Der argentinische Präsident Javier Milei hat seinen Wählerinnen und Wählern den US-Dollar als neue Landeswährung versprochen. Erstmals will sich ein grosses Land auf dieses Experiment einlassen. Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen?
William White: Ich habe mir noch nie überlegt, ob sich die Erfolgswahrscheinlichkeit verändert, wenn ein grosses oder ein kleines Land die eigene Währung aufgibt und den Dollar zur Landeswährung macht. Es gibt die bekannten Beispiele von kleinen oder kleineren Ländern wie Panama oder Ecuador, die es getan haben. Aber deren Motiv für den Währungswechsel war das gleiche wie das von Javier Milei: Man will die notorisch hohen Inflationsraten unter Kontrolle bringen.
Die US-Notenbank erhält quasi ungefragt viel zusätzliche Verantwortung, wenn sie die Geldpolitik auch für andere, zumal sehr grosse Länder machen soll. Wäre es denkbar, dass sich die Fed dagegen sträubt?
Das glaube ich nicht. Die US-Notenbank hat den Auftrag, die Geldpolitik zu betreiben, die für die Vereinigten Staaten von Amerika passt. Was in anderen Ländern passiert, ist zweitrangig oder sogar irrelevant. Diese Erfahrung hatte Argentinien schon vor dreissig Jahren gemacht. Carlos Menem knüpfte 1991 den Wechselkurs des Peso sehr eng an den Dollar, um der damaligen Hyperinflation in Argentinien Herr zu werden. Das Experiment schien zunächst zu funktionieren, aber dann erhöhte die Fed 1994 schnell und kräftig die Zinsen.
In Mexiko kam es zur Tequila-Krise, 1997 folgte die Währungskrise in Südostasien, und in Argentinien stieg die Auslandverschuldung stark – diesmal aber in Dollars und nicht mehr in Pesos. Die ausländischen Investoren, die vorher viel Kapital nach Argentinien gebracht hatten, spürten, dass die Dollar-Anbindung nicht durchzuhalten war. Sie zogen das Geld ab, und ihre Erwartung ging in Erfüllung. Argentinien stürzte 2001 in eine tiefe Wirtschaftskrise, die das Land bis heute nicht überwunden hat.
Können Länder einen Währungswechsel langfristig also gar nicht durchhalten?
Doch, sie könnten schon. Aber im Prinzip kann ein Land mit dem US-Dollar nur glücklich werden, wenn die Regierung in der Lage ist, eine Haushaltsdisziplin durchzuhalten. Aber wenn eine Regierung diese Haushaltsdisziplin hat, dann braucht sie den Dollar nicht.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ja nicht unbedingt ein Vorbild für andere Länder in puncto Haushaltsdisziplin.
Nein, die Haushaltspolitik der USA ist sicher nicht vorbildlich. Trotzdem geniesst der Dollar noch immer sehr viel Vertrauen in der Welt. Ich würde deshalb sagen, der Dollar geniesst zu viel Vertrauen.
Bitte stellen Sie Ihr Argument noch etwas dar!
Die USA verfügen mit dem Dollar über die mit Abstand wichtigste Reservewährung in der Welt. Ein Land mit einer solchen Währung geniesst sehr grosse Vorteile. Es kann wertvolle Waren einführen und diese mit einem Stück Papier bezahlen, dessen Werthaltigkeit mindestens viel weniger eindeutig ist als jene der importierten Ware. Aber der Deal funktioniert trotzdem, weil die ganze Welt bereit ist, Dollars zu halten und mit Dollars zu zahlen.
Der belgische Ökonom Robert Triffin identifizierte das Problem schon 1959 anhand einer Fehlkonstruktion im damaligen Weltwährungssystem Bretton Woods. Die USA hatten mit dem goldgedeckten Dollar eine starke Währung und einen starken Anreiz, mehr zu importieren als zu exportieren. Im Prinzip hätte das wachsende Zahlungsbilanzdefizit der USA das Vertrauen in den Dollar schwächen müssen, aber das war nicht der Fall.
Und es ist bis heute nicht der Fall. Kann man sagen, dass diese Fehlkonstruktion des Bretton-Woods-Systems in anderer Form bis heute weiterexistiert?
So ist es. Es gibt offensichtlich Systeme, die fundamental instabil sind, die aber viel länger funktionieren können, als man erwarten würde.
Was könnte das System zum Kippen bringen?
Vielleicht die amerikanische Fiskalpolitik. Das jährliche Budgetdefizit beläuft sich derzeit auf 8 Prozent des Bruttoinlandproduktes – und das auf dem Höhepunkt des aktuellen Konjunkturzyklus. So etwas konnte ich mir vor wenigen Jahren noch kaum vorstellen. Zehn Jahre nach der Rückstufung durch Standard&Poor's erwägt nun auch Moody's offiziell, den USA die Bestnote für deren Kreditwürdigkeit zu entziehen. Als Grund dafür gibt die Rating-Agentur nicht die hohe Verschuldung oder das hohe Budgetdefizit an, sondern die Polarisierung in der Politik.
Während die Demokraten seit Jahren als einzige fiskalpolitische Massnahme nur noch höhere Steuern akzeptieren, bestehen die Republikaner ebenso stur auf Ausgabenkürzungen als der einzigen Massnahme. Von Joseph Schumpeter, der vor mehr als siebzig Jahren starb, heisst es, er habe gesagt: Die Essenz von Wirtschaftspolitik ist die Politik, die Politik und nur die Politik. Schumpeter sah die Zukunft der freien Marktwirtschaft sehr pessimistisch. Das sollte uns Warnung genug sein.
Wo sehen Sie denn den Ausweg aus dieser Schuldenfalle?
Wir sollten zuerst einmal ehrlich sein und uns eingestehen, dass ein bedeutender Teil der globalen Schulden nie zurückgezahlt werden wird.
Wie gelangen Sie zu dieser pessimistischen Sicht?
Es ist einfach eine Tatsache, dass es sehr viele schlechte Schuldner da draussen gibt. Etwa die Hälfte aller Unternehmensschulden geniessen eine Bonitätsnote von BBB. Direkt unterhalb dieses Rating-Bereichs nehmen die Risiken von Zahlungsausfällen stark zu. Etwa 60 Prozent der Staatsschulden aller einkommensschwachen Länder sind gemäss dem Internationalen Währungsfonds bereits notleidend oder unmittelbar von einem Zahlungsausfall bedroht. Viele Länder geben mehr für Zinszahlungen aus als für das eigene Gesundheitssystem.
Warum bekommen wir das Problem nicht in den Griff?
Ein wichtiger Grund ist, dass wir noch immer keine geeigneten Verfahren haben, mit Schuldenrestrukturierungen umzugehen. Die Welt wäre zu Tode erschrocken, wenn die Schweiz die Credit Suisse hätte in Konkurs gehen lassen. Dabei wissen wir schon lange, dass auch grosse, systemrelevante Banken untergehen können. Aber wir lassen es nicht zu, weil wir das Chaos fürchten müssen, das ein unkoordinierter Konkurs auf den Finanzmärkten anrichten kann. Wir sollten anfangen, ernsthafter über die systemischen Folgen unserer Geld- und Wirtschaftspolitik nachzudenken.
Meinen Sie damit vor allem die Notenbanken?
Nicht nur, aber die Notenbanken haben viel Verantwortung, die sie in den vergangenen dreissig Jahren viel zu wenig wahrgenommen haben. Die Finanz- und Währungskrisen kehren in immer kürzeren Abständen und mit einer immer grösseren Heftigkeit zurück. Als ich 1994 bei der BIZ in Basel zu arbeiten anfing, war gerade die Tequila-Krise im Gang. 1997 kam die Währungskrise in Südostasien. 1998 folgte die Pleite des LTCM-Hedgefonds, der auch die UBS und andere Grossbanken in Schwierigkeiten brachte. 2001 platzte an den Börsen die Dotcom-Blase und sechs Jahre später begann die globale Finanzkrise.
Die Antwort der Notenbanken war jedes Mal dieselbe: Die Märkte wurden zu ihrer Beruhigung mit Liquidität geflutet und die Geldpolitik für längere Zeit stark gelockert. Im Prinzip wandten auch die meisten Regierungen dieses gleiche Rezept an, als sie während der Covid-Pandemie die Wirtschaft mit gigantischen fiskalischen Massnahmen schützten.
Hätte man den Krisen denn jedes Mal ihren freien Lauf lassen müssen?
Nein. Massnahmen zur Beruhigung der Märkte sind angemessen, aber die Zinsen über lange Zeiträume sehr tief zu halten, ist nicht angemessen. Zudem werden Lösungen zum Problem, wenn sie immer und immer wieder angewendet werden. So verliert die Geldpolitik nicht nur ihre Wirkung, es häufen sich auch die unerwünschten Nebenwirkungen wie der globale Schuldenaufbau. Die Notenbanken glauben zu sehr an die Projektionen ihrer begrenzten, linearen ökonomischen Modelle, und sie tragen systemischen und nicht linearen Reaktionen zu wenig Rechnung.
Sollten wir uns da nicht alle an der Nase nehmen? In Argentinien wählt die Bevölkerung einen Präsidenten, der ein Rezept verkauft, von dem die Leute wissen, dass es keine rasche Heilung bringt.
Ich fürchte, dass die Wähler in Argentinien und auch anderswo die alten Führer viel stärker ablehnen, als sie die Politik der neuen annehmen. Die Geschichte vieler Länder im vergangenen Jahrhundert zeigt, dass insbesondere auf Finanzkrisen häufig Wahlen folgen, die das demokratische Zentrum zugunsten populistischer Extremisten aushöhlen.
Im gegenwärtigen Umfeld von Hoffnungslosigkeit und Verweigerung, das durch zunehmende Ungleichheit bei Einkommen, Wohlstand und Chancen hervorgerufen wird, ist die Glaubwürdigkeit der Versprechungen von aufstrebenden Führungspersönlichkeiten fast unerheblich. Tatsächlich entscheiden sich die Wähler freiwillig, vom Regen in die Traufe zu springen. (aargauerzeitung.ch)