«Keine Lust, verarscht zu werden» – was die SPD der AfD entgegensetzen könnte
Das Ruhrgebiet im Westen Deutschlands galt einmal als «Herzkammer der SPD». Sozialdemokraten kontrollierten die Rathäuser; ein Milieu aus Partei, Gewerkschaften und Vereinen sorgte dafür, dass die Leute wussten, wo sie hingehörten und wen sie zu wählen hatten.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Bei den Kommunalwahlen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, die am Sonntag stattfanden, landete die SPD mit 22 Prozent nur noch auf dem dritten Platz. Den ersten Rang nehmen mit 33 Prozent die Christdemokraten ein, doch der eigentliche Sieger der Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen ist die AfD, die auf 14 Prozent kam und ihr Ergebnis gegenüber der letzten Wahl verdreifachte.
Wo es einigermassen gutgeht, siegt die CDU
Mit seinen 18 Millionen Einwohnern ist Nordrhein-Westfalen grösser als viele europäische Staaten; entsprechend vielfältig ist das Land. In prosperierenden, oft ländlich-katholischen Regionen wie dem bergigen Sauerland oder dem Landstrich um Münster scheint die Welt noch in Ordnung zu sein; hier schnitten die Christdemokraten des populären Ministerpräsidenten Hendrik Wüst gut ab.
Die AfD legte vor allem dort zu, wo früher einmal die SPD stark war. Es ist ein Muster, wie man es aus vielen Ländern Westeuropas kennt: Traditionelle Arbeiterparteien verfehlen ihre Zielgruppe und verlieren Stimmen an rechte Populisten. In den Grossstädten Hagen, Gelsenkirchen und Duisburg zogen AfD-Kandidaten in die Stichwahlen um die Oberbürgermeister-Ämter ein, wo sie in zwei Wochen Vertretern von SPD oder CDU gegenüberstehen werden.
Damit bestätigt sich, was bereits bei der Bundestagswahl im Februar zu beobachten war: Die AfD, die lange als ostdeutsche Regionalpartei galt, hat längst auch im Westen ihre Hochburgen. Es sind dies frühere Industriestädte, die seit Jahrzehnten mit dem Strukturwandel kämpfen und deren Probleme sich nun noch einmal dramatisch verschärfen: Kürzlich strich etwa der Stahlkonzern Thyssenkrupp tausende Stellen.
Sören Link und das Wunder von Duisburg
In den Städten der Region ist die Verwahrlosung kaum zu übersehen. Den Kommunen fehlt das Geld, das sie früher einmal aus der Gewerbesteuer zogen, sodass der öffentliche Raum verkommt und kommunale Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Museen geschlossen werden. Ein grosses Thema im Wahlkampf waren sogenannte Schrottimmobilien, heruntergekommene Wohnblocks, die oft arabischen Clans gehören und an Zuwanderer aus Rumänien oder Bulgarien vermietet werden.
Dass diese Neuankömmlinge, die meist der Minderheit der Roma angehören, zunächst Bürgergeld beziehen, ärgert viele im Ruhrgebiet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis der Duisburger Oberbürgermeisterwahl: Auch hier zog zwar ein AfD-Politiker in die Stichwahl ein, doch erzielte Sören Link, der Amtsinhaber von der SPD, mit 46 Prozent ein Ergebnis wie zu Willy Brandts Zeiten.
Womöglich könnte Link seiner Partei den Weg zurück in die Erfolgsspur weisen. Er habe «keine Lust, verarscht und beschissen» zu werden, sagt der Sozialdemokrat und fordert ein härteres Vorgehen gegen Sozialbetrug. Die SPD, so meint er, müsse wieder die Partei derjenigen werden, «die hart arbeiten und früh aufstehen».
Die SPD steht vor einem Richtungsentscheid
So stellt sich die Frage, welche Richtung sie einschlagen wollen, für die deutschen Sozialdemokraten mit neuer Dringlichkeit: Wollen sie vor allem auf Minderheiten und Akademiker setzen oder wieder stärker zu denjenigen sprechen, die sich «von der Politik» vergessen fühlen? Um als relevante politische Kraft zu überleben, wird die SPD wohl wieder mehr auf Pragmatiker wie Sören Link hören müssen, auch wenn dies einigen, vor allem jüngeren Genossen nicht schmecken dürfte.
Dagegen dürfen sich die Christdemokraten von Kanzler Friedrich Merz durch die Wahl vom Sonntag, dem ersten grösseren Stimmungstest seit der Bundestagswahl, bestätigt fühlen. Zwar haben auch sie leicht verloren, doch wenn es in Deutschland noch so etwas wie eine Volkspartei gibt, dann am ehesten die CDU. Stark verloren haben dagegen die Grünen, die noch auf 13 Prozent kamen. In Krisenzeiten dringen sie mit ihren Themen offenbar nur noch in ihrem Kernmilieu durch. (aargauerzeitung.ch)