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Rabiate Bauernproteste in Frankreich wecken Erinnerungen an «Gelbwesten»

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Bauern aus Okzitanien bei den Protesten, 22. Januar 2024. Bild: keystone

Rabiate Bauernproteste in Frankreich wecken Erinnerungen an «Gelbwesten»

Besetzungen, Autobahnblockaden, Sprengungen: In Frankreich, dem grössten Agrarland der EU, schalten sich die Landwirte in die zunehmend politisierten Proteste ein.
22.01.2024, 16:2422.01.2024, 16:24
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Vorerst zeigen sie nur die Muskeln. Seit Freitag sperren französische Bauern in der Gegend der südfranzösischen Pyrenäen-Metropole Toulouse mehrere Nationalstrassen und Autobahnen wie die überregionale A64. Insgesamt 450 Traktoren sind aufgefahren. Die Fahrer richten sich an Kreiseln und Mautstellen für längere Blockaden ein; sie schleppen Würste, Bier und sogar mobile Toiletten an.

Das alles wirkt wie ein Vorgeschmack auf die landesweiten Proteste der Gelbwesten («Gilets jaunes») vor fünf Jahren. Die meist schlecht bezahlten Arbeiter vom Land hatten Präsident Emmanuel Macron eine erste, sehr gewalttätige Sozialkrise eingebrockt.

Und wenn die französischen Bauern auf die Barrikaden gehen, müssen sich die Politiker in Paris und Brüssel ebenfalls anschnallen. Im grössten Agrarland der EU mit einer Nutzfläche von über 27 Millionen Hektaren verfügen die Landwirte über eine sehr wirksame Lobby. Zum Vergleich: Die Schweiz hat 1 Million Hektaren Landwirtschaftsland.

Die Wut nimmt zu

Und die französischen Bauern gehen, wenn einmal aufgewacht, zur Sache wie die Gelbwesten. Ende vergangenen Jahres leerten sie billigen Wein aus Spanien aus den gekaperten Tanklastern auf den Asphalt. In der bretonischen Hauptstadt Rennes besetzten sie im Dezember Behördenlokale. Und in vielen Dörfern haben sie Ortstafeln verkehrt herum aufgehängt. Damit wollen sie zeigen, dass die Agrarpolitik «auf dem Kopf steht», wie der Präsident des mächtigen Bauernverbandes FNSEA, Arnaud Rousseau, erklärte.

Am Freitag zündeten Vertreter des radikalen Winzer-Kollektivs CAV in Carcassonne einen Sprengsatz im Büro der Umweltbehörde Dreal. Damit bekundeten sie ihre Wut über die zunehmenden Ökoauflagen, etwa, was den Einsatz von Pestiziden und anderen Chemikalien betrifft.

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Bauern am 22. Januar 2024.Bild: keystone

Auch sonst fordern die französischen Landwirte ähnlich wie ihre deutschen Kollegen Massnahmen gegen die Inflation und die gleichzeitig sinkenden Einkommen. Konkret wollen sie bleibende Zuschüsse für Agrardiesel und weniger Steuern auf den Wasserbezug.

Die Regierung in Paris empfing am Montag eine Delegation des Bauernverbandes FNSEA. Die Landwirte erwarteten aber nicht viel und kündigten an, sie würden ihre Protestaktionen auf «ganz Frankreich» ausweiten.

Politisches Fernduell

An diesem Wochenende ist die erst anlaufende Bewegung bereits politisch vereinnahmt worden. Präsident Macron schickte seinen neuen Premierminister Gabriel Attal an die Front, um sein Verständnis für die Anliegen der Bauernschaft zu zeigen. Im Dorf Saint-Laurent d'Agny im Rhonetal diskutierte Attal mit 150 Bewohnern. Er brachte aber nur das Versprechen mit, die Behördennormen und den Papierkram der Landwirte zu verringern.

Im Bordeaux-Weingebiet zeigte sich der Vorsteher des rechtspopulistischen «Rassemblement National», Jordan Bardella im Örtchen Queyrac. Er wetterte gegen die EU-Agrarpolitik, welche die französische Bauernschaft erdrossle. Dass diese von Brüssel 9.4 Milliarden Euro an Subvention bezieht, mehr als in jedem anderen EU-Land, überging Bardella, der bei den Europawahlen von Juni die Liste der Rechtspopulistin Marine Le Pen anführt.

Sein Parallelauftritt neben Attal wirkte wie ein Fernduell vor den Europawahlen. Macron gerät durch die Bauernproteste mehr denn je in die Defensive.

Die Landwirte widersprechen sich zwar oft selbst, wenn sie die Umweltauflagen aus Paris und Brüssel anprangern, obwohl auch sie sehr direkt unter den Dürren und anderen Klimafolgen leiden. Macron weiss aber, wie rabiat die französischen Bauern seit den Jacquerien im Mittelalter mit Heugabeln gegen die Zentralgewalt vorgingen – damals gegen den König, heute mit gelben Leuchtwesten gegen den Staatschef.

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