Die Welt blickt heute nach London. Das letzte Kapitel der offiziellen Staatstrauer kommt mit dem wohl grössten Staatsbegräbnis der Geschichte Grossbritanniens zu einem Ende. Nachdem Queen Elizabeth II. quer durchs Königreich transportiert wurde, wird sie heute auf Schloss Windsor beerdigt. Rund eine Million Menschen werden zum Staatsbegräbnis der britischen Königin in der St George's Chapel erwartet, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.
Der Tod der Queen hat ein altes Phänomen hervorgerufen: die Massentrauer – Menschen trauern ohne persönliche Betroffenheit. Warum?
Der Tod der Queen macht Menschen rund um den Globus tief betroffen und traurig. Die Königin wurde 96 Jahre alt und sei friedlich eingeschlafen. Warum ist ihr Tod trotzdem so ergreifend?
Birgit Jeggle-Merz: Klar, sie war 96 Jahre alt und jede und jeder wird ihr den friedlichen Tod gönnen. Aber es ist bei ihr ein wenig so, als würden sich die Menschen von ihrer eigenen Mutter, ihrer eigenen lieben Person verabschieden. Und wie jeder Tod eines nahestehenden Menschen einen ganzen Sturm von Gefühlen auslöst, so löst auch der Tod der Queen bei vielen Menschen tiefe Gefühle aus.
Warum fühlen wir uns zu Personen, die wir nicht kennen, so verbunden?
Die Leute haben in den vergangenen Tagen lange Warteschlangen in Kauf genommen, um den aufgebahrten Sarg der Queen zu besuchen. Es ist beeindruckend, dass Menschen sich diesen Strapazen aussetzen, um sich von einer Frau zu verabschieden, die sie nie getroffen haben, die nichts von ihnen wusste und ihre Sorgen nicht wirklich teilte. Eine Fremde war diese Frau für sie dennoch nicht, sie war Teil ihrer Familie, Teil ihres Lebens.
Inwiefern?
Sie Bestandteil ihres Lebens, täglicher Gegenstand der Nachrichten, allgegenwärtig auf den Titelblättern von Zeitschriften. Dadurch war sie für viele wie ein Familienmitglied oder eine Freundin.
Können Menschen demnach zu öffentlichen Personen durch (soziale) Medien eine Verbindung aufbauen?
Vor einigen Tagen begegnete ich einer unserer Bundesrätinnen am Perron im SBB-Bahnhof in Basel. Sie war gerade aus demselben Zug ausgestiegen wie ich. Im ersten Moment hatte ich sie nicht als Bundesrätin erkannt, sondern ich sah in ihr eine gute Bekannte, zu der ich schon auf dem Sprung war, um sie zu begrüssen. Ich brauchte tatsächlich einen Bruchteil einer Sekunde, um zu registrieren, dass wir uns ja gar nicht kennen. Ihr Gesicht war mir so vertraut. Sie ahnen, was ich damit sagen möchte.
Dass wir uns zu Bundesrätinnen verbunden fühlen können.
(schmunzelt).
Ein weiteres Phänomen ist das Teilen von Postings und Nachrufen der Queen in den sozialen Medien. Warum machen wir das?
Aus demselben Grund, weshalb man zu einer Beerdigung geht. Es ist eine Form der Anteilnahme und des Respekts vor der verstorbenen Person und den Angehörigen. Zudem denke ich, dass diese Form von Anteilnahme psychohygienische Funktionen hat, also unserer Seele guttut.
Trauern wir deshalb auch im Kollektiv um Menschen, die wir nicht kennen? Oder gibt es noch einen anderen Grund?
Es gibt noch einen weiteren Grund. Man trauert, ohne dass sich das eigene Leben verändert. Nach einem besonderen Ereignis, etwa einem Terrorakt, einem Flugzeugabsturz oder eben auch nach dem Tod einer öffentlichen Person, kann uns die Trauer in Gesellschaft einüben, künftig schwere Ereignisse zu verarbeiten.
Kann uns die Massentrauer auch unter Druck setzen?
Wenn ganz England in diesen Tagen den Atem anhält, dann ist das für diejenigen, die weder der Monarchie noch dem Symbol Queen etwas abgewinnen können, nicht ganz einfach. Und auch in unserem Land werden nicht wenige den Kopf darüber schütteln, dass die Medien über jeden Schritt berichten, den ein Angehöriger des Königshauses in diesen Tagen macht. In London würde ich mich auch unter Druck fühlen, hier in der Schweiz aber nicht.
Warum?
Wenn alle meine Nachbarn ihre Häuser mit dem Bild der Queen und der britischen Flagge geschmückt hätten, man sich verabreden würde, um gemeinsam das Begräbnis zu verfolgen, wenn meine Kolleginnen und Kollegen aus Betroffenheit zeitweise arbeitsunfähig wären, dann würde ich mich fragen, warum ich so anders bin. Wahrscheinlich würde ich mich mitreissen lassen und sicher zumindest am Bildschirm sitzen.
Trauern wir eigentlich stärker, je mehr über einen Todesfall berichtet oder auf den sozialen Medien geteilt wird? Bei Gorbatschow fiel die Resonanz beispielsweise weniger gross aus.
Wäre die Queen mit 70 in den Ruhestand gegangen, wäre das öffentliche Interesse bei ihrem Tod im 96. Lebensjahr ein ganz anderes gewesen. Die kollektive Trauer, die wir jetzt erleben, hätte vermutlich nie ein solches Ausmass erreicht.
Ihr Tod hängt also auch stark mit dem Verlust eines Symbols zusammen?
Die englische Monarchin galt als Garant für Stabilität, ihr Tod als Ende einer Ära. 15 Premierminister haben unter ihr dem Land gedient. Die Politikerinnen und Politiker gehen, aber sie war immer da. Eine, die an ihrem 21. Geburtstag versprochen hat, dass sie ihr ganzes Leben, sei es lang oder kurz, ihrem Dienst widmen werde. Sie hielt ihr Versprechen trotz der gesellschaftlichen Veränderungen, trotz ihres Älterwerdens. Insofern war sie ein starkes Symbol, das nun vielen fehlen wird.
Kann der Mediensturm um Trauermeldungen uns abstumpfen?
Ich glaube nicht. Die letzten grossen Ereignisse von weltweiter Massentrauer waren der Tod von Lady Di und von Papst Johannes Paul II. Die Zyklen für Massentrauer nach dem Tod einer öffentlichen Person sind recht gross.
Können Verluste wie der der Queen auch eine Verbindung zu persönlichen Verlusten herstellen?
Das kann tatsächlich passieren. Die Trauer über den Tod einer öffentlichen Person kann die Gefühle über den Verlust eines nahestehenden Menschen wieder an die Oberfläche spülen. Trauer ist nicht etwas, was nach einer bestimmten Trauerzeit beendet ist. Es ist eine schwere Arbeit, den Tod eines geliebten Menschen in sein Leben zu integrieren.
Setzten wir uns gleichzeitig auch mit der eigenen Sterblichkeit und der Endlichkeit auseinander?
Ja, natürlich! Jeder Tod eines anderen, insbesondere wenn wir eine wie auch immer geartete Beziehung zu der verstorbenen Person hatten, bringt uns in Kontakt mit der Tatsache, dass auch unser Leben einmal zu Ende gehen wird. Daraus können sich Grundfragen des Lebens ergeben: War es das Leben, das ich wollte? Konnte ich meine Träume verwirklichen? Wer möchte ich sein, bis es einmal für mich so weit sein wird? Für einige wird sich auch die Frage anschliessen: Was wird sein nach dem Tod? Nichts, oder doch ein anderes Leben?
Mich nehmen News von gestorbenen Menschen sehr wohl mit wenn sie z.B. kleine Kinder hatten und der Tod unerwartet war, ein Schicksal für eine Familie ist.
Aber eine Bonzen Familie die viel zu viel Vermögen hat, who cares?