Dem grössten lebenden Schauspieler Frankreichs, 76 Jahre alt und 130 Kilo schwer, gehe es vor dem Prozess «nur mittelprächtig», teilte seine Tochter Julie mit. Im Oktober hatte Gérard Depardieu den Gerichtstermin noch wegen einer Bypass-Operation und Diabetes platzen lassen. Jetzt dürfte er dem Kadi nicht mehr entgehen.
Am Montag und Dienstag muss er sich vor einem Pariser Gericht wegen sexueller Attacken auf zwei Frauen während eines Drehs 2021 für den Film Les volets verts verteidigen. Die Details zeugen von den Manieren eines Filmstars, der sich im Studio laut einer beteiligten Schauspielerin wie ein «König» aufführte.
Eine der beiden Klägerinnen, eine heute 55-jährige Dekorateurin, berichtete, Depardieu habe an dem Dreh in einem Pariser Palast plötzlich herumgeschrien, er brauche wegen der Hitze einen Ventilator, um – sexuell – auf Touren zu kommen; schliesslich könne er eine Frau zum Orgasmus bringen, ohne sie zu berühren. Eine Stunde später habe er die Dekorateurin brutal gepackt. Mit seinen Schenkeln habe er sie «wie eine Krabbe» gegen die Mauer geklemmt, um dann ihre Taille und ihren Bauch bis zu den Brüsten zu kneten, begleitet von obszönen Sprüchen über seinen hart gewordenen «Sonnenschirm».
Wegen einer ähnlichen Szene reichte auch eine Regieassistentin Anzeige ein. Gegenüber dem Newsportal Mediapart haben insgesamt 20 Frauen über sexuelle Angriffe durch Depardieu berichtet. Einige Fälle sind verjährt. Der schwerste Fall wird in einem eigenen Strafprozess aufgerollt werden. Die junge Schauspielerin Charlotte Arnould wirft dem «monstre sacré» des französischen Films vor, er habe sie in seiner Stadtvilla in Paris 2018 vergewaltigt. Eine Videokamera filmte, wie er sich auf einem Sofa an die magersüchtige, nur 37 Kilo schwere Frau heranmachte, dann verschwand er mit ihr ins – kameralose – Schlafzimmer. Und das an zwei verschiedenen Tagen. Depardieus Anwalt fragte bereits, warum Arnould zurückgekommen sei. Ein Prozessdatum steht in dieser Affäre noch nicht fest.
Der Fall offenbart schon heute den Einfluss der #MeToo-Welle. 2018 hatte die Pariser Justiz das Verfahren eingestellt; zwei Jahre später, nach der Verurteilung des US-Produzenten Harvey Weinstein in Hollywood, liess sie Arnoulds Klage wegen Vergewaltigung hingegen zu.
Depardieu hat sich 2023 für sein «kindisches» Benehmen in einem offenen Brief entschuldigt. Sexuelle Gewalt bestreitet er aber. «Nie, aber gar nie habe ich eine Frau missbraucht», schrieb er in einem offenen Brief in der Zeitung «Le Figaro» fest.
Seit Les volets verts (Regie: Jean Becker) hat der unersättliche Darsteller von 200 Filmrollen keinen Streifen mehr gedreht. Wie tief «Gégé» (so ein früherer Übernahme) im nationalen Ansehen gesunken ist, zeigt die Entfernung seiner Wachsfigur aus dem Pariser Kabinett Grévin. Staatschef Emmanuel Macron verteidigte 2023 einen «immensen Schauspieler», auf den Frankreich «stolz» sein könne und der keine «Hexenjagd» verdient habe.
Dagegen stehen Aussagen zahlreicher Schauspielerinnen. Einige wenige, die Depardieu seit Jahrzehnten kennen, wie etwa Catherine Deneuve, Carole Bouquet oder Fanny Ardant, hatten den Kolumbus- und Obelix-Darsteller zuerst verteidigt; jetzt, da MeToo das französische Kino erreicht hat, äussern sie sich nicht mehr öffentlich.
An Demos und im Fernsehen verurteilte die Feministin Louise-Anne Baudrier den Umstand, dass «viele Personen wussten, was Depardieu tat, ohne dass sie etwas sagten». Anouk Grinberg, die auch in Les Volets verts spielte, geht noch weiter: «Wenn ein Produzent Depardieu anheuerte, wusste er, dass er einen Aggressor anheuerte.» Das alles sei aber tabu gewesen; im französischen Filmwesen seien übergriffige Schauspieler und Regisseure durch die Omertà, das Gesetz des Schweigens, geschützt gewesen. Allen voran Depardieu, der meist nur betretene oder gar zustimmende Lacher geerntet habe, wenn er eine Schminkerin oder Statistin angemacht habe.
Unter dem öffentlichen Druck hat die Nationalversammlung nun eine Untersuchungskommission zum sexuellen Missbrauch im französischen Filmwesen eingesetzt. Ein Teil der Anhörungen findet kurioserweise hinter verschlossenen Türen statt; deshalb weiss man nicht, was Schauspielerinnen wie Juliette Binoche zu sagen hatten. Ihre Berufskollegin Judith Godrèche, die gegen die Regisseure Jacques Doillon und Benoît Jacquot Anzeige erstattet hat, rührte die Parlamentarier zu Tränen, als sie von der Einsamkeit anonymer Schauspielerinnen gegenüber männlicher «prédateurs» (Raubtiere) berichtete.
Vergangene Woche konterte der bekannte Pariser Produzent und Agent Dominique Besnehard vor der Untersuchungskommission in einem ebenso emotionalen Auftritt. «Einen Theaterkurs nimmt man in einem Theater, nicht bei einem Schauspieler zu Hause», erklärte er. «Mit Verlaub, als Weinstein nach Cannes kam, gingen ihn einzelne Schauspielerinnen im Hotelzimmer besuchen, um eine US-Karriere zu starten.»
Besnehard ist kein sprücheklopfender Macho; er begrüsst die MeToo-Bewegung grundsätzlich. 2023 unterzeichnete er eine Petition namens «Tilgt Depardieu nicht aus». Vor der Nationalversammlung meinte er, Depardieu habe sich nach dem Tod seines hochsensiblen Sohnes Guillaume – auch er Schauspieler – stark verändert, ja er sei «getaumelt».
Das äussert sich nicht nur in seinem rüden Verhalten an Drehorten, sondern auch durch sein Alkoholproblem. Es führte schon zu Motorradunfällen – oder einem Zwischenfall auf dem Flug Paris-Dublin, als Depardieu mangels freier Toiletten in den Mittelgang urinierte.
Das Schwergewicht des französischen Films fühlte sich auch sonst so frei. Wegen erschwerter Hinterziehung und Steuerflucht nach Belgien startete die Pariser Staatsanwaltschaft letztes Jahr ein Verfahren gegen ihn. Der Inhaber eines französischen, russischen und emiratischen Passes sucht derzeit auch, seine Villa in der Normandie zu verkaufen, da er mit Frankreich – wieder einmal – gebrochen hat.
Sinkt seine Laune gegenüber seinem Heimatland, nähert sich Depardieu gerne seinem russischen Freund Wladimir Putin an. Dafür heftig kritisiert, erklärte er 2022, er werde ukrainische Kriegsopfer unterstützen. Aber Russland – konkret sein Holzhaus südlich von Moskau – bleibt seine zweite Heimat, sein Exil.
Dass der Mittsiebziger nicht merken sollte, wie sich die Dinge in Paris geändert haben, kostete ihn bereits die Schauspielkarriere. Und jetzt wird es ihm ein paar unangenehme Momente auf einer Anklagebank einbrocken. (bzbasel.ch)
Aber er gibt den Frauen die Schuld an den Übergriffen von Depardieu und steht grundsätzlich auf seiner Seite. Genau solche Seilschaften mächtiger Männer ermöglichen die Kultur von sexualisierter Gewalt an Frauen über Jahrzehnte. Es gibt nichts zu beschönigen Herr Brändle.