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AfD-Verbot: Staatsrechtler sagt, weshalb das nicht sinnvoll ist

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«Eine Partei verbieten zu wollen, die ein Drittel der Stimmen holt, ist unklug»

Seit den Wahlen in Ostdeutschland werden Forderungen nach einem Verbot der AfD wieder lauter. Aber wie realistisch ist ein solcher Schritt? Was könnte daraus folgen? Und wäre ein Verbot nicht undemokratisch? Der Staatsrechtler Ulrich Battis hat Antworten.
06.10.2024, 06:43
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media
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Über ein mögliches AfD-Verbot wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Nun will eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten einen entsprechenden Antrag im Bundestag einbringen.

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AfD-Anhänger bei einer Rede von Björn Höcke in Thüringen.Bild: EPA

Ein Ereignis in Thüringen hat die Debatte neu befeuert: Am letzten Wochenende leitete dort ein Alterspräsident aus den Reihen der AfD die konstituierende Sitzung des neuen Landtags. Eine Abstimmung über eine Änderung der Geschäftsordnung wollte der Politiker zunächst nicht zulassen. Die übrigen Parteien hatten eine solche gefordert, um der AfD als stärkster Partei nicht das alleinige Vorschlagsrecht für den neuen Landtagspräsidenten überlassen zu müssen.

Ulrich Battis, 80, ist einer der renommiertesten deutschen Staatsrechtler. Bis zu seiner Emeritierung 2009 lehrte er als Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Ein Verbotsverfahren sieht er skeptisch.

Herr Battis, Sie halten die Forderungen nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD für unklug. Warum?
Ulrich Battis: Derzeit wird ja der Vorfall in Thüringen als Grund für ein Verbot angeführt: Der Alterspräsident hat dort am Freitag letzter Woche Dinge getan, die ihm nicht zustanden. Aber entscheidend ist doch, dass er am Samstag, als die Sitzung fortgesetzt wurde, vollzogen hat, was das Thüringische Verfassungsgericht am Vorabend angeordnet hatte, und doch abstimmen liess. Er verhielt sich also korrekt: Man kann ein Urteil für falsch halten, solange man es befolgt, ist alles in Ordnung.

Ulrich Battis, deutscher Staatsrechtler
Ulrich Battis.

Dann berufen sich die Befürworter eines Verbots auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das im Mai festgestellt hat, dass der Verfassungsschutz die AfD zurecht als rechtsextremen Verdachtsfall einstuft. Aber es gab schon Fälle, in denen der Verfassungsschutz Material zusammengestellt hatte, es dann aber gar nicht zu einem Verbotsverfahren kam oder ein solches Verfahren scheiterte.

Welche politischen Folgen hätte die Einleitung eines Verbotsverfahrens?
Eine Partei verbieten zu wollen, die in einigen Bundesländern bis zu einem Drittel der Stimmen gewinnt, ist politisch unklug. Ein Verbotsverfahren würde mindestens zwei Jahre dauern. In dieser Zeit könnte sich die AfD in ihrer Opferrolle einrichten und dadurch zusätzliche Sympathisanten gewinnen.

Aber kapituliert nicht vor der normativen Kraft des Faktischen, wer ein Verbotsverfahren mit Blick auf die Grösse der AfD ablehnt? Weil zu viele die Partei gut finden, traut man sich nicht mehr, sie zu verbieten.
Die politischen Aspekte sind hier wichtiger als die juristischen: Viele Wählerinnen und Wähler würden ein Verbotsverfahren nun einmal als unfair empfinden. Dass die AfD heute so stark ist, liegt in erster Linie daran, dass die jetzige Regierung und die Vorgängerregierung unter Angela Merkel eine Politik betrieben haben, die von vielen abgelehnt wird. Damit meine ich in erster Linie die Migrationspolitik.​

Versuchen einige Politiker nun, ihre eigenen Fehler auf die Schultern der Justiz zu laden?
Die Wählerinnen und Wähler könnten den Politikern in der Tat vorhalten: Ihr packt es nicht, die AfD politisch zu bekämpfen, nun zieht ihr die Notbremse. Die Probleme in der Migrationspolitik sind keine deutsche Besonderheit. Aber Deutschland geht andauernd Sonderwege: Mal macht man die Grenzen auf, dann schliesst man sie wieder. Jetzt kündigt man Schengen de facto auf. Unsere Nachbarn macht das sauer, zumal es die Deutschen sind, die ständig nach «mehr Europa» rufen.​

Um eine Partei verbieten zu können, muss diese die Bundesrepublik beziehungsweise die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen. In den Fünfzigerjahren wurden in Deutschland zwei Parteien verboten. Was gab damals jeweils den Ausschlag?
1952 wurde die Sozialistische Reichspartei verboten. Das waren eindeutig Nazis, das konnte man machen. 1956 traf es die Kommunistische Partei (KPD). Das Urteil gegen die KPD ist allerdings kein Musterbeispiel für ein rechtsstaatliches Verfahren. Heute wissen wir, dass aus Bonn Druck auf das Gericht ausgeübt wurde. Wahrscheinlich waren die Richter zu willfährig.​

Ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei (NPD) ist 2017 gescheitert. Das Gericht meinte, dass es zwar gute Gründe für ein Verbot gebe, die NPD als Splitterpartei aber nicht gross genug sei, um eine wirkliche Gefahr darzustellen. Dieser Entscheid wurde mit Rücksicht auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefällt, der mit diesem Argument schon mehrfach Parteiverbote in der Türkei aufgehoben hatte.

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Das deutsche Bundesverfassungsgericht befasste sich schon früher mit möglichen Parteiverboten.Bild: keystone

Falls es zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD kommen sollte: Welchen Ausgang hielten Sie für wahrscheinlich?
Stand heute halte ich für möglich, dass ein Verbotsverfahren erfolgreich wäre. Eine Prognose würde ich allerdings nicht wagen, dafür liegen mir nicht die nötigen Materialien vor. Man muss da sehr sorgfältig vorgehen. Denken Sie nur daran, dass ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD 2003 gar nicht erst eröffnet wurde.​

Damals monierten die Richter, dass Verbindungsleute des Verfassungsschutzes auch auf der Führungsebene der Partei tätig gewesen waren.
Das dürfte sich im Fall der AfD nicht wiederholen. Ich denke, der Verfassungsschutz ist klug genug, diesen Fehler nicht noch einmal zu machen, auch wenn sein derzeitiger Präsident Thomas Haldenwang aufgrund seiner Meinungsfreude immer wieder in der Kritik steht.​

Wenn die AfD verboten würde, dürften ihre bisherigen Mitglieder dann eine neue Partei gründen?
Nein. Ersatzorganisationen sind verboten. Das war auch so, als die KPD verboten wurde. Dann kam die neue Ostpolitik Willy Brandts, und Moskau war nur zu Gesprächen bereit, wenn wieder eine Kommunistische Partei in der Bundesrepublik zugelassen würde. Also gründete sich 1968 die DKP, die natürlich eine Ersatzpartei war, auch wenn sie sich anders nannte.​

Was würde im Verbotsfall mit den Mandaten in den Parlamenten geschehen? Dürften die Abgeordneten als Fraktionslose weitermachen?
Nein, die Mandate fielen weg. Aber die Wählerinnen und Wähler sind mit einem Parteiverbot ja nicht weg, genauso wenig die Gründe, warum sie eine Partei wählen. Ein Verbot der AfD könnte eher noch zu einer Radikalisierung ihrer Anhänger führen. Eine grosse Partei zu verbieten, ist demokratietheoretisch eigentlich unzulässig. Aufgrund der deutschen Geschichte verfolgen wir eine andere Linie. Grundsätzlich finde ich das auch richtig, aber man muss dieses Instrument sehr vorsichtig einsetzen.

Vergleiche unserer Zeit mit den Dreissigerjahren und dem Ende der Weimarer Republik sind derzeit en vogue. Ist die deutsche Demokratie heute besser gerüstet als damals?
Das ist sie zweifellos. Es ist heute schwieriger, die Verfassung zu ändern. Und das Schwert eines möglichen Verbots führt zu einer Domestizierung radikaler Parteien, wie uns jetzt wieder das Einlenken des Alterspräsidenten in Thüringen gezeigt hat. Auch das Urteil von Münster ist der AfD sehr unangenehm und sorgt für eine gewisse Disziplinierung: Die Partei besteht ja nicht nur aus Nazis, wie der frühere Bundespräsident Joachim Gauck einmal gesagt hat. Viele stimmen aus Protest für die AfD und könnten sich von ihr abwenden, sollte sie sich immer weiter radikalisieren. (aargauerzeitung.ch)​

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195 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Suppenlöffel
06.10.2024 07:50registriert April 2022
Ist das das heutige Demokratieverständnis? Wählen ist gut, solange das Richtige gewählt wird? Da ist Trump ja gerade noch heilig, der wollte die Demokraten nicht verbieten….
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Erebos_2
06.10.2024 07:32registriert Mai 2021
Ich habe die Nase voll. Eine Mehrheitspartei zu verbieten in einer Demokratie ist einfach nur lachhaft undemokratisch!
Füllt mal den deutschen Wahlomat aus. Dann werden CH-SVP und FDP zu grossen Prozentpunkten mit DE afd und DE-FDP übereinstimmen. Die DE-FDP ist fast inexistent. Also wen wählt man dann?
Sorry. DE hat es in den letzten 20Jahren einfach vergeben und es ist Sache der Mitte-/Linksparteien ALLE Bürger abzuholen. Offensichtlich gelingt das nicht.
Vergesst nicht: eine negative Erfahrung mit einem Migranten reicht um die Leute zu beinflussen. Schade, für alle guten Immigranten.
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In vino veritas
06.10.2024 08:35registriert August 2018
Also sobald es unbequem wird, wird die Partei verboten? Ganz ehrlich, ich kann mitlerweile jeden verstehen (bei der aktuellen Regierung sogar besonders), der AfD wählt. Anstatt auf die Probleme einzugehen wird alles unternommen um eine Alternative zu verhindern. Das ist demokratiefeindlich! Der AfD muss politisch begegnet werden, in dem z.B. endlich die Migrationskriese angegangen wird! Ansonsten hat die AfD nächstes mal im Osten dank 5% Hürde die Mehrheit!


der in Deutschland AfD wählt,
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