Jetzt machen sogar die einstigen Vertrauten Druck auf Emmanuel Macron
Zehn europäische und arabische Aussenminister werden am Donnerstag zu Nahostgesprächen in Paris erwartet. Bloss: von wem?
Frankreichs bisheriger Chefdiplomat Jean-Noël Barrot ist an sich «démissionnaire», das heisst, er ist zurückgetreten, also nicht mehr im Amt. Eigentlich.
Seine Amtskollegen haben aber Glück: Ihr Gastgeber Barrot wird im Quai d’Orsay, dem französischen Aussenministerium, höchstwahrscheinlich präsent sein. Er gehört zum harten Kern jener Ministerinnen und Minister, die schon zwei oder drei Premierminister erlebt haben; laut der Ministerliste von Sonntagabend soll er auch dem «Neuen» Sébastien Lecornu dienen.
Oder besser: sollte. Lecornu hat seinen Posten am Montag gleich wieder abgegeben. Er merkte an, das Regieren sei in dem aktuellen Politchaos in Paris nicht mehr möglich. Der Präsident billigte seinen Rücktritt, bat aber Lecornu dessen ungeachtet, bis Mittwochabend einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu suchen.
In der Zwischenzeit will der riesige französische Zentralstaat aber gelenkt sein. Derzeit verfügt er nicht einmal über einen Haushaltentwurf für das kommende Jahr. Und auch über keine Regierung. Emmanuel Macron denkt auch nicht gerne an die hausgemachte Krise. Lieber empfing er am Mittwoch im Elysée-Palast den jordanischen Erbprinzen Hussein – dessen Gattin Rajwa gar mit einem vollendeten Handkuss. Die Welt dreht sich schliesslich weiter, auch wenn die Pariser Politik stillsteht.
Wie Barrot bemühen sich viele «demissionierten» Kollegen, die laufenden Geschäfte weiterzuführen. Ein behördliches Rundschreiben präzisiert, welche Amtshandlungen, Ernennungen und dergleichen diese Fantomminister noch vornehmen können und sollen, um «im Namen der Kontinuität ein minimales Funktionieren des Staates zu gewährleisten».
Das sehr bürokratisch klingende Rundschreiben stammt von einem «allgemeinen Regierungssekretariat», von dessen Existenz die Nation gerade erst erfährt.
Verirrte Drohne oder Regierungskrise?
Das allgemeine Sekretariat, dessen Zusammensetzung wie bei Kafka geheim bleibt, regelt auch die Amtsübergabe in den Ministerien. Nur funktionieren in den Kabinetten offenbar die Dienstcomputer und -Handys noch nicht, wie die Webseite Contexte vermeldete.
Der am Sonntag neu berufene, aber am Montag bereits wieder zurückgetretene Armeeminister Bruno Le Maire erzählte, wie er erfolglos versucht habe, Innenminister Bruno Retailleau zu erreichen. Zum Schluss rief er in seiner Verzweiflung wie ein normaler Bürger die Telefonzentrale des Innenministeriums an, um sich zu «Minister Retailleau» verbinden zu lassen, wie er bat. Der Mann am Draht antwortete nur, er sei nicht zum Scherzen aufgelegt, und legte auf.
Warum der Armee- den Polizeiminister anrufen wollte, sagte Le Maire nicht. Flog eine fremde Drohne über Frankreich? Oder ging es um die Regierungskrise? Wohl eher das.
Der Rechtspopulistin Marine Le Pen ist es aber auch nicht mehr zum Scherzen zumute: «Die Farce hat genug gedauert», befand sie am Mittwoch, um einmal mehr Neuwahlen zu fordern. Die linken «Unbeugsamen» von Jean-Luc Mélenchon reichten in der Nationalversammlung ihrerseits einen Antrag auf Amtsenthebung Macrons ein. Das Parlamentsbüro lehnte ihn mit zehn zu fünf Stimmen ab.
Auch in den gemässigteren Parteien mehren sich aber die frontalen Angriffe auf den Staatschef. «Macron lässt Frankreich untergehen», erklärte der konservative Ex-Minister Jean-François Copé. Neuerdings stösst der Präsident in seinem eigenen Mitte-Lager auf Widerspruch. Einer seiner treusten Weggefährten, Ex-Premier Gabriel Attal, sagte: «Ich kann seine Entscheide nicht mehr verstehen.»
Macrons erster Premierminister Edouard Philippe fordert verklausuliert den Rücktritt seines früheren Vorgesetzten: Macron solle dafür sorgen, dass das Budget 2026 zeitnah verabschiedet werde; sei das geschehen, solle er vorgezogene Präsidentschaftswahlen anordnen. Bei denen Macron nicht mehr selber antreten könnte. Angesichts der katastrophalen Umfragen – 60 Prozent der Franzosen verlangen den Rücktritt des Präsidenten – hätte er ohnehin keine Chancen mehr. (aargauerzeitung.ch)