Seine Reputation retten. Reparieren, was noch zu reparieren ist. Mit diesem Beweggrund bringt Michel Houellebecq am kommenden Mittwoch auf Französisch sein neustes Werk heraus: «Quelques mois dans ma vie» - «einige Monate in meinem Leben».Der Untertitel präzisiert: von Oktober 2022 bis März 2023. So lange durchlebte der meistgelesene Autor Frankreichs nach eigener Darstellung «die Hölle».
Es ist ein seltsames Buch, nur 103 Seiten lang, ganz in Schwarz gehalten, eher eine Chronik als Literatur, aber gefühlter als jeder Roman, voller Scham, Rachegefühl und Hass, wie er selber schreibt. Es ist eine bittere Abrechnung mit dem niederländischen Künstlerkollektiv Kirac, geführt mit Houellebecqs schärfsten Waffe - seinen Worten. Am Schluss steht der grosse, so provokante und sprachgewaltige Starautor allerdings selber wie eine erbärmliche Figur da, oder wie es das rechte Pariser Magazin L'Iincorrect ausdrückt: «Nackt wie ein Wurm».
Den Anfang machte am 6. Oktober ein Mail von Kirac-Leiter Stefan Ruitenbeek an Houellebecq. Bald sagte der 67-jährige, französische Skandalautor zu, in einem kunsterotischen Film sich selber zu spielen - beim Sex. Das Resultat war anfangs dieses Jahres in einem widerlich ästhetisierten Trailer zu sehen, den Kirac ins Netz stellte; es zeigt einen zerzausten und tränenden Houellebecq, wie er eine Zigarette kaut und sich dann im Bett unter einer Decke leidenschaftlich mit einer Frau abgibt.
In seinem Buch nennt Houellebecq die Frau nur «la Truie», die Muttersau. «Sie hätte vielleicht gerne den schönen Namen ‹Schlampe› verdient», schreibt ihr Bettgefährte. «In Wirklichkeit war sie nicht einmal eine schlechte Schlampe, es war schlimmer»: Sie habe das Sexvideo auf der umstrittenen Plattform Onlyfans versilbern wollen.
Das will Houellebecq aber erst später erfahren haben. Ebenso die miesen Absichten zweier anderer Frauen, genannt «Pute» und «Viper», sowie Ruitenbeeks Absicht, die gefilmten Sexszenen online zu stellen.
Der Haken an Houellebecqs Darstellung: Er hatte selber schriftlich die Zustimmung gegeben. In seinem Buch druckt er den Vertrag sogar ab. Er regelt die Dinge bis in die Details: «Die Gesichter von Michel Houellebecq und Lysis Houellebecq werden nie zusammen mit dem Penis von Michel oder der Vagina von Lysis gezeigt», heisst es etwa in Punkt 1.3. Houellebecq behauptete später, er habe den Vertrag nur unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss unterzeichnet.
Aber auch Wochen später machte er bei den Dreharbeiten in Paris und Amsterdam noch mit. Wie er nun schreibt, fragte er sich schon damals: «Was mache ich hier nur mit diesen Deppen?» Von Ruitenbeek - den er nur «Cafard» nennt, zu Deutsch: die Küchenschabe - fühlte er sich betrogen, missbraucht, reingelegt. Zuerst reichte er in Paris Klage auf Verletzung der Privatsphäre ein. Er blitzte ab, gelangte an ein Gericht in Amsterdam, doch auch dieses befand, der Vertrag sei gültig.
Houellebecq wähnte sich vollends in der Falle, als er einen anderen erotischen Kirac-Film namens «Honeypot» sah: Darin wurde der rechtskonservative holländische Philosoph Sid Lukassen lächerlich gemacht, ja erniedrigt. Und steht Houellebecq nicht selber im Ruf, Sympathien für die islamfeindliche Rechte zu hegen? In Frankreich ist erst kürzlich eine Recherche erschienen, in dem der Journalist François Krug Houellebecq und die Pariser Lokalgrössen Sylvain Tesson und Yann Moix in dieses Eck rückte. In seinem neuen Buch entschuldigt sich Houellebecq nebenbei «aufrichtig» dafür, dass er den Eindruck erweckt habe, alle Muslime seien «Diebe».
Ruitenbeek alias die Küchenschabe bestreitet politische Motive. Er will, wie er in Interviews ausführt, eher das postmoderne Theorem belegen, dass heute gerade ein Schriftsteller wie Houellebecq «nicht mehr zwischen sich und seiner Literatur unterscheiden» könne.
Bleibt die Frage, warum er überhaupt mitspielte. «Ich bin nicht Exhibitionist», schreibt er, um sich in houellebecqscher Manier gleich selber zu dementieren: Fünf Buchseiten zuvor explizierte er seine ultimative Sexfantasie mit zwei Frauen, die sich seinem Gemächt widmen; und seinen Hang zur Sexfilmen führt er auch auf eine Begegnung mit einer jungen deutschen Geliebten namens M. zurück, die ihn auf Amateurplattformen wie Youporn gebracht habe.
Insofern bestätigt er auch Ruitenbeeks Ansatz der Vermischung von Fiktion und Realität. Nur, so führt Houellebecq aus, habe er im Unterschied zu Kirac keinerlei mediale oder gar kommerzielle Hintergedanken verfolgt. «Ich wollte mit meiner Frau schon immer Pornovideos drehen, aber einzig zu privaten Zwecken», schreibt er zu Lysis Li, 33, mit der er seit 2018 verheiratet ist.
Jetzt führt der Autor von Romanen wie «Unterwerfung» und zuletzt «Vernichten» aus, wie er das Gefühl der Schande kennenlernte und zu seinem Bedauern erstmals denkt, dass käuflicher Sex «etwas Schmutziges» habe. Also tröstet er sich mit seinem Lieblingsautor Baudelaire (1821 bis 1867). «Man sagt, man müsse die scheusslichsten Dinge im Brunnen des Vergessens oder den Friedhöfen versenken», zitiert er ihn.
Dann riss ihn aber ein Freund aus seiner postpornografischen Depression: Gérard Depardieu, das französische Filmmonument, derzeit gerade von 13 Frauen sexueller Übergriffe bezichtigt, gab ihm einen Rat: «Nie aufgeben, bis an die Grenze seiner Kräfte kämpfen.» Michel beschliesst damit sein Buch, auch wenn er defätistisch einräumt, dass er in seinem Berufungsprozess in Amsterdam nur «schwache Chancen» sehe.
Die Druckerschwärze war noch nicht trocken, da erging das Urteil - und Houellebecq hat zum Teil recht erhalten. Die Amsterdamer Richter (lehnten es zwar ab, den Film wie von dem Franzosen verlangt zu verbieten. Aber sie schliessen die Gefahr einer Rufschädigung nicht aus. Houellebecq erhält das Recht, das Video einzusehen und die Streichung einzelner Sequenzen zu verlangen. Wenn Ruitenbeek nicht darauf eingeht, kann Houellebecq erneut klagen. «Gérard», wie er Depardieu nennt, habt eben recht: Der Kampf ist nie zu Ende.
Er hat einen Porno gedreht und bekommt nun kalte Füsse ob seiner vermutlich schlechten Leistung.
Oder aber, er will durch sein Geschreibsel auch noch ein Stückchen vom Porno-Geld-Kuchen abhaben.
Wobei das Interesse der zahlenden Öffentlichkeit relativ gering sein dürfte.