International
EU

Europa hoffte auf Rückkehr von Syrern – das Gegenteil könnte passieren

Europa hoffte auf Rückkehr von Syrern – doch das Gegenteil könnte passieren

Zehn Jahre nach dem Höhepunkt der syrischen Flüchtlingskrise hoffen europäische Regierungen auf Rückkehrer. Doch Gewalt, Armut und politische Unsicherheit im «neuen Syrien» treiben viele erneut in die Flucht.
31.08.2025, 06:2531.08.2025, 06:46
Thomas Seibert / ch media
Mehr «International»

Europäische Regierungen hoffen zehn Jahre nach dem Höhepunkt der syrischen Flüchtlingswelle von 2015 auf die Rückkehr vieler Migranten in ihre Heimat, doch das Gegenteil könnte geschehen: Gewalt und Armut könnten wieder Hunderttausende aus dem Land treiben. Experten zufolge sollte die EU finanziell und politisch mehr tun, um Syrien nach dem Ende der Herrschaft von Diktator Baschar al-Assad zu stabilisieren und einen neuen Exodus zu verhindern.

A Druze militiaman mans a checkpoint following last week's sectarian clashes in the Druze-majority town of Sweida, Syria, Friday, July 25, 2025. (AP Photo/Omar Sanadiki)
Syria Clashes
Im Mai eskalierte in Syrien die angespannte Situation erneut.Bild: keystone

Wie schnell die Rückkehr in eine neue Fluchtbewegung umschlagen kann, zeigte sich im Frühjahr an der syrischen Mittelmeerküste. Als bewaffnete Kämpfer – einige von ihnen aus regierungsnahen Milizen – in das Siedlungsgebiet der syrischen Alawiten eindrangen und mehr als Tausend Menschen töteten. Daraufhin flohen innert kurzer Zeit mehr als 20'000 Menschen in den benachbarten Libanon. Seit Assads Sturz im Dezember sind 174'000 Syrer aus dem Libanon nach Syrien heimgekehrt. In derselben Zeit wanderten aber auch 106'000 Syrer in den Libanon ab.

Dass so viele Syrer die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Heimat wieder aufgeben, ist ein Alarmzeichen für Europa. Ohne grundlegende Verbesserungen in Syrien werde Europa es schwer haben, Syrer davon zu überzeugen, sich von der relativen Sicherheit der EU zu verabschieden und sich auf den Heimweg zu machen, sagt die Migrationsexpertin Kelly Petillo von der europäischen Denkfabrik ECFR. Ohne Stabilisierung des neuen Staates könnte sogar eine neue Fluchtwelle beginnen, sagt Petillo zu CH Media.

6 Millionen Syrer waren geflüchtet

Seit Dezember sind rund 750'000 Syrer aus dem Ausland heimgekehrt, wie unter anderem Zahlen der türkischen Regierung zeigen. Allein aus der Türkei gingen rund 410'000 Syrer nach Hause. Seit Ende des Schuljahres im Juni verstärkt sich dort der Rückkehr-Trend. Der Westen und arabische Staaten haben ihre Sanktionen aus der Assad-Zeit aufgehoben, es gibt erste Milliardeninvestitionen.

Doch gemessen an den Verwüstungen des Krieges sind diese Erfolge nur Tropfen auf den heissen Stein. Von den rund 6 Millionen Syrern, die vor Assad ins Ausland flohen, leben die allermeisten noch in ihren Gastländern. Wohnraum, Jobs und Schulen sind rar im neuen Syrien. Rückkehrer hausen in Zelten oder in zerbombten Häusern. Strassen- und Stromnetze sind zerstört, eine Dürre führte in diesem Jahr zur schlimmsten Missernte seit Jahrzehnten. Der Wiederaufbau werde lange dauern, sagt Migrationsexpertin Petillo.

Hinzu kommt, dass die islamistische Übergangsregierung von Präsident Ahmed al-Scharaa den Eindruck vermittelt, sie habe die Extremisten in ihren Reihen nicht unter Kontrolle oder stärke ihnen sogar den Rücken. Gewalt an Minderheiten, Vorschriften wie die Pflicht für Ganzkörper-Badeanzüge für Frauen – sogenannte Burkinis – an öffentlichen Stränden und Berichte über Musikverbote bei Hochzeiten schüren die Furcht, Scharaa wolle eine sunnitische Zwangsherrschaft errichten.

Druck auf Scharaas Übergangsregierung sei nötig

Noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich ähnlich viele Syrer wie im Jahr 2015 auf den Weg nach Europa machen. Auf den griechischen Ägäis-Inseln, die 2015 die Rekordzahl von 857'000 Bootsflüchtlingen innerhalb eines Jahres registrierten, zählte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in diesem Jahr bisher 24'000 Neuankömmlinge, darunter nicht einmal 500 Syrer.

Doch die Zahlen könnten bald wieder steigen. Wenn das neue Syrien keinen Ausweg aus Gewalt, Arbeitslosigkeit und Armut biete, sei eine neue Fluchtwelle absehbar, sagt Petillo. Wie 2015 würden viele Syrer nicht in Nachbarländern bleiben, «weil die Lebensbedingungen dort schwierig sind und die Regierungen dieser Länder den syrischen Flüchtlingen viele Steine in den Weg legen». Das Ziel wäre wieder Europa.

Schon aus eigenem Interesse sollte die EU deshalb mehr in Syrien investieren, nicht nur finanziell, meint die Expertin. So könnte Europa mässigend auf die Türkei und auf Israel einwirken. Die Türkei hält Teile von Nordsyrien besetzt, und Israel fliegt seit Dezember immer wieder Luftangriffe in Syrien, auch auf die Hauptstadt Damaskus. Zudem sollte Europa politischen Druck auf Scharaas Übergangsregierung ausüben, um den Schutz von Minderheiten durchzusetzen, sagt Petillo.

Vor allem aber erfordere Syrien ein kontinuierliches Engagement der EU. «Es reicht nicht, die Sanktionen aufzuheben und die Syrer dann ihrem Schicksal zu überlassen», sagt Petillo. «Wenn die Europäer nicht dabei helfen, die Voraussetzungen für eine Rückkehr und die Lebensbedingungen auf Dauer zu verbessern, dann könnten die Syrer ihr Land wieder verlassen.» (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
84 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sturmliechtli
31.08.2025 08:58registriert Februar 2025
ab der naivität der europäischen politik (ink.CH) bleibt man öfters mal sprachlos.
1139
Melden
Zum Kommentar
avatar
ofehrmedia
31.08.2025 08:05registriert Dezember 2022
Man sollte aufhören in Kategorien wie 'Syriern' zu denken und anfangen das nach Ethnie und Glauben aufzuschlüsseln. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob man es mit Sunniten, Alawawiten, Kurden, Christen oder Drusen zu tun hat.
Hierbei sind wohl nur die ersten in Syrien einigermaßen sicher, aber auch nur dann, wenn sie islamistisch-religiös und nicht säkular sind. Seit die 'Demokratische Opposition' an der Macht ist, entwickelt sich Syrien zum Islamischen Emirat, welches keine Abweichler duldet.
Aber Hauptsache Assad ist weg, nicht wahr.
9615
Melden
Zum Kommentar
avatar
Effersone
31.08.2025 09:00registriert April 2016
Ist auch ziemlich naiv zu glauben, dass die Leute freiwillig zurückkehren werden. Man wird die Leute zurück führen müssen. Das wird jedoch niemelas passieren und es wird sich erneut bestätigen, das Asyl nichts anderes als Migration durch die Hintertür ist und die Menschen gekommen sind um zu bleiben.
9820
Melden
Zum Kommentar
84
Propaganda-Expertin: «Es ist wichtig, Diktatoren nicht wie Stars zu behandeln»
Im Interview erklärt Sylvia Sasse, warum der US-Präsident Putins Darstellung des Kriegs übernimmt, wozu «Anti-Fake»-Sendungen in Russland dienen – und weshalb Propaganda auch im Westen so gut verfängt.
Donald Trump und Wladimir Putin haben sich kürzlich getroffen, um über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu reden. Nach dem Gespräch schien der US-Präsident einige von Putins Standpunkten zu übernehmen. Weshalb lässt sich Trump so leicht von Putins Version des Kriegs einfangen?
Sylvia Sasse: Donald Trump ist sein Amt mit dem Versprechen angetreten, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Aber ich glaube, er versteht Putins Krieg nicht. Immer dann, wenn er merkt, dass die Friedensverhandlungen nichts bringen, sucht er andere Schuldige – mal ist es Biden, mal Selenskyj. Dabei übernimmt er auch die Erzählung von Putin.
Zur Story