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Antisemitismus bei der Linken: «Eine unerträgliche Relativierung»

epa10926248 Activists hold hold sheets reading (L-R) 'End apartheid', 'End genocide' and 'End occupation' during a demonstration in solidarity with Palestinians in Berlin ...
Propalästinensische Demonstration in Berlin (Symbol): Oft mit Anti-Israel-Rufen und Judenhass.Bild: keystone
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Antisemitismus bei der Linken: «Das ist eine unerträgliche Relativierung»

Der Antisemitismus ist zurzeit auch unter Linken stark. Beim Parteitag der Linken in Deutschland riss einem prominenten Parteimitglied der Geduldsfaden. Er kritisierte seine Partei scharf.
18.11.2023, 20:43
Annika Leister / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Es ist fast Mitternacht, als Klaus Lederer am Freitag beim Parteitag der Linken auf die Bühne steigt. Der ehemalige Kultursenator von Berlin gilt mit Blick auf die Aussenpolitik als kluger Analyst und gemässigter Ruhepol seiner Partei, deren Kurs in dem Bereich oft wild ist – Kuscheln mit Putin und Verständnis für die Terroristen der Hamas inklusive.

Lederer hat sich in Zeiten, wenn die Linke sehr stark ausschlug, in den vergangenen Jahren oft zu Wort gemeldet. Zuletzt hat er sich im Ringen um den Kurs der Partei mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich gegen Sahra Wagenknecht gestellt.

Nun ist Wagenknecht weg, Lederer aber hat ein ernstes Anliegen: Antisemitismus in seiner Partei. Denn auf den propalästinensischen Demos zurzeit protestieren oft auch Linke mit Israel-feindlichen oder antisemitischen Sprüchen. Auch auf dem Parteitag meldeten sich Genossen mit Wortbeiträgen, die Lederer wütend machen. «Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben ein Problem, ein ernsthaftes Problem», sagt er.

Ein Gespräch mit Klaus Lederer über die Probleme seiner Partei, die Wurzeln des linken Antisemitismus und simple Wahrheiten.

Das Interview

Herr Lederer, was hat Sie zu Ihrer Rede zum Antisemitismus in der Linken gebracht?
Klaus Lederer:
Die teilweise schockierenden Reaktionen nach dem 7. Oktober. Insbesondere die eines Abgeordneten in der Linken-Fraktion im EU-Parlament, der Gaza mit dem Warschauer Ghetto verglichen hat. Das finde ich eine unerträgliche Relativierung des Holocaust. Auch hier auf dem Parteitag habe ich Grenzüberschreitungen erlebt, die in einer linken Partei keinen Raum haben dürfen. Ich wollte mit meiner Rede an etwas eigentlich Simples erinnern.

An was?
Der Nahostkonflikt mag komplex sein. Aber der 7. Oktober ist eine Zäsur, die zum Innehalten und Nachdenken anhalten sollte. Und zwar über das, was sich am 7. Oktober abgespielt hat.

Was ist das aus Ihrer Sicht?
Eine hoch ausgerüstete, bestens vorbereitete Kommandoeinheit von Hunderten Terroristen ist in Israel eingefallen – mit dem Ziel, so viele Menschen wie nur möglich, so brutal wie nur möglich zu ermorden. Damit nicht genug: Ihre Taten haben sie über Bodycams und Livestreams im Internet übertragen. Sie wollten eine genozidale Botschaft versenden: Wo immer ihr lebt, ihr Jüdinnen und Juden, ihr könnt euch nicht sicher fühlen. Dieser symbolische Bezug auf Auschwitz geschah bewusst. Darum ging es. Da müssen Linke doch klar sein!

Linken-Politiker Klaus Lederer: Von 2016 bis 2023 war er Kultursenator und Bürgermeister von Berlin.
Linken-Politiker Klaus Lederer: Von 2016 bis 2023 war er Kultursenator und Bürgermeister von Berlin.Bild: Imago

Viele ihrer Genossen setzten in ihren Reden auf dem Parteitag andere Prioritäten. Eine Genossin sagte erschrocken: Manches klinge, als komme es von Alice Weidel. Was sind die Wurzeln für diesen Antisemitismus bei der Linken?
Im modernen Antisemitismus wird jüdischen Menschen grosse Macht und die Verantwortung für die negativen Seiten des Kapitalismus zugeschrieben. Davor sind auch Linke nicht gefeit. Es gibt innerhalb der Linken ausserdem den guten Reflex, sich immer auf die Seite der Schwächeren zu stellen. Beim Nahostkonflikt herrscht die Vorstellung vor: Israel ist die militärisch stärkere Seite, die Palästinenser die schwächere. Das ist aber zu einfach. Die Hamas, die den Gaza-Streifen und seine Zivilbevölkerung beherrscht, hat viele Unterstützer, nicht nur Iran und die Hisbollah, und eine ideologische Agenda des eliminatorischen Antisemitismus.

Seit wann sind antisemitische Positionen stark in der Linken?
Nach der Shoah, nach dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden, gab es in der Linken starke Traditionen, die Notwendigkeit des Staates Israels als Schutzraum ernst zu nehmen und in jeder Hinsicht zu verteidigen – auch mit Blick auf das Selbstverteidigungsrecht Israels. Das hat sich mit dem Sechstagekrieg 1967 verändert.

Inwiefern?
Die Shoah als Zivilisationsbruch, die Besonderheit dieses fundamentalen Angriffs auf jede Art von menschlicher Emanzipation – das ist in den Hintergrund gerückt. Stattdessen rückten sehr oberflächliche, einseitige Parteinahmen im Nahostkonflikt in den Vordergrund. Das sehen aber auch viele Linke kritisch. Nach meiner Rede habe ich viel Zustimmung erhalten.

Haben Sie da Sorge mit Blick auf die nächste Generation? Auch Greta Thunberg und Fridays for Future stehen wegen Antisemitismus in der Kritik, auf propalästinensischen Demos rufen besonders junge Linke israelfeindliche Parolen.
Antisemitismus ist kein Problem allein der Jungen, auch nicht der Linken. Er ist auch kein importiertes Problem, wie jetzt oft behauptet wird. Er ist ein generelles und weitverbreitetes Problem. Ich wehre mich dagegen, den Antisemitismus immer irgendwo anders zu verorten. Genau das ist Teil unseres Problems.

Was ist stattdessen zu tun aus Ihrer Sicht?
Ich habe als Berliner Kultursenator sechs Jahre lang Erinnerungsarbeit begleitet. Die Herausforderung besteht heute darin, den Zivilisationsbruch der Shoah in neuer Art, mit neuen Mitteln für die heutigen Generationen in einer vielfältigen Gesellschaft zu vermitteln. Wir dürfen da nicht nachlassen. Wir müssen verstehen und eingestehen, wie gross unser Defizit ist. Die Kürzung von Demokratiearbeit durch die Bundesregierung gerade ist da das absolut falsche Signal.

Hamas-Slogan ist in Deutschland verboten
1500 Menschen gingen am Samstag in einer pro-palästinensischen Demonstration auf die Strasse. Gleich zu Beginn kommt es zu einem Zwischenfall. Für einen Mann ist die Demonstration am Samstag bereits beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat: Die Polizei hat ihn vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof abgefangen. In seiner Hand hält er ein rotes Schild. «From the *** to the ***, will be free» steht darauf. Doch die Parole der islamistischen Hamas ist in Deutschland verboten. Auch dann, wenn man «River» und «Sea» durch drei Sternchen ersetzt.

(t-online/dsc)

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Am Morgen des 7. Oktobers 2023 startete die Terrormiliz Hamas einen grossflächigen Angriff auf zahlreiche Ziele in Israel. Es handelt sich um den grössten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
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Arnold Schwarzeneggers starke Botschaft gegen Hass und Antisemitismus
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28 Kommentare
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Jack Bones (1)
18.11.2023 22:25registriert Juli 2022
Das ist so absurd irrational und befremdlich zugleich.

Lasst uns mal sehen wofür die Linke stehen:

Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau
Frauenrechte
Meinungsfreiheit
Menschenrechte
Schutz für Minderheiten
Demokratie
Inklusion für Homosexuelle etc
Usw.

Kein einziger dieser Werten werden von Islamisten verkörpert! Kein einziges islamisch geprägtes Land setzt sich für diese Werte ein.


Also was geht hier vor sich? Verlieren alle den Verstand?
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Ricky LaFleur
18.11.2023 21:04registriert März 2021
"Im modernen Antisemitismus wird jüdischen Menschen grosse Macht und die Verantwortung für die negativen Seiten des Kapitalismus zugeschrieben."

In komplettem Widerspruch zu diesem linken Antisemitismus werden Juden gleichzeitig von Rechten als marxistische fünfte Kolonne dargestellt, die den Kommunismus einführen und die 'weisse Rasse' gegen Migranten austauschen möchte (siehe Elon Musk).

Diese Vorstellung hat in der Rechten eine lange Tradition:

https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdischer_Bolschewismus?wprov=sfla1
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namib
18.11.2023 23:26registriert März 2018
Links hat am extremen Rand schon lange eine unappetitliche Nähe zu palästinensischen Terroristen. Bereits Baader, Ensslin und Meinhof wurden von militanten Palästinensern trainiert. Schon damals verstand sich die RAF als Kämpferin gegen die imperialistischen USA.

Die Kritik an Israels Siedlungspolitik ist legitim und von der Linken zu erwarten. Dass ein Flügel der Partei aber terroristische Gewaltorgien nicht dedizierter verurteilt, ist schockierend. Gut, dass sich parteiinterne Exponenten dagegen wehren und antisemitische Parolen als solche benennen.
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