International
Interview

Wahlen in Tschechien: Experte über Babis und die EU

Experte nach Wahl-Erdbeben in Tschechien: «Die Motivation war nicht EU-Skepsis»

Was haben Tschechien und Europa vom Comeback des Rechtspopulisten Andrej Babis zu erwarten? Der tschechische Think-Tank-Leiter Vít Dostál klärt auf.
05.10.2025, 22:5805.10.2025, 23:04
Florian Beyer, Prag / ch media
Chairman of opposition "ANO" (YES) movement Andrej Babis reacts as he addresses the media during the parliamentary elections in Prague, Czech Republic, Saturday, Oct. 4, 2025. (AP Photo/Petr ...
Andrej Babis feiert seinen Wahlsieg vor Anhängern in Prag. Diese sind von der Wirtschaftskompetenz des «tschechischen Trumps» überzeugt.Bild: keystone

Nach seinem Sieg bei der Parlamentswahl in Tschechien strebt der Rechtspopulist und Milliardär Andrej Babis eine alleinige Minderheitsregierung unter der Führung seiner Partei ANO an. «Wir werden uns um eine einfarbige Regierung bemühen», sagte der 71-Jährige am Wahlabend in Prag. Er will demnach über eine Tolerierung mit zwei Kleinparteien, den sogenannten «Motoristen» sowie der «Freiheit und direkte Demokratie» des Tschecho-Japaners Tomio Okamura verhandeln.

Die Oppositionspartei ANO kam nach der Auszählung aller Wahlbezirke auf 34,6 Prozent der Stimmen, wie aus den offiziellen Daten der Statistikbehörde CSU hervorging. Das ist ein Plus von fast siebeneinhalb Prozentpunkten im Vergleich zu 2021. Die ANO verfügt künftig über 80 der 200 Sitze im Abgeordnetenhaus. Das Mitte-Rechts-Bündnis Spolu (Gemeinsam) des Regierungschefs Petr Fiala stürzte auf 23,3 Prozent der Stimmen ab (2021: 27,8). Die bisher mitregierende Bürgermeisterpartei erhielt 11,2 Prozent.

Vít Dostál leitet das Prager Aussenpolitik-Thinktank AMO (Association for International Affairs). Er ist spezialisiert auf tschechische und europäische Politik und ordnet die Wahlergebnisse ein.

Vít Dostál Vít Dostál ist geschäftsführender Direktor der Association for International Affairs (AMO) in Prag.
Vít Dostál Vít Dostál ist geschäftsführender Direktor der Association for International Affairs (AMO) in Prag.Bild: ZVG

Andrej Babis hat mit seiner ANO mit grossem Abstand die Wahl gewonnen. Was sind die Hauptmotive für seine Wähler?
Vít Dostál: Die Motivation ist sozioökonomisch, nicht EU-Skepsis. In den letzten vier Jahren stagnierten die Reallöhne. Besonders in den ersten zweieinhalb Jahren der Fiala-Regierung gab es hohe Inflation, steigende Energiepreise und eine Wohnungskrise. Die Menschen erinnern sich, dass ihre wirtschaftliche Situation unter Babis zwischen 2017 und 2021 besser war.

Wird Babis, der als Unternehmer ein Milliardenvermögen aufgebaut als wirtschaftlich kompetent wahrgenommen – analog zu Trump?
Ja, viele seiner Kernwähler glauben an diese Kompetenz. Viele Wechselwähler und Beschäftigte im öffentlichen Dienst – Lehrer, Feuerwehrleute, Polizisten, Ärzte – kamen zum Schluss, dass sie mit Babis wirtschaftlich besser dran waren. Einige argumentieren auch, er sei als Milliardär reich genug und brauche kein Geld aus der Politik.

Auch die Ränder haben stark gewonnen, vor allem die rechtsradikale SPD.
Die extreme Linke und Rechte kommen zusammen auf zehn bis 12 Prozent, was im Vergleich zu Deutschland oder Österreich relativ moderat ist. Die Motoristen-Partei ist klimaskeptisch und glaubt nicht an die Wissenschaft, will aber die EU immerhin nicht verlassen. Sie würde jedoch lieber Strafen zahlen, als bestimmte EU-Gesetze umzusetzen.

Welche Koalitionsoptionen gibt es für ANO?
ANO wird definitiv Teil der Regierung sein. Die Optionen sind: eine Koalition mit der extremen Rechten, eine Koalition mit Teilen der bisherigen Regierung oder eine Minderheitsregierung mit Unterstützung aus dem Parlament. Entscheidend ist, mit wem Babis letztlich einen Deal macht.

Welche Rolle spielt der Präsident bei der Regierungsbildung?
Der Präsident hat eine sehr wichtige Rolle. Er signalisierte bereits vor den Wahlen, dass er niemanden ernennen wird, der gegen die NATO- oder EU-Mitgliedschaft ist. Er sprach auch mit Babis über dessen Interessenkonflikte als Unternehmer, denn bei einer Ernennung zum Premierminister wäre der Präsident Teil des EU-Interessenkonflikts.

Wie wird sich die Regierungsinstabilität auswirken?
Die nächste Regierung wird wahrscheinlich weniger stabil sein. Dadurch könnte der Präsident grösseren Einfluss auf Sicherheits- und Aussenpolitik gewinnen. Seine Entscheidungen werden die gesellschaftliche Atmosphäre prägen. Vorgezogene Neuwahlen sind möglich, wenn die Regierung vorzeitig scheitert.

Wie sollten westeuropäische Regierungen auf Babis' Wahlsieg reagieren?
Sie sollten Babis anrufen, gratulieren und Arbeitsbeziehungen aufbauen, auch wenn es unangenehm ist. Sonst werden Fico und Orbán ihn sofort mit offenen Armen in Bratislava und Budapest empfangen. Ein dritter zentraleuropäischer Störfaktor innerhalb der EU, neben Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei, wäre nicht klug.

Welche aussenpolitische Linie ist von Babis zu erwarten?
Babis hat kein Programm, die EU absichtlich zu sabotieren, auch wenn er bei der Klimapolitik aus innenpolitischen Gründen Widerstand leisten könnte, ähnlich wie Polen. Entscheidend wird sein Koalitionspartner sein: Eine Koalition mit der extremen Rechten würde westeuropäische Staatschefs abschrecken. Eine Zusammenarbeit mit EVP-nahen Mainstream-Parteien wäre deutlich handhabbarer.

Was sind die grössten Herausforderungen für eine Babis-Regierung?
Meine Sorge ist die Kompetenz bzw. der Mangel davon bei einer populistischen Regierung. Die aktuelle Mainstream-Regierung war aussenpolitisch solide, aber innenpolitisch schwach. Viele Menschen fühlten sich zurückgelassen. Für eine Babis-Regierung wird fähige Regierungsarbeit angesichts enormer Krisen, von der Wettbewerbsfähigkeit über Klima bis hin zur Sicherheit, die grösste Herausforderung.

Tschechien galt die letzten Jahre als vergleichsweise stabil. Wie könnte es langfristig aussehen?
Wenn die Regierung scheitert und noch mehr Menschen sich abgehängt fühlen, könnten Protestwähler zu noch extremeren Parteien gehen. Das ist meine grösste Sorge für die langfristige Entwicklung. Babis wird dann 75 sein, es ist fraglich, ob er nochmals antreten will, auch wenn wir mittlerweile im Zeitalter der Gerontokratie leben. (aargauerzeitung.ch)

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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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domin272
05.10.2025 23:10registriert Juli 2016
Wer glaubt jemand, der in einem Egoismusdominierten System wie dem Kapitalismus reich geworden sei, sei dafür prädestiniert dafür zu sorgen es der Masse wirtschaftlich besser geht und habe dafür die Kompetenz, geschweigedenn den Willen, sollte vielleicht seine Logik überprüfen...
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Takasu
06.10.2025 01:01registriert Mai 2024
"Einige argumentieren auch, er sei als Milliardär reich genug und brauche kein Geld aus der Politik."

Reich genug? Wie naiv.
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Sweeney Todd
06.10.2025 00:04registriert September 2018
Ich bin dafür, dass man mal abwartet und schaut was wird. Die erste Amtsperiode war ja nicht mal so schlecht. Und Populisten können durchaus Politik, nicht jeder ist ein Orban oder Trump. Meloni z.b. macht das für italienische Verhältnisse äusserst gur und hat bei mir mit ihrer Aussenpolitik schon viele Pluspunkte gewonnen.
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