nummer sicher geht», sagt er. Schliesslich stecke man jetzt in einer Energiekrise, ein Blackout in den kommenden Monaten sei noch nicht ganz ausgeschlossen.
Was denkt man im AKW selbst über das Ende der Anlage und was passiert überhaupt in den letzten Tagen und Stunden, in denen der Betrieb hier läuft? Das bleibt der Öffentlichkeit inzwischen verschlossen. Eine Anfrage von t-online hat Betreiber Preussen Elektra nicht beantwortet, zu aufwendig seien die Arbeiten rund um die Abschaltung Anfang April. Zeit für Gespräche bleibe keine mehr. Bereits vor sechs Wochen hatten Reporter der «Tagesschau» die Anlage besuchen dürfen.
«Am 15. April wird hier auf der Warte ein langer und aufwendiger Prozess eingeleitet», heisst es in dem Bericht. Alles endet mit einem Knopf, auf dem «ReSA» steht, «Reaktorschnellabschaltung». Wobei, das dann alles endet, stimmt nicht ganz.
Auch wenn Isar 2 vom Netz geht, die Lichter gehen hier noch lange nicht aus. Der Rückbau der Anlage dauert viele Jahre, mit dem verbauten Metall und Beton könne man dann Strassen und Gebäude bauen, sagt Preussen-Elektra-Chef Guido Knott der «Bild».
Es ist nicht das erste Mal, dass die Anlage vom Netz geht. Einmal jährlich fuhr der Betreiber Isar 2 für eine Revision herunter. Schon dann verschwand die Wolke aus reinem Wasserdampf über dem Kühlturm des Kraftwerks, die Scheibenzuber nun so vermissen wird. Denn ab Mitte April kommt sie nicht mehr zurück.
In der bayerischen Hauptstadt deuten indes Plakate auf das Ende der Atomkraft in Deutschland hin. «Endlich mal abschalten» steht auf den Anschlägen, mit denen Greenpeace in der Stadt für das Atom-Ausstiegsfest wirbt. Bernd Schreyer, er sitzt für die Grünen im Landtag, ist zwar im Urlaub und verpasst die Party deshalb. Freuen wird er sich dennoch, wie der Münchner gegenüber T-Online erzählt.
«Atomenergie ist eine gefährliche Sache», sagt Schreyer. Seit den Achtzigern engagiert er sich gegen Atomkraft, erinnert sich gut an die tödlichen Reaktorunfälle in Fukushima und Tschernobyl. Er kenne Menschen, etwa aus dem Berchtesgadener Land, die an den Folgen von radioaktiver Strahlung erkrankt oder gestorben sind.
Nach dem Super-GAU in Tschernobyl 1986 waren mehrere bayerische Regionen vom Fallout der Reaktorkatastrophe betroffen, radioaktiv verseuchter Regen ging kurz nach dem Unglück hier nieder.
Dass Deutschland sich von der Technologie nun endgültig verabschiedet, «ist nach langem Kampf schon schön», sagt Schreyer. Eigentlich hätte das schon vor drei Monaten passieren sollen. Doch wegen der Energiekrise verlängerte die Bundesregierung die Laufzeiten noch einmal um drei Monate.
«Das habe ich gelassen aufgenommen», sagt Schreyer, dessen Parteikollegen von den Grünen für die Entscheidung schliesslich mitverantwortlich waren. «Wenn man so lange wartet, dann dürfen drei Monate keine Rolle spielen.» Schon vor einem Jahr hatte er im Gespräch mit T-Online gesagt, wenn es angesichts drohender Blackouts nötig sei, dann könne das Kraftwerk schon noch am Netz bleiben, aber höchstens ein Jahr.
Gefreut hätte er sich darüber allerdings nicht. Dass es nun nur drei Monate wurden, damit kann er leben. Und gebraucht hätte es das Atomkraftwerk trotzdem nicht mehr, ist er überzeugt. Die Alternativen, für die er sich einsetzt: Wasserstoff, mit dem man die Industrie versorgen könne. Solarstrom, der jetzt schon «abgeht wie ein Turbo», wie Schreyer sagt: «Kaum jemand baut noch ein Haus ohne Anlagen auf dem Dach.»
Und Windkraft, deren Gegner es sogar mit dem Artenschutz übertreiben, wie er sagt – wenn sie etwa sagen, dass die Windräder für Vögel ein Problem sind. Immer wieder werde zu Unrecht gegen erneuerbare Energien Polemik gemacht, findet er. Dadurch seien in Deutschland 100'000 Arbeitsplätze verloren gegangen – und nach China abgewandert.
Rund 450 Menschen sind es indes, die in der Nähe von Landshut für das Atomkraftwerk Isar 2 arbeiten. Um die Arbeitsplätze auch der Menschen in seinem Ort macht sich Wörths Bürgermeister Scheibenzuber keine Sorgen.
Auch von Betreiber Preussen Elektra heisst es, dass diejenigen, die nach dem Ende der Anlage nicht in Rente gehen, beim Rückbau oder an anderer Stelle vom Unternehmen weiter beschäftigt werden.
Mit Aktivisten wie Schreyer habe es in der Region immer «ein gutes Miteinander gegeben», findet Scheibenzuber. Die Montagsdemonstrationen, bei denen Gegner ihre Haltung vertreten haben, seien aber überschaubar gewesen. Schreyer schreibt der Bewegung indes auf die Fahne, deutlich mehr Anlagen verhindert zu haben. Er war zum Demonstrieren etwa an den – teils nie in Betrieb genommenen – Kraftwerken von Brokdorf, Kalkar oder Wackersdorf.
Auch in der Kommunalpolitik werden die Grundsätze der Bundespolitik deutlich, wenn man auf Isar 2 schaut. Der Grüne Schreyer, der sich über das Ende freut. Oder der CSU-Politiker Josef Klaus, Bürgermeister der Gemeinde Niederaichbach, die sogar noch näher an der Anlage liegt als Wörth. Klaus' Parteichef Markus Söder bezeichnete etwa den Atomausstieg als «grünen Blindflug». So drastisch wird der Rathauschef zwar nicht. Über eine Verlängerung der Laufzeit hätte er sich dennoch gefreut.
Das sähen er und viele der «Standort-Bürgermeister» so, sagt er. Das ist ein Zusammenschluss der Bürgermeister der Kommunen, in denen ein Atomreaktor steht oder stand. Was sie nun bewegt: die ausbleibenden Gewerbesteuern, die vielen Atom-Gemeinden einst etwas Wohlstand brachten. Die Energieversorgung, deren Karten nun ohne Atomstrom neu gemischt werden. Und die Endlagersuche, die noch lange nicht beendet ist.
Und so lange kein Lager für den Atommüll gefunden ist, bleibt er in vielen kleinen Zwischenlagern im Land, etwa auch in der Nähe von Isar 2. Zu tun gibt es für die Kommunen rund um die Atomkraftwerke wie Isar 2 also weiter genug. Auch dann, wenn die Stromproduktion zu Ende ist.
Klaus wird zum Abschluss noch einmal die Mannschaft im Kraftwerk besuchen, ihnen für die «hervorragende Arbeit» in den vergangenen Jahren danken, wie er erzählt. Und dann, so sagt er, geht am Samstag «eine Epoche zu Ende». Immerhin: Es ist Regen angesagt. Zumindest ein paar Wolken bleiben den Menschen an der Isar also erhalten.
(t-online/dsc)
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