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Eskalation im Nordirland-Streit: Johnson will Brexit-Vertrag brechen

Eskalation im Nordirland-Streit: Johnson will Brexit-Vertrag brechen

13.06.2022, 20:3713.06.2022, 22:26
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Nur eine Woche nach dem überstandenen Misstrauensvotum in seiner Fraktion hat der britische Premierminister Boris Johnson einen neuen Streit mit der EU vom Zaun gebrochen. Ein am Montag ins Unterhaus eingebrachter Gesetzentwurf soll die mit Brüssel vereinbarte Brexit-Regelung für Nordirland einseitig ändern. Kritik an den Plänen kam sowohl aus Brüssel als auch von der irischen Regierung in Dublin und der Mehrheit der Abgeordneten im nordirischen Regionalparlament. Begrüsst wurde der Schritt hingegen von der unionistisch-protestantischen Partei DUP in Nordirland.

epa10010793 British Prime Minister Boris Johnson meets his Portuguese counterpart Antonio Costa (unseen) at 10 Downing Street in London, Britain 13 June 2022. Johnson
Die britische Regierung unter Premierminister Boris Johnson möchte die Brexit-REgelung für Nordirland brechen.Bild: keystone

Das Gesetz sei notwendig, um Stabilität und den Frieden in der früheren Unruheprovinz zu sichern, sagte die britische Aussenministerin Liz Truss. Sie fügte hinzu: «Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU.» Fortschritte könne es aber nur geben, wenn Brüssel Änderungen an der als Nordirland-Protokoll bezeichneten Vereinbarung akzeptiere.

London droht, die in dem Protokoll vereinbarten Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarkts zu stoppen und durch eine freiwillige Regelung zu ersetzen. Zudem soll die Rolle des Europäischen Gerichtshofs drastisch beschränkt werden. London will sich auch freie Hand bei Regelungen zur Mehrwertsteuer geben. Nach Ansicht einer grossen Zahl von Experten wäre das ein klarer Bruch internationalen Rechts. Die Regierung in London bestreitet das jedoch.

EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic machte deutlich, dass eine Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls nicht infrage kommt. «Das würde für die Menschen und Unternehmen in Nordirland einfach nur weitere rechtliche Unsicherheit bedeuten», so Sefcovic am Montagabend in Brüssel. Die EU-Kommission werde nun erwägen, das wegen früherer Verstösse begonnene, dann aber auf Eis gelegte, rechtliche Verfahren gegen London wieder aufzunehmen. Auch die Einleitung weiterer Vertragsverletzungsverfahren, die den europäischen Binnenmarkt schützen könnten, werde geprüft.

epa09775934 EU Commission Vice President Maros Sefcovic gives a press conference after an EU-UK Joint Committee meeting with UK Foreign Secretary (not pictured) at the European Commission in Brussels, ...
Maros Sefcovic zeigt sich über das geplante Vorhaben der britischen Regierung alles andere als begeistert.Bild: keystone

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer sehr bedauerlichen Entscheidung der britische Regierung. Es gebe keinen Anlass für diese Abkehr von den Vereinbarungen zwischen der EU und Grossbritannien, sagte der SPD-Politiker nach einem Treffen mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Eduard Heger. Auch Bundesaussenministerin Annalena Baerbock warf der britischen Regierung vor, einseitig Vereinbarungen zu brechen und damit Vertrauen zu zerstören. «Und zwar aus durchschaubaren, eigenen Motiven», schrieb die Grünen-Politikerin auf Twitter. «Frieden und Wohlstand auf der irischen Insel sind kein Spielball», fügte Baerbock hinzu. Die US-Regierung forderte London und Brüssel zur Rückkehr zu Gesprächen auf, «um die Differenzen zu bereinigen», wie die Sprecherin des Weissen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte.

Irlands Premierminister Micheal Martin bezeichnete den Schritt als «neuen Tiefpunkt», es sei «sehr bedauerlich für ein Land wie Grossbritannien, ein internationales Abkommen zu brechen».

Gegenwind für Johnson kam auch aus Nordirlands Hauptstadt Belfast. In einem von 52 der 90 Abgeordneten im nordirischen Regionalparlament unterzeichneten Brief hiess es, der Gesetzentwurf stehe im Widerspruch zum ausdrücklichen Wunsch von Unternehmen und Menschen in Nordirland.

Scharfe Kritik kam von der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein, die bei der Regionalwahl im Mai erstmals stärkste Kraft in Nordirland wurde. «Es ist skrupellos, es ist schändlich und es dient in keiner Weise dem Interesse der Menschen hier», sagte die designierte nordirische Regierungschefin und Sinn-Fein-Vizepräsidentin Michelle O'Neill.

Lobende Worte fand hingegen Jeffrey Donaldson, der Chef der protestantisch-unionistischen Partei DUP, die in Nordirland aus Protest gegen das Protokoll die Bildung einer Einheitsregierung blockiert. Was die Regierung in London vorgelegt habe, sei eine Lösung und das sei es, was man derzeit brauche, so Donaldson.

Das Nordirland-Protokoll ist Teil des 2019 geschlossenen Brexit-Abkommens. Es sieht vor, dass die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Europäischen Zollunion folgt. Damit sollen Warenkontrollen zum EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden, um ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Gegnern und Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands zu verhindern. Dafür ist nun aber eine innerbritische Warengrenze entstanden.

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte die Vereinbarung im Wahlkampf 2019 gegen den Willen der DUP durchgesetzt und als grossen Durchbruch gefeiert. Anschliessend gewann er eine deutliche Mehrheit bei der Parlamentswahl. Inzwischen ist er aber wegen der Affäre um Lockdown-Partys im Regierungssitz in Bedrängnis geraten. In der vergangenen Woche musste er sich einer Misstrauensabstimmung in der eigenen Fraktion stellen. Er konnte sich zwar durchsetzen, gilt aber als politisch angezählt. Nach Einschätzung von britischen Kommentatoren will er sich mit dem Schritt die Unterstützung der Brexit-Hardliner in seiner Fraktion sichern. (saw/sda/dpa)

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Janster
13.06.2022 20:40registriert März 2021
Irland endlich vereinigen. dann ist das EU und wir haben die Grenze wieder da wo sie hingehört. Ins Meer zwischen die zwei Länder.
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Konserve
13.06.2022 22:04registriert Mai 2022
Alles nur wegen seiner Lockdown-Partys und weil sich Johnson partout an keine Regeln halten will. Das ganze Desaster also nur wegen den Eskapaden eines einzelnen Mannes.

Es wird aber nicht so heiss gegessen wie gekocht wird und Johnson wird das nicht durchsetzen können. Irland und Nordirland werden dabei nicht mitmachen und bei dem erneuten Theater der Engländer, könnten die Schotten für sich die Riessleine ziehen.

Schottland wäre drum lieber in der EU geblieben und denkt schon seit längerer Zeit über die Trennung von England nach. Mit Johnson kommt England vom Regen in die Traufe.
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