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Georgien: Richtungsweisende Wahl – wohin strebt das Land?

Richtungsweisende Wahl in Georgien: Wohin strebt das Land?

In der Schwarzmeer-Republik Georgien wählen die Menschen an diesem Samstag ein neues Parlament. Die Abstimmung gilt als richtungsweisend für die Zukunft des Landes. Möglich ist eine Annäherung an die EU oder mehr Zusammenarbeit mit Russland.
26.10.2024, 06:5026.10.2024, 10:07
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Rund 3,5 Millionen Menschen sind zur Wahl aufgerufen. Die Südkaukasusrepublik ist EU-Beitrittskandidat, wegen umstrittener Gesetze liegt der Prozess derzeit aber auf Eis.

Als eine der ersten Wählerinnen gab die proeuropäische Präsidentin des Landes, Salome Surabischwili, ihre Stimme am Morgen in einem Wahllokal in der Hauptstadt Tiflis ab. «Ich bin zuversichtlich, dass dieser Tag die Zukunft Georgiens bestimmen wird», sagte die 72-Jährige. Mit einer Reformagenda hatte sie für die Wahl ein Bündnis der Opposition initiiert.

Georgiens Regierungschef rechnet mit klarem Wahlsieg

Bei der Parlamentswahl in der Republik Georgien im Südkaukasus rechnet die Regierung mit einem deutlichen Sieg. «Unsere Prognose ist optimistisch, wir erwarten von der Bevölkerung 60 Prozent der Stimmen», sagte Regierungschef Irakli Kobachidse der Nachrichtenagentur Interpressnews zufolge bei der Stimmabgabe. Dabei betonte er einmal mehr die Bedeutung der Wahl für die künftige Ausrichtung des Landes.

12.04.2024, Berlin: Der Ministerpr
Georgiens Regierungschef Irakli Kobachidse rechnet mit einem klaren Wahlsieg.Bild: keystone

Es gehe wie 2012 darum, die weitere Entwicklung des Landes festzulegen, sagte Kobachidse. Damals löste die bis heute herrschende Partei Georgischer Traum die zuvor regierende Vereinte Nationale Bewegung unter Präsident Michail Saakaschwili ab. «Das ist ein Referendum über Krieg und Frieden, zwischen amoralischer Propaganda und traditionellen Werten; ein Referendum über die dunkle Vergangenheit und die lichte Zukunft des Landes», sagte Kobachidse nun.

Regierende Partei will an der Macht bleiben

Die prowestliche Opposition hat sich in vier Wahlbündnissen zusammengetan, bleibt aber zerstritten. Einig sind sie sich nur darüber, dass das Land einen europäischen Kurs einschlagen soll. Die seit 2012 regierende Partei Georgischer Traum will an der Macht bleiben. Umfragen in dem traditionell polarisierten Land erbrachten teils widersprüchliche Ergebnisse und sind nach Meinung von Fachleuten unzuverlässig. Deshalb haben vor allem auch Nichtregierungsorganisationen viele Beobachter im Einsatz, um die Abstimmung zu kontrollieren. Wahlrechtsexperten haben schon einen Missbrauch staatlicher Ressourcen durch die Regierungspartei beklagt.

Die Präsidentin Salome Surabischwili hat eine Reformagenda, die Georgische Charta, initiiert. Grosse Teile der Opposition haben sie unterzeichnet. Demnach soll die Opposition bei einem Wahlsieg eine «technische Regierung» bilden, die Reformen umsetzt und das Land wieder auf einen europäischen Kurs bringt. In einem Jahr soll es dann vorgezogene Neuwahlen geben. Weil die Opposition zerstritten ist, gibt es Zweifel im Land, ob dieser Plan gelingt.

ARCHIV - 18.02.2024, Bayern, München: Salome Surabischwili, Präsidentin von Georgien aufgenommen am letzten Tag der 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Hotel Bayerischer Hof. (zu dpa: «Georgisc ...
Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili hat eine Reformagenda initiiert.Bild: keystone

Regierungspartei schürt Kriegsängste bei Sieg der Opposition

Der vom Milliardär Bidsina Iwanischwili gegründete Georgische Traum verspricht Wählern Stabilität und Frieden. Die Partei steht für einen nationalkonservativen Kurs und eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland. Iwanischwili hat sein Geld dort im Banken- und Rohstoffsektor gemacht und besass auch lange einen russischen Pass. Seine Partei schürt Ängste vor einem Krieg mit dem grossen Nachbarn im Norden, sollte die Opposition gewinnen.

Iwanischwili macht die Partei des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili, Vereinte Nationale Bewegung, für den Krieg mit Russland 2008 verantwortlich. Moskau erkannte danach die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten an. So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets. Die Vereinte Nationale Bewegung regierte bis 2012 und ist nun die grösste Oppositionspartei. Iwanischwili kündigte mehrfach an, sie verbieten zu wollen, sollte der Georgische Traum bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erlangen.

Die EU wirft der georgischen Regierung einen antieuropäischen Kurs vor. Das Land am Schwarzen Meer ist zwar seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat, der Prozess liegt wegen der Verabschiedung umstrittener Gesetze aber auf Eis. Die Regierung hatte ein Gesetz nach russischem Muster durchgesetzt, das den angeblichen ausländischen Einfluss auf die Zivilgesellschaft beschneiden soll. Auch die Rechte sexueller Minderheiten hat sie eingeschränkt.

Kundgebungen vor der Wahl

Das Land ist gespalten. Knapp eine Woche vor der Wahl demonstrierten Zehntausende in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) für eine Annäherung an die EU. Wenige Tage später waren ebenfalls Zehntausende bei einer Kundgebung der Regierungspartei in Tiflis. Die Partei hatte dabei Busse organisiert, mit denen viele Menschen aus teils weit entfernten Regionen Georgiens in die Hauptstadt gefahren wurden.

Elektronische Auszählung

Neu sind bei dieser Parlamentswahl elektronische Geräte in den Wahllokalen. Sie werden zur Identifizierung der Wahlberechtigten, zur Auszählung der Stimmen und zur Feststellung und Übermittlung der vorläufigen Wahlergebnisse eingesetzt. Die Wahlkommission erklärte mehrfach, dass die Geräte nicht mit dem Internet verbunden seien und das Wahlgeheimnis gewahrt werde.

Georgien hat rund 3,7 Millionen Einwohner, mit den im Ausland lebenden Bürgern sind 3,5 Millionen Menschen wahlberechtigt. Die Wahllokale sind von 8.00 bis 20.00 Uhr geöffnet (6.00 bis 18.00 Uhr MESZ). Aussagekräftige Ergebnisse werden am späten Samstagabend erwartet. Nach der Abstimmung will auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die mit 500 Wahlbeobachtern im Einsatz ist, den Urnengang nach demokratischen Gesichtspunkten beurteilen. (hkl/sda/dpa)

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