Die Klimakrise spitzt sich zu – und macht es uns beinahe unmöglich, die Katastrophen-Meldungen zu ignorieren. Das ist auch richtig so, sagt Transformationsforscherin Maja Göpel. Denn wir müssen handeln.
Sie plädiert dafür, die manchmal ausweglos scheinende Situation als Chance zu begreifen – und den Sprung in eine neue Zukunft zu wagen.
Im Gespräch mit watson erzählt die Umweltökonomin und Mitbegründerin von «Scientists for Future», wie der Sprung in eine ungewisse Zukunft gelingen kann.
Viele haben inzwischen realisiert, dass sich etwas ändern muss. Andere beharren weiterhin auf alten Strukturen: Auto, Fleischkonsum, Fast Fashion. In was für einer Zeit befinden wir uns gerade?
Maja Göpel: Aus der Transformationsforschung gibt es ja wirklich diesen Begriff – die Zwischenzeit, die Umbruchzeit. Das ist eine der typischen Verhaltensweisen, wenn man merkt, dass das Alte stirbt, das Neue aber noch nicht so greifbar ist. Aber da gibt es natürlich unterschiedliche Charaktere: einige sehen, was kommen könnte – und sagen: «Wow, da wollen wir hin.»
Und andere warten lieber ab?
Ja, man kann in ganz vielen Veränderungsprozessen beobachten, dass es einen Teil gibt, der nach vorn läuft und einen, der bis zum Schluss meckert. Pragmatische Menschen folgen, wenn die kritische Masse erreicht ist – also ein sogenannter sozialer Kipppunkt stattgefunden hat. Und auf diese kritische Masse müssen wir hinwirken.
Und wie kann das gelingen?
In der Forschung werden unterschiedliche Treiber gesellschaftlicher Veränderungen beschrieben. In der Frage nach sozialen Kipppunkten kommen mehrere zusammen. Typischerweise werden drei eher technische von drei eher sozio-kulturellen Treibern unterschieden, sie wirken aber aufeinander ein. Die einen haben mit der tatsächlichen Verfügbarkeit von Alternativen zu tun: Wenn etwas günstiger und bequemer wird, verbreitet es sich auch sehr schnell. Dazu tragen die anderen drei Treiber bei.
Die da wären?
Bildung über die Zusammenhänge und Transparenz über die Effekte von Angeboten heute und denen der Alternativen und Werte, Normen und kulturelle Prägungen.
Das klingt abstrakt. Haben Sie ein Beispiel parat?
Ja, das Ganze können wir gerade bei den erneuerbaren Energien beobachten. Mittlerweile ist nämlich die Kilowattstunde aus den Erneuerbaren günstiger als aus den fossilen Energien, was den Prozess der Energiewende ganz stark beschleunigt. Und wenn die Nachbarn erst mal Solar auf dem Dach haben und von positiven Erfahrungen sprechen, dann steckt das an.
Wenn das gelingt, sehen wir auch mehr die Zusammenhänge zwischen Einzelentscheidungen und es kann ein «Wir-Gefühl» entstehen. Dann kommt es eher zu einer Aufbruchsstimmung.
Und der dritte Treiber?
Unheimlich wichtig sind die Finanzflüsse, weil sie die Geschäftsmodelle, die wir brauchen, anschieben und helfen, sich zu verbreiten, zu wachsen. Andersherum gesehen, muss man die Gelder dann natürlich aus den Bereichen abziehen, die nicht mehr zukunftsfähig sind und die Transformation ausbremsen.
Was ist entscheidend, um uns als Gesellschaft voranzubringen?
Das ist zum einen die Bildung. Man muss immer wieder darüber aufklären, wie die Dinge zusammenhängen und was die Konsequenzen vom Status quo sind. Es muss deutlich werden, dass alles, was jetzt für uns normal wirkt, eben auch einen Einfluss auf unsere Zukunft hat. Bei Klima- und Umweltfragen, aber auch sozialer Gerechtigkeit einen zunehmend negativen.
Hilft es, Klimaheldinnen wie etwa Luisa Neubauer zu haben?
Ich finde es total spannend, dass wir gerade das Heldentum für das 21. Jahrhundert verhandeln. Momentan fühlt es sich ja immer noch so an, als sei man diejenige, die die Party stört, wenn man sagt, dass bestimmte Dinge aufgrund des Klimawandels nicht so gut sind. Deswegen sind für mich zum einen vor allem diejenigen Heldinnen, die das trotzdem freundlich-beharrlich tun und auch Alternativen und Zugewinn-Möglichkeiten aufzeigen.
Was genau macht eine Heldin, einen Held für Sie aus?
Für mich sind das Menschen, die nicht nur an sich und ihre Position in einem System denken, also möglichst nach oben kommen wollen mit dem, was sie tun. Sondern Menschen, die sich dafür einsetzen, dass ein System gut funktioniert, gesund ist oder an Zielen orientiert, unabhängig ihrer eigenen Position darin.
An wen denken Sie da?
Zum Beispiel an die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die gesagt hat: «Auch wenn es anstrengend wird und ich nicht wiedergewählt werden sollte, ich mache das jetzt mit der 15-Minuten-Stadt. (Anm. d. Red.: Die 15-Minuten-Stadt ist bisher ein Konzept. Es beschreibt die Idee einer Stadt, in der Bewohner alle alltäglichen Wege in etwa 15 Minuten zu Fuss, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV erreichen können.) Denn ich bin überzeugt, dass es für den Klimaschutz notwendig ist.»
Welche Hebel können wir alle im Alltag bewegen?
Bei den «Scientists for Future» haben wir das auf vier F's konzentriert: Fliegen, Fleisch, Fummel und Finanzen. Das sind so die Dinge, wo wir alltäglich Entscheidungen treffen müssen – dann können wir auch die Lenkungswirkung mitdenken. Fleischkonsum ist der Hebel, der wohl am meisten unterschätzt wird.
Wieso?
Wenn man sich Statistiken ansieht, die aufzeigen, was die Menschen glauben, das am meisten beim Klimaschutz hilft, steht Plastik ganz oben. Der Plastikmüll ist auch eine Katastrophe, aber für das Klima eben nicht der grösste Treiber. Umgekehrt hat der auch gesundheitlich betrachtet viel zu hohe Fleischkonsum zu einer Tierhaltung geführt, die direkte Auswirkungen auf die Entwaldung und die Erosion von Böden hat, was beides CO2-Senken sind. Und der Methanausstoss der Kühe kommt noch dazu.
Das heisst, wie viel Fleisch man isst, macht tatsächlich einen Unterschied.
Ja, vermutlich ist das der grösste Hebel, den man im Alltag bewegen kann. Und dann kommen natürlich weitere Fragen dazu: Wie bewege ich mich fort? Und auch die Frage, wo ich mein Geld anlege, wird immer wichtiger. Das Thema Kleidung rückt auch endlich in den Fokus. Und zwar nicht nur als Klimafrage, da geht es auch um Arbeitsverhältnisse, Verschwendung, Vergiftung und Vermüllung. Und ich sehe noch drei weitere F's als sehr entscheidend an.
Welche denn?
Das eine ist die Fläche zum Wohnen und Arbeiten, da Bauten immer zu Versiegelung führen, beheizt werden müssen und so. Aber das ist kurzfristig nicht so leicht zu ändern. Trotzdem sollte hier so etwas wie eine Bauwende stattfinden: Was sind die Standardgrössen, auf die geplant wird?
Und die anderen zwei F's?
Das sind Funken und Flagge zeigen, also sozio-kulturelle Treiber von Veränderung: Wie können wir in diesen Umbruchphasen konstruktiv miteinander sprechen? Mit Mut zum ehrlichen Hinschauen auf der einen Seite und Fokus auf die Alternativen, die entstehen, auf der anderen. Und Flagge zu zeigen, ist natürlich ausschlaggebend: Ohne veränderte Rahmenbedingungen und Regeln können wir einzelnen keinen Strukturwandel gestalten. Dieser Fortschritt muss von der Politik und führenden Figuren in der Industrie umgesetzt – und von Bürger:innen eingefordert werden.
Haben Sie denn Hoffnung, dass diese Transformation gelingen kann?
Hoffnung ist genau der richtige Begriff. Denn das bedeutet ja, zu sehen, dass es gut ausgehen könnte, und dann immer auf den nächstmöglichen Schritt zu fokussieren. Wie es genau am Ende aussieht, können wir schlicht nicht wissen. Aber wir können mit jedem Schritt nach vorn einem klaren Kompass folgen, ausprobieren, anpassen, lernen, weitergehen. Das ist die evolutionäre Sicht auf Entwicklung und in ihr spielen wir alle eine Rolle, auch wenn sie erst einmal klein scheint.
Z.B.: Es ist zwar toll, dass es in deiner Nachbarschaft einen Laden gibt, der Rucksäcke aus nachhaltigen Materialien herstellt, aber zuerst muss du dich fragen, ob du überhaupt einen Rucksack brauchst.