War das der Durchbruch zum Frieden? USA und Ukraine in Genf «sehr zufrieden»
Als am Sonntagabend kurz vor 18 Uhr US-Aussenminister Marco Rubio erstmals in Genf vor die Medien trat, klang er beinahe schon euphorisch. Zuvor sei es die «vielleicht beste», «produktivste» und «bedeutsamste» Verhandlungsrunde im Ukraine-Friedensprozess gewesen, seit in den USA Donald Trump die Regierung übernommen hat. Gemeinsam mit seinem ukrainischen Verhandlungspartner Andrij Jermak betonte Rubio: «Ich denke, wir haben echte Fortschritte erzielt.»
Zudem kündigte Rubio an, dass es am vergangenen Donnerstag bekannt gewordenen 28-Punkte-Plan Änderungen geben werde, die in den nächsten Tagen in Genf nachverhandelt werden müssten. Ziel sei es, die Differenzen zu Russland zu verringern und eine Lösung auszuarbeiten, mit der sowohl die Ukraine als auch die USA zufrieden sein könnten.
Der ukrainische Verhandlungsführer Jermak pflichtete dem US-Aussenminister bei: «Wir haben sehr gute Fortschritte gemacht und wir bewegen uns in Richtung eines gerechten und dauerhaften Friedens.» Aus Moskau gab es bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch keine valablen Kommentare.
Misstöne aus dem Weissen Haus
Nur in Minne verlief der gestrige Verhandlungstag aber nicht. Mitten in die Verhandlungen – zuerst zwischen der Ukraine und wichtigen europäischen Sicherheitsberatern – platzte eine Nachricht von Donald Trump auf seinem Nachrichtendienst Truth Social. Darin beschimpfte er in bekannter Manier seinen Vorgänger Joe Biden und den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski als Hauptschuldige am Krieg. Zudem warf er Selenski erneut «null Dankbarkeit» für die amerikanischen Bemühungen vor und den Europäern, dass sie weiterhin russisches Öl kaufen würden.
Selenski konterte mit einer Nachricht, in der er sich bei «Präsident Trump persönlich, bei den USA und jedem amerikanischen Herzen» für die bisherige Unterstützung bedankte, ukrainische Leben zu retten. Hauptziel müsse jetzt sein, «Russlands Krieg zu stoppen und zu verhindern, dass Russland je wieder angreifen» könne. Darum müsse «der Frieden gerecht» werden.
Noch vor dem Genfer Treffen hatte Trumps 28-Punkte-Plan in weiteren Bereichen für Verwirrung und Misstöne gesorgt. An einer Medienkonferenz im kanadischen Halifax bestätigten mehrere US-Senatoren, der US-Friedensplan sei von Moskau diktiert worden und entspreche Putins Wunschliste – was Aussenminister Rubio umgehend dementierte.
Der bulgarische Recherchejournalist Christo Grosew behauptete, der Plan enthalte zwei geheime Zusatzpunkte, die der Kreml früher Trump vorgeschlagen habe: ein gemeinsames Bündnis gegen China und die Möglichkeit für US-Grossinvestitionen in Russland zur Abwendung der kriegswirtschaftlichen Rezession.
Putins unerfüllbare Forderungen
Die europäischen Partner der Ukraine verlangten gestern ebenfalls Nachbesserungen an den 28 Punkten und ihre Beteiligung an der endgültigen Ausarbeitung.
Das US-Newsportal Bloomberg zählte am Sonntag die wichtigsten von der Ukraine und EU geforderten Veränderungen auf: Gespräche mit Russland über territoriale Veränderungen dürften erst stattfinden, sobald der Krieg entlang der aktuellen Frontlinie eingestellt worden sei. Eine Abtretung von bisher unbesetzten ukrainischen Gebieten im Donbass werde abgelehnt, ebenso wie die Begrenzung der ukrainischen Armee auf maximal 600'000 Soldaten.
Weiter seien die bisher in den 28 Punkten aufgeführten Sicherheitszusagen für die Ukraine ungenügend. Die USA müssten stattdessen eine belastbare Sicherheitsgarantie im Sinne des Nato-Artikels 5 garantieren, welche die Beistandspflicht im Falle neuer kriegerischer Handlungen durch Russland vorsieht. Schliesslich müssten die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zum Wiederaufbau und zur Entschädigung der Ukraine verwendet werden.
Im Interview mit CH Media bestätigt der enge Selenski-Berater Mychajlo Podoljak, dass sich der ukrainische Präsident und Trump noch diese Woche zu weiteren Verhandlungen treffen wollten. Das von Trump gesetzte Ultimatum bis zum US-Feiertag Thanksgiving am Donnerstag halte er für nicht absolut. Hingegen vermutet Podoljak, dass der Kreml den Friedensprozess jetzt mit weitergehenden Forderungen unterlaufen werde.
Von Schweizer Seite aus wurde Befriedigung über die Wahl von Genf als Verhandlungsort durch die beiden Delegationen geäussert. Wie Recherchen dieser Zeitung ergeben, zog dabei Gabriel Lüchinger, der Sondergesandte für die USA, die Fäden. Schwerpunkt (aargauerzeitung.ch)
