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Gesellschaft & Politik

Was die SPD der AfD entgegensetzen könnte

«Keine Lust, verarscht zu werden» – was die SPD der AfD entgegensetzen könnte

Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, dem ersten grösseren Stimmungstest seit der Bundestagswahl, legen die Rechten vor allem im Ruhrgebiet zu. Die Sozialdemokraten sind der grosse Verlierer – doch ein Ergebnis könnte ihnen Hoffnung machen.
15.09.2025, 11:5915.09.2025, 12:00
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media

Das Ruhrgebiet im Westen Deutschlands galt einmal als «Herzkammer der SPD». Sozialdemokraten kontrollierten die Rathäuser; ein Milieu aus Partei, Gewerkschaften und Vereinen sorgte dafür, dass die Leute wussten, wo sie hingehörten und wen sie zu wählen hatten.

epa12249586 Alice Weidel, co-leader of the Alternative for Germany (AfD) party, arrives to attend a summer interview with public broadcaster ARD in Berlin, Germany, 20 July 2025. EPA/HANNIBAL HANSCHKE
Eilt derzeit von Erfolg zu Erfolg: AfD-Chefin Alice Weidel.Bild: keystone

Diese Zeiten sind lange vorbei. Bei den Kommunalwahlen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, die am Sonntag stattfanden, landete die SPD mit 22 Prozent nur noch auf dem dritten Platz. Den ersten Rang nehmen mit 33 Prozent die Christdemokraten ein, doch der eigentliche Sieger der Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen ist die AfD, die auf 14 Prozent kam und ihr Ergebnis gegenüber der letzten Wahl verdreifachte.

Wo es einigermassen gutgeht, siegt die CDU

Mit seinen 18 Millionen Einwohnern ist Nordrhein-Westfalen grösser als viele europäische Staaten; entsprechend vielfältig ist das Land. In prosperierenden, oft ländlich-katholischen Regionen wie dem bergigen Sauerland oder dem Landstrich um Münster scheint die Welt noch in Ordnung zu sein; hier schnitten die Christdemokraten des populären Ministerpräsidenten Hendrik Wüst gut ab.

epa11920658 North Rhine-Westphalia's State Premier and Member of Germany's Christian Democratic Union (CDU) Hendrik Wuest arrives prior to the CDU leadership meeting at the party's head ...
Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.Bild: keystone

Die AfD legte vor allem dort zu, wo früher einmal die SPD stark war. Es ist ein Muster, wie man es aus vielen Ländern Westeuropas kennt: Traditionelle Arbeiterparteien verfehlen ihre Zielgruppe und verlieren Stimmen an rechte Populisten. In den Grossstädten Hagen, Gelsenkirchen und Duisburg zogen AfD-Kandidaten in die Stichwahlen um die Oberbürgermeister-Ämter ein, wo sie in zwei Wochen Vertretern von SPD oder CDU gegenüberstehen werden.

Damit bestätigt sich, was bereits bei der Bundestagswahl im Februar zu beobachten war: Die AfD, die lange als ostdeutsche Regionalpartei galt, hat längst auch im Westen ihre Hochburgen. Es sind dies frühere Industriestädte, die seit Jahrzehnten mit dem Strukturwandel kämpfen und deren Probleme sich nun noch einmal dramatisch verschärfen: Kürzlich strich etwa der Stahlkonzern Thyssenkrupp tausende Stellen.

Sören Link und das Wunder von Duisburg

In den Städten der Region ist die Verwahrlosung kaum zu übersehen. Den Kommunen fehlt das Geld, das sie früher einmal aus der Gewerbesteuer zogen, sodass der öffentliche Raum verkommt und kommunale Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Museen geschlossen werden. Ein grosses Thema im Wahlkampf waren sogenannte Schrottimmobilien, heruntergekommene Wohnblocks, die oft arabischen Clans gehören und an Zuwanderer aus Rumänien oder Bulgarien vermietet werden.

RECORD DATE NOT STATED KI gegen verschmutzte Verkehrszeichen in Duisburg ** NUR F?R REDAKTIONELLE ZWECKE ** EDITORIAL USE ONLY **<p>Oberb?rgermeister S?ren Link. Wirtschaftsbetriebe Duisburg ste ...
SPD-Politiker Sören Link.Bild: www.imago-images.de

Dass diese Neuankömmlinge, die meist der Minderheit der Roma angehören, zunächst Bürgergeld beziehen, ärgert viele im Ruhrgebiet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis der Duisburger Oberbürgermeisterwahl: Auch hier zog zwar ein AfD-Politiker in die Stichwahl ein, doch erzielte Sören Link, der Amtsinhaber von der SPD, mit 46 Prozent ein Ergebnis wie zu Willy Brandts Zeiten.

Womöglich könnte Link seiner Partei den Weg zurück in die Erfolgsspur weisen. Er habe «keine Lust, verarscht und beschissen» zu werden, sagt der Sozialdemokrat und fordert ein härteres Vorgehen gegen Sozialbetrug. Die SPD, so meint er, müsse wieder die Partei derjenigen werden, «die hart arbeiten und früh aufstehen».

Die SPD steht vor einem Richtungsentscheid

So stellt sich die Frage, welche Richtung sie einschlagen wollen, für die deutschen Sozialdemokraten mit neuer Dringlichkeit: Wollen sie vor allem auf Minderheiten und Akademiker setzen oder wieder stärker zu denjenigen sprechen, die sich «von der Politik» vergessen fühlen? Um als relevante politische Kraft zu überleben, wird die SPD wohl wieder mehr auf Pragmatiker wie Sören Link hören müssen, auch wenn dies einigen, vor allem jüngeren Genossen nicht schmecken dürfte.

epa12373657 German Chancellor Friedrich Merz gives a statement during his visit at the Henkel AG factory in Duesseldorf, Germany, 13 September 2025. EPA/CHRISTOPHER NEUNDORF
Friedrich Merz ist seit Mai 2025 Bundeskanzler von Deutschland.Bild: keystone

Dagegen dürfen sich die Christdemokraten von Kanzler Friedrich Merz durch die Wahl vom Sonntag, dem ersten grösseren Stimmungstest seit der Bundestagswahl, bestätigt fühlen. Zwar haben auch sie leicht verloren, doch wenn es in Deutschland noch so etwas wie eine Volkspartei gibt, dann am ehesten die CDU. Stark verloren haben dagegen die Grünen, die noch auf 13 Prozent kamen. In Krisenzeiten dringen sie mit ihren Themen offenbar nur noch in ihrem Kernmilieu durch. (aargauerzeitung.ch)

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60 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Amateurschreiber
15.09.2025 12:21registriert August 2018
Bei den Grabenkämpfen zwischen Links- und Rechtspopulisten geht vergessen, dass die meisten Menschen nur *eher* links oder rechts sind.
Beide Seiten haben ähnliche Ansichten und vor allem ähnliche Bedürfnisse. Alle wollen ein geregeltes Einkommen, gesunde Lebensbedingungen und funktionierende Infrastruktur. Die "rechten" wollen genauso, dass Grosskonzerne faire Steuern zahlen wie die "linken" auch wollen, dass nur Sozialhilfe bekommt, wer sie auch nötig hat.
Leider haben sich die Parteien in den letzten Jahren für oder gegen den "Wokeismus" engagiert, wofür sich die Masse kaum interessiert!
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Snowy
15.09.2025 14:17registriert April 2016
"Was die SPD der AfD entgegensetzen könnte?"

Wir wärs mit einer Migrationspolitik analog den dänischen Sozialdemokraten?
Dann klappts halt wieder mit dem Erfolg.

Aber Ja, in einem Punkt stimme ich überein:
Die Leute haben genug davon verarscht zu werden.
Und verarschen tut eben nicht nur die AfD die Wähler, sondern eben auch die SPD.
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cereza
15.09.2025 12:53registriert Februar 2023
‘Bei den Kommunalwahlen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, die am Sonntag stattfanden, landete die SPD mit 22 Prozent nur noch auf dem dritten Platz’

Die SPD landete doch auf dem zweiten Platz. Der Wahlerfolg der AfD muss nicht größer geschrieben werden als er tatsächlich ist. Ein Warnsignal ist er trotzdem. Insbesondere weil die fetten Jahre in Deutschland wohl vorbei sind und Wähler in schlechten Zeiten häufiger extreme Parteien wählen.
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