Während der ersten Amtszeit von Donald Trump verzeichneten Newsportale – auch Ihr Medium «Politico» – einen deutlichen Anstieg bei Klickzahlen und Abonnements. Dieser Effekt würde sich bei einer Wiederwahl abschwächen, wurde erwartet. Ist das bislang der Fall?
John Harris: Es gibt nach wie vor ein intensives Interesse an der Trump-Berichterstattung. Es liegt auf konstant hohem Niveau, und man beobachtet weniger Ausschläge als in der ersten Amtszeit, als die Zugriffszahlen stark schwankten. «Politico» setzte allerdings nie auf blosse Reichweite. Unser Fokus lag stets darauf, eine spezifische Zielgruppe zu erreichen – politische Entscheidungsträger in Washington oder anderen Machtzentren. Wir wollen den Wert unseres Journalismus über Abonnements oder gezielte Werbung monetarisieren.
Trump überflutet die USA und die Welt geradezu mit News: Er erlässt dauernd Exekutiv-Verordnungen und überfordert so nicht zuletzt auch den Journalismus. Was tun?
Das ist tatsächlich eine enorme Herausforderung. Es passiert unglaublich viel. Im Unterschied zur ersten Amtszeit sehe ich in Trumps zweiter Amtszeit eine stärkere inhaltliche Ausrichtung. Die Menschen um ihn herum verfolgen bestimmte ideologische Ziele, haben klare Vorstellungen davon, was der Staat tun sollte und was nicht – und setzen diese Vorstellungen auch um. In der ersten Amtszeit wirkte vieles eher impulsiv, getrieben von Trumps persönlichem Instinkt oder seiner Laune. Das ist heute anders. Das stellt Medien vor die Aufgabe, nicht nur Schlagzeilen oder Beleidigungen zu dokumentieren, sondern tiefer zu graben.
Was heisst das konkret?
Die Medien müssen den relevanten Fragen nachgehen: Welche konkreten Auswirkungen haben diese Entscheidungen? Welche strukturellen Veränderungen erfolgen da gerade? Trump versucht, die Macht des Präsidenten massiv auszubauen – mit tiefgreifenden Folgen für das politische System.
Sie berichten seit der Ära Bill Clinton über US-Präsidenten. Wie gehen Sie persönlich mit Trump um?
So bedeutend wie die Entwicklungen heute sind, war es in den letzten Jahrzehnten in Washington nur sehr selten – 9/11 war vielleicht ein vergleichbarer Moment. Mein Ansatz ist es, den Blick auf das grosse Ganze zu richten. Wir befinden uns in einem historischen Moment. Das sind keine normalen Zeiten. Wir haben eine grosse Verantwortung und eine grosse Geschichte zu erzählen. Jeder Journalist ist auch Bürger und hat natürlich persönliche Ansichten. Aber im Beruf gilt eine klare Disziplin: Unsere persönlichen Meinungen sind zweitrangig.
Sie gelten als Verfechter einer klaren Trennung von Berichterstattung und Meinung. Viele Journalisten haben Mühe mit dieser Trennung angesichts radikaler Entscheidungen von Trump.
Journalismus erfordert Disziplin. Unsere Aufgabe ist es, neugierig zu sein, zu erklären, zu beleuchten. Bei «Politico» sehen wir uns nicht als Kommentatoren, sondern als Analysten. Andere Medien haben andere Modelle, das ist völlig in Ordnung. Aber unsere Stärke liegt in der Tiefe – im Verständnis für politische Prozesse, für historische Zusammenhänge, für Fachthemen. Sich zu empören, das ist nicht unsere Strategie. Und das hätte auch wenig mit journalistischer Macht zu tun.
Trump ist der erste US-Präsident, der die Presse nonstop angreift und als «Feind des Volkes» beschimpft. Diese Rhetorik wird inzwischen auch von Populisten in Europa übernommen. Sollte man das als Journalist ignorieren – oder zurückschlagen?
Ignorieren sollten wir es nicht – seine Kritik ist zweifellos berichtenswert. Wir sollten selbstbewusst für den Wert unserer Arbeit einstehen. Für die historischen Grundlagen unseres Berufs, für den Wert unserer Berichterstattung. Trump ist in diesem Punkt kein Innovator. Er greift auf eine Rhetorik zurück, wie sie autoritäre Führer seit langem benutzen. Ob er ein autoritäres System in den USA etablieren will, ist offen – klar ist aber, dass er versucht, die Macht des Präsidenten massiv auszuweiten.
Wie gefährlich ist das für die Demokratie?
Wir sollten die Relationen wahren. In vielen Ländern riskieren Journalisten ihr Leben, werden eingeschüchtert oder sogar getötet. In den USA haben wir – trotz aller Probleme – die Möglichkeit, unsere Arbeit zu machen. Und genau das sollten wir tun. Ohne uns als Journalisten in eine Märtyrerrolle zu begeben oder uns auf ein Podest zu stellen. Die Öffentlichkeit will, dass wir unsere Arbeit tun.
Eine zentrale Frage in der Trump-Präsidentschaft ist: Wie geht es in der Ukraine weiter? Steht Amerika noch an der Seite Europas – oder eher an jener Putins?
Wir erleben definitiv eine neue Ära in den transatlantischen Beziehungen, mit offenem Ausgang. Genau das macht diese Zeit journalistisch so spannend: Vieles, was lange als gesetzt galt, ist plötzlich wieder offen. Wie sich das transatlantische Bündnis entwickelt – in Fragen der Sicherheit, des Handels, der Diplomatie – ist derzeit unklar. Klar ist: Trump hat eine völlig andere Sicht auf den Krieg in der Ukraine als Präsident Biden.
Was ist der entscheidende Unterschied?
Trump sieht sich selbst als genialen Deal-Maker. In seinen Augen ist der Krieg irrational, dauert zu lange, und er glaubt, er könne ihn im Alleingang beenden. Während des Wahlkampfs behauptete er, das Ganze wäre unter seiner Führung binnen 24 Stunden vorbei. In der Realität zeigt sich jetzt: So einfach ist es nicht.
Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Trump und Putin beschreiben?
Trump bewundert Führungsfiguren, die in seinen Augen Stärke zeigen. Er hat eine Weltanschauung, in der es starke Nationen gibt – und alle anderen. Aussenpolitik bedeutet für ihn, dass die Starken ihre Interessen durchsetzen und für sich selbst die besten Deals aushandeln. Er sieht das globale Machtgefüge im Grunde wie den Immobilienmarkt in Manhattan: Es geht darum, hart zu verhandeln und zu gewinnen. Ein paar starke Akteure setzen sich durch, der Rest zählt weniger.
Das funktioniert nicht unbedingt …
Die Welt ist komplexer. Selbst die stärksten Nationen können nicht einfach ihren Willen durchsetzen. Auch die USA stossen da an Grenzen. Der Vorfall im Oval Office mit Selenski, als Trump sagte «du hast keine Karten in der Hand», zeigt genau das – aber es gibt viele Situationen, in denen auch Trump nicht die Karten hält.
Ganz grundsätzlich: Ist Donald Trump für Sie noch ein demokratischer Führer, oder hat er bereits eine Grenze zum Autoritären überschritten?
Trump wurde 2024 in einer demokratischen Wahl gewählt – genauso wie 2016. Er hat die Wahl nicht gestohlen, sondern gewonnen. Und anders als 2016, als viele eher gegen Hillary Clinton als für Trump gestimmt hatten, wusste dieses Mal jede Wählerin und jeder Wähler, wer er ist. Er war bereits Präsident, stand seitdem durchgehend im Rampenlicht. Er gewann in allen umkämpften Bundesstaaten und verbesserte seine Ergebnisse gegenüber 2016 und 2020. Insofern ist er ein demokratisch gewählter Führer. Aber Sie meinen wohl, ob er autoritäre Ziele hat ...
Strebt er Richtung Autoritarismus?
Zumindest möchte er sich von vielen Kontrollmechanismen unseres Systems befreien. Vom Kongress, von den Gerichten, von öffentlicher Meinung, von unabhängigen Institutionen wie Universitäten oder der Presse. Er will sich von diesen Fesseln lösen. Das ist keine Diktatur – aber es ist eine gefährliche Entwicklung, die wir genau beobachten müssen.
Was wird entscheidend sein, in welche Richtung es geht?
Eine der grössten Geschichten, die wir aktuell in Washington verfolgen, ist diese: Wie werden die Gerichte auf Trumps aggressivste Versuche reagieren, die präsidiale Macht auszuweiten? Wenn er gegen gerichtliche Entscheidungen verliert – wird er sie respektieren? Schon jetzt beobachten wir, dass das Vertrauen in die Gerichte in den USA auf einem historischen Tiefpunkt angekommen ist. Gleichzeitig: Wir haben eine verfassungsmässige Demokratie, die seit über 240 Jahren besteht und schon viele Prüfungen bestanden hat. Deshalb bin ich auch vorsichtig mit Begriffen wie «Diktator» – das entspricht aus meiner Sicht nicht der politischen Realität in den USA.
Bei drei Antworten sagt er, dass Trump das System zu seinen Gunsten verändern will.
Das macht nur jemand mit bestimmten Absichten.
Beides sind demokratisch von einer Mehrheit des Volkes gewählte Präsidenten, die sich immer streng an die Verfassung halten und im Interesse der breiten Bevölkerung handeln.
Und morgen in den "technisch korrekt" Headlines: Erdbeeren sind keine Beeren.
John Harris hat enorm Schiss vor Donald und dieses Interview ist ein Trauerspiel.
Mark Twain (bzw. Samual L. Clemens) wird sich im Grabe umdrehen ....