Seit seiner Gründung hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag immer wieder zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Seine Erfolgsbilanz nach mehr als zwei Jahrzehnten liest sich tatsächlich alles andere als eindrucksvoll.
Bojan Stula / ch media
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Bild: sda
Um den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ranken sich viele Missverständnisse und Verwechslungen. Die seit 2002 in Den Haag tätige permanente Instanz für Kernverbrechen gegen das Völkerstrafrecht hat beispielsweise weder den einstigen serbischen Machthaber Slobodan Milosevic angeklagt noch den bosnischen Serben-General Ratko Mladic verurteilt. Denn beides geschah durch eine «Vorgängerorganisation», das UNO-Sondertribunal für das ehemalige Jugoslawien.
Ebenso wenig beurteilt der ICC die von Südafrika eingereichte Genozid-Klage gegen Israel; denn das tut der Internationale Gerichtshof (IGH), der ebenfalls in Den Haag in den Niederlanden beheimatet ist.
Entsprechend gab es durchaus schon Kritik am bisherigen Wirken des ICC, noch bevor er mit dem Haftbefehl gegen Premier Benjamin Netanyahu am Wochenende für einen Sturm der Entrüstung in Israel sorgte. In seinen bisherigen 22 Jahren hat der Strafgerichtshof erst 31 Fälle anhand genommen, wovon es lediglich bei 9 davon zu Verurteilungen gekommen ist. 4 Verfahren endeten mit Freisprüchen, in 9 weiteren wurde eine Anklage fallengelassen oder wieder zurückgenommen.
Da im ersten Jahrzehnt seines Wirkens der ICC vor allem wegen Völkerrechtsverbrechen in Afrika ermittelte, warf ihm die Afrikanische Union 2013 mehr oder weniger offenen Rassismus und eine neokoloniale Haltung vor. 2017 erklärte Burundi deswegen seinen Austritt, was auch im Falle von Südafrika schon mehrmals zur Diskussion stand.
Die nachfolgende Auflistung seiner bisher wichtigsten (Nicht-)Fälle zeigt vor allem eines: Die Jagd auf wirklich bekannte Personen, die mit Verstössen gegen das Völkerrecht in Verbindung gebracht werden, hat entweder gerade erst begonnen, endete frühzeitig oder wird kaum je geschehen.
Gegen wen der ICC Haftbefehle erlassen hat
- An erster Stelle in Sachen Bekanntheit steht hier Russlands Präsident Wladimir Putin, gefolgt von seiner Kommissarin für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa. Wie der ICC im März 2023 mitteilte, bestehe ausreichender Verdacht gegen beide, dass sie im Rahmen des Angriffskriegs gegen die Ukraine persönlich für die wohl tausendfache Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich seien. In der UNO-Völkermordkonvention wird die Kindsverschleppung ausdrücklich als Teilbereich von Genozid aufgezählt. Folgen hatte das bisher aber noch keine. Da weder Russland noch China dem ICC angehören, konnte Putin gerade erst unbehelligt auf Staatsbesuch in Peking weilen.
- Neben den am Wochenende zur Verhaftung ausgeschriebenen Personen im Zusammenhang mit Hamas-Terror und Gaza-Krieg sind derzeit mindestens zehn weitere Personen flüchtig, gegen die der ICC ermittelt. Die beiden Bekanntesten dürften Saif al-Gaddafi, der Sohn des früheren libyschen Diktators Muammar, sowie der sudanesische Ex-Präsident Omar al-Baschir sein.
Wen der ICC verurteilt hat
- Der kongolesische Milizenführer Thomas Lubamba war nicht nur der Angeklagte im ersten abgeschlossenen Fall vor dem ICC, sondern er erhielt auch wegen Kriegsverbrechen im Zweiten Kongo-Krieg und der Rekrutierung von Kindersoldaten die bisher höchste ausgesprochene Strafe. 2012 verurteilte ihn das Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. In einem zweiten Urteil 2019 wurde er zudem - eine weitere Premiere - als Erster wegen sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe schuldig gesprochen. Das verhinderte jedoch nicht seine vorzeitige Haftentlassung 2020, nachdem er Ende 2015 in die Demokratische Republik Kongo zur Haftverbüssung überstellt worden war.
- Als eines der seltenen Beispiele für einen reibungslosen Prozessverlauf gilt die Verurteilung des malischen Islamisten Ahmad al-Mahdi. Wegen der Zerstörung von Mausoleen und einer Moschee in Timbuktu wurde er im September 2016 zu neun Jahren Haft verurteilt. Al-Mahdi war nach seiner Verhaftung in Niger vor Gericht geständig, was den Prozess wesentlich beschleunigte. Es war dies ausserdem die bisher erste Verurteilung des ICC wegen der Zerstörung von Kulturgütern.
Wen der ICC nicht verurteilt hat
- Zu den prominentesten Abwesenden vor dem ICC zählt zweifellos der frühere libysche Diktator Muammar al-Gaddafi. Schlicht deshalb, weil er vor seinem allfälligen Prozess 2011 in den Bürgerkriegswirren getötet wurde. Ihm warf der Internationale Strafgerichtshof Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Aufstandes gegen seine Gewaltherrschaft vor. Nach dem Bekanntwerden seines gewaltsamen Todes wurde der Haftbefehl aufgehoben.
- Im Zusammenhang mit dem aktuellen Haftbefehl gegen Benjamin Netanyahu wird immer wieder der Name von Baschar al-Assad genannt. Wenn der ICC gegen Israels Premier ermittelt, wieso dann nicht auch gegen den syrischen Diktator, dem im Bürgerkrieg der Tod von Hunderttausenden vorgeworfen wird? Das hängt mit der komplizierten Rechtslage zusammen. Gegen vermutete Kriegsverbrecher aus Ländern von Nichtmitgliedern wie Syrien darf der ICC nur ermitteln, wenn der UNO-Sicherheitsrat ihn dazu beauftragt. Ein entsprechender Antrag der Niederlande wurde jedoch 2020 vom Assad-Verbündeten Russland als Vetomacht blockiert. Anders liegt der Fall bei Israel, das zwar ebenso wenig den ICC anerkennt, aber wegen der palästinensischen Mitgliedschaft für allfällige Kriegsverbrechen auf deren Territorium trotzdem belangt werden kann.
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Da gibt's, unabhängig d Schuldfrage, schon einige grosse Fragezeichen.