Frau Anthony, in elf Tagen beginnen in Peking die Olympischen Winterspiele. Wie ist die Stimmung vor Ort?
Tamara Anthony: Es hat gerade geschneit. Das kommt hier eher selten vor. Das macht es aber etwas realer, dass hier die Olympischen Winterspiele sehr bald stattfinden werden.
Das klingt nicht so, als würde die chinesische Bevölkerung regelmässig dem Wintersport frönen.
Wintersport ist hier kein Massensport. Es gibt auch fast keine Wintersport-Stars. Ausserdem werden die Spiele in abgesperrten Bereichen stattfinden und wegen Covid sind so gut wie keine Zuschauer zugelassen. Auch Public-Viewings wird es wohl kaum geben. Was auch anders ist als bei uns: Es gibt keine Debattenkultur. Und da es keine Zivilgesellschaft gibt, gibt es auch keine Privatinitiativen zu Olympia.
Das heisst, die Bevölkerung kriegt kaum etwas von den Spielen mit?
Im Stadtbild hat sich nicht viel verändert. Hier und dort gibt es Werbung mit Olympia-Bezug. Man kann aber auch gut in der 20-Millionen-Stadt leben und gar nichts von Olympia mitbekommen. Die Spiele haben in dem Sinne nichts mit der Bevölkerung zu tun. Sie sind eine Regierungsveranstaltung.
Wie sieht es um die Stadien herum aus? Dort muss man doch etwas mitkriegen?
Das schon. Dieser Tage werden dort massive Zäune hochgezogen. Alle olympischen Events finden in streng abgeriegelten Bereichen statt. Auch Hotels, in denen Sportler, lokale und internationale Helfer und Medien untergebracht sind, sind durch die Polizei bewacht und auf den Aussenmauern ist Stacheldraht angebracht.
Wie sieht es denn hinter den Zäunen und dem Stacheldraht innerhalb der Spielstätten aus?
Viele Athletinnen und Athleten und das Olympia-Personal sind am Wochenende vom 21. Januar angereist. Alle landen an einem speziellen Olympia-Terminal und werden von dort mit Extra-Bussen zu den Spielstätten gefahren. Jeder Kontakt mit der Normalbevölkerung wird verunmöglicht. Essen gibt es für alle in der Olympia-Blase nur in der Hotel-Unterkunft oder in den Kantinen an den Spielstätten. Um von einem Ort zum anderen zu kommen, gibt es spezielle Fahrdienste. Niemand darf sich frei bewegen.
Neben den Athletinnen und Athleten wollen auch Medien aus der ganzen Welt über die Spiele berichten. Wie frei können Journalistinnen und Journalisten sich auf dem Gelände bewegen?
Medienschaffende dürfen in die Olympia-Zone. Aber auch nur unter besonderen Bedingungen: durchgeimpft oder nach 21-tägiger Quarantäne. Zwei Wochen vor Einreise in die Blase muss jeden Tag die Körpertemperatur in eine App eingetragen werden, zudem müssen einige PCR-Test vorab gemacht werden. In der Blase wird es verschiedene Zonen geben, also innerhalb der Olympia-Bereiche nochmal einzelne Zonen. Da schon der Transport von A nach B vorher angemeldet werden muss, kann man sich als Journalistin nicht frei bewegen. Nach dem Aufenthalt in der Blase müssen die Journalisten entweder das Land über die speziellen Charter-Flüge verlassen oder drei Wochen in Quarantäne.
Und wie frei kann über alles rundherum berichtet werden?
Sehr häufig wird die Pandemie-Bekämpfung als Ausrede benutzt, um Interviews zu verbieten. Als wir beispielsweise die Bauern rund um die olympischen Austragungsstätten befragen wollten, wurden wir von der Polizei mit dieser Begründung von Interviews abgehalten. Auch muss sich jeder anmelden, wann er über welche Route zu den Skigebieten fährt. Inzwischen erkenne ich schon einige staatliche Aufpasser in der Ski-Region. Sie warteten schon am Bahnhof auf mich. Den ganzen Tag haben sie mich dann verfolgt und von Interviews abgehalten.
China fährt seit Beginn der Pandemie eine Zero-Covid-Strategie. Als in der ostchinesischen Hafenstadt Tianjin kürzlich Omikron-Fälle nachgewiesen wurden, wurde die 13 Millionen-Stadt durchgetestet, Wohnanlagen und Bürotürme dichtgemacht. Konnte ein weiteres Verbreiten der neuen Virus-Variante damit verhindert werden?
Das Virus hat sich weiterverbreitet und ist auch in andere Städte getragen worden. Nach offiziellen Zahlen werden es aber von Tag zu Tag weniger Fälle. Die offiziellen Fallzahlen sollte man allerdings gerade mit viel Vorsicht betrachten. Es steht eines der wichtigsten Events für die Staatsführung an, da dürfen die Zahlen einfach nicht schlecht sein. Interessant ist eher, was gerade alles erschwert wird, wie Ein- und Ausreisen aus der Stadt Peking.
Das heisst, die Regierung fährt trotz Olympischer Spiele mit ihrer rigorosen Covid-Strategie fort?
China hält an seiner Null-Covid-Politik fest. Die Massnahmen mit dem Ziel, «drinnen» und «draussen» zu trennen, sind sehr extrem. Gleiches gilt für die Quarantäne von Fällen und Kontaktpersonen. Und es gibt quasi unendlich Manpower in China, um all diese Massnahmen strikt nach Buch durchzuziehen. Kommt hinzu, dass China fürchtet, dass sonst die Krankenhäuser überlastet werden.
Trägt die Bevölkerung das überhaupt noch mit?
Generell hat die Null-Covid-Politik in China viel Unterstützung. Niemand könnte sich hier vorstellen, wie es sonst funktionieren sollte. In China haben die Leute Angst vor Chaos – das ist sicherlich auch mit der eigenen Geschichte des Landes begründet. Einen starken Führer, strikte Pläne – die meisten finden das gut. Die meisten Menschen hier unterstützen «Papa Xi», wie der Staats- und Parteiführer oft genannt wird. Sie wollen einen starken Führer, wirtschaftlichen Erfolg und bezeichnen Andersdenkende als «Unruhestifter».
Der Westen verzichtete auf eine Null-Covid-Politik. Riskierte damit aber an vielen Orten, dass die Gesundheitssysteme kurz vor dem Kollaps standen.
Natürlich ist die Zero-Covid-Strategie für China auch ein politischer Gewinn. In China sind einige Tausend Menschen an Covid gestorben. Hier zeigt man mit dem Finger auf den Westen und versteht schlicht nicht, wie man China Menschenrechtsverletzungen zum Beispiel gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren vorwerfen kann und im Westen gleichzeitig Hunderttausend Menschen an Covid sterben.
Und trotzdem riskiert China mit dem Austragen der Olympischen Winterspiele, die Zero-Covid-Strategie aufs Spiel zu setzen. Legt man sich damit nicht selbst ein Ei?
Die Olympischen Winterspiele sind eine Propaganda-Show. Für die Regierung wird es ein Erfolg sein. China ist in den vergangenen Jahren sehr nationalistisch geworden – auf Anordnung von ganz oben. Jetzt wird nochmal Nationalstolz geschürt. Es ist der Klassiker: «Brot und Spiele». China muss wirtschaftliche Einbussen in den nächsten Jahren befürchten. Wenn es wirtschaftlich nicht mehr so steil bergauf geht, soll offenbar Nationalismus die Gesellschaft zusammenkitten. Grosses Thema ist hier immer der Vergleich zum Westen. Immer wieder werden «Beweise» angeführt, warum das autokratische System hier den liberalen Demokratien überlegen ist. Da passt es gut, mit Olympia zu trumpfen.
Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.
Jeder kann selber entscheiden ob er/sie solche Staaten besucht oder boykottiert.
Für mich sind solche Staaten zu meiden und zu boykottieren