Das politische Drama um den früheren britischen Premierminister Boris Johnson geht in die nächste Runde. Mit einem überraschenden Rücktritt als Abgeordneter und indirekter Kritik am amtierenden Regierungschef Rishi Sunak hat der 58-Jährige die Tory-Partei vor eine erneute Zerreissprobe gestellt. Ob sich Sunaks Vor-Vorgänger damit ins politische Aus manövriert hat oder vielmehr in Position bringt für dessen Nachfolge, darüber gehen die Meinungen in London weit auseinander.
Johnson hatte am Freitag angekündigt, mit sofortiger Wirkung sein Mandat als Abgeordneter niederzulegen. Grund dafür ist offenbar, dass der Konservative das Unterhaus nach Ansicht eines Parlamentsausschusses in der «Partygate»-Affäre um illegale Feiern in Lockdown-Zeiten in der Downing Street belogen haben soll. Die vorgeschlagene Strafe: Zehn Tage Suspendierung - genug, um theoretisch eine Nachwahl in Johnsons Nordwestlondoner Wahlkreis auszulösen. Daraufhin warf der Ex-Premier hin, womit es nun automatisch zu einer Abstimmung kommt.
Der Bericht des Ausschusses ist noch nicht veröffentlicht worden. Johnson schrieb jedoch, er habe ein Schreiben des Ausschusses erhalten, in dem dieser klarmache, entschlossen zu sein, das Verfahren zu nutzen, um ihn aus dem Parlament zu drängen. Der Ausschuss will sich nun am Montag treffen und den Bericht nach Angaben eines Sprechers zeitnah veröffentlichen.
An Sunak, der das Amt des Regierungschefs nach Johnson und Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss im vergangenen Oktober übernommen hatte, liess Johnson indirekt kaum ein gutes Haar. Als er im Sommer 2022 - gedrängt von seiner Fraktion nach einer Reihe von Skandalen - aus der Downing Street auszog, habe die oppositionelle Labour-Partei nur geringen Vorsprung in den Umfragen gehabt. Dieser sei nun massiv gewachsen. Sunak äusserte sich bislang nicht zu Johnsons Rücktritt.
Während der Corona-Pandemie hatten sich Regierungsbeschäftigte immer wieder entgegen der Vorschriften in der Downing Street und Behörden zu Feiern mit Alkohol und Musik getroffen. Johnson und Sunak mussten wegen ihrer Teilnahme an einer Veranstaltung jeweils eine Geldstrafe zahlen. Der Ausschuss untersucht, ob Johnson das Parlament in dem Skandal belogen hat.
Der Ex-Regierungschef betonte nun, der Ausschuss habe nicht einen «Schnipsel» eines Beweises für seine Verfehlungen vorgelegt. Einige Tories hätten sich mit der Opposition zu einer «Hexenjagd» gegen ihn zusammengeschlossen, als Rache für den Brexit, behauptete er. Der «antidemokratische» Ausschuss habe von Anfang an vorgehabt, ihn schuldig zu sprechen. Manche Beobachter fühlten sich bei Aussagen wie diesen an Ex-US-Präsident Donald Trump erinnert. Der Sender Sky News schätzte aber auch ein: «Boris Johnsons Statement liest sich wie eine Kriegserklärung - aber in Wirklichkeit wirft er das Handtuch.»
Für Premier Sunak könnte all das so oder so ernste Folgen haben. In London schwirren Gerüchte herum, weitere Abgeordnete würden ihren Rücktritt vorbereiten - der Johnson-Verbündete Nigel Adams kündigte seinen Rücktritt bereits am Samstag via Twitter an. Mehren sich diese Fälle, käme es auch zu mehreren Nachwahlen. Für die Tories käme das in Zeiten schlechter Umfragewerte zur Unzeit.
Unter Sunak ist es eigentlich deutlich ruhiger geworden in der Downing Street. Nach der «Seifenoper der konservativen Zankerei» des Jahres 2022 sei dort mit dem 43-Jährigen so etwas wie Stabilität eingekehrt, analysierte der BBC-Korrespondent Chris Mason am Samstag. Nun sei das Drama zurück und Johnson genau dort, wo er sich am liebsten befinde: im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. «Der Geist von Boris Johnson verfolgt Rishi Sunak. Es ist das Letzte, was der Premierminister gebrauchen kann.»
Die grosse Frage bleibt, welche Taktik hinter Johnsons Vorgehen steckt. Knapp zwei Drittel der Tory-Wähler denken einer Umfrage zufolge weiter positiv über «Boris», den viele noch immer als einzigen geeigneten Wahlkämpfer der Tories betrachten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der strahlende Wahlsieger von 2019 bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl doch wieder antritt.
«Wie Sie vielleicht vermutet haben, wird Boris Johnson wahrscheinlich nicht in der Versenkung verschwinden», schätzte Mason ein. Manche in der Partei seien der Ansicht, Johnson sei am Ende - andere glaubten, davon sei er noch weit entfernt. (sda/dpa)