Tausende Tote und Verletzte, Vergewaltigungen, zerstörte Infrastruktur. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist die Lage erneut eskaliert.
Rebellen der von Ruanda unterstützten Miliz M23 haben Ende Januar die Stadt Goma eingenommen, kurz bevor ein Ultimatum an die kongolesische Armee, die Waffen niederzulegen, abgelaufen war.
Seither herrscht im Ostkongo einmal mehr Chaos. Der bekannte Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau hat die Demokratische Republik Kongo und auch Ruanda mehrfach besucht, eine längere Zeit vor Ort gelebt und mit dem «Kongo Tribunal» ein aufsehenerregendes Theaterprojekt umgesetzt.
Aktuell hält sich Rau für ein Theaterstück in Paris auf. watson erreicht ihn zwischen zwei Proben am Telefon.
Herr Rau, wie erleben Sie die gegenwärtige Eskalation im Ostkongo?
Milo Rau: Das Tragische an diesem Konflikt ist, dass im Ostkongo mit MONUSCO eine der grössten UNO-Friedensmissionen läuft, diese aber absolut nicht in der Lage ist, für Frieden zu sorgen. Jedes Jahr investiert die UNO eine Milliarde Dollar in MONUSCO, eine nachhaltige Stabilisierung der Lage ist jedoch nicht zu beobachten.
Wieso kommt der Konflikt im Ostkongo nicht zur Ruhe?
Das Elend des Ost- und auch des Südkongo besteht darin, dass das Vorkommen an Rohstoffen riesig ist. Mineralien wie Coltan, Kobalt und Kupfer, die unter anderem in Laptops und Smartphones verbaut werden, sind sehr wertvoll und wecken daher ein grosses Interesse. Ist die Lage instabil, lassen sich diese Rohstoffe besser aus dem Land schmuggeln und exportieren. Deswegen haben viele Akteure ein Interesse daran, dass der Krisenzustand aufrechterhalten bleibt.
Welche weiteren Gründe gibt es?
Die Distanzen spielen eine grosse Rolle. Die Demokratische Republik Kongo ist ein riesiges Land, 57-mal so gross wie die Schweiz, mit über 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Zentralregierung in der Hauptstadt Kinshasa ist über 1000 Kilometer vom Ostkongo entfernt, die Region deswegen im Grunde unregierbar. Ob die Lage mit einer funktionierenden Zentralregierung substanziell besser wäre, ist jedoch fraglich.
Weshalb?
Die Regierung verkauft Konzessionen für Rohstoff-Minen einfach an den Meistbietenden. Als Folge davon besitzt eine Firma von irgendwo auf dieser Welt ein Gebiet, das so gross ist wie z. B. die Romandie. Die dort lebenden Menschen werden vertrieben und aufgrund der grassierenden Korruption profitieren vom Deal nur höhere Regierungsangestellte.
Welche Rolle spielt Ruanda?
Ruanda verfügt selbst über keine Rohstoffe, ist aber der grösste Rohstoff-Exporteur in der Region, was natürlich komplett absurd ist. Die angesprochenen Mineralien werden heimlich nach Ruanda gebracht, in irgendeiner Mini-Mine als ruandisch deklariert und dann in alle Welt exportiert. Seit dem Genozid im Jahre 1994 ist Ruanda bis zu einem gewissen Grad unberührbar und verkauft viele seiner Aktionen unter dem Label Selbstverteidigung.
Ruanda unterstützt die Rebellengruppe M23 finanziell, mit Waffen und Soldaten und begründet dieses Vorgehen ebenfalls mit Selbstverteidigung. Dadurch ist M23 die schlagkräftigste Miliz in der Region.
Ursprünglich ist die M23 tatsächlich aus Mitgliedern von ehemaligen Selbstverteidigungsmilizen entstanden, die – eine Haltung, die Ruandas Präsident Paul Kagame teilt – von der Zentralregierung im Kongo enttäuscht waren. Diese Enttäuschung ist teilweise jedoch nur vorgeschoben: Ruanda benötigte einfach einen ‹langen Arm› in den Ostkongo.
Der Ursprung liegt jedoch im Genozid von 1994.
Richtig. Die M23 besteht grösstenteils aus Mitgliedern der Ethnie der Tutsi, die Hutu haben beim Genozid in Ruanda fast eine Million von ihnen umgebracht. Hunderttausende Tutsi sind als Folge des Genozids über die Grenze in den Kongo geflohen, darunter auch viele der Täter. Beide Seiten formierten sich zu Milizen, aufseiten der Tutsi entstand so die Rebellengruppe M23. Ruandas Präsident Paul Kagame, auch er ein Tutsi, hat den Genozid damals zwar beendet. Heute regiert er das wirtschaftlich erfolgreiche Land jedoch quasi-diktatorisch und bisweilen auch auf absurde Art und Weise.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Durch meine Arbeit vor Ort kenne ich Kagames Pressechef sehr gut. In der Regierung ist um 7 Uhr Arbeitsbeginn. Um 7.10 Uhr werden die Türen geschlossen, wer bis dann nicht an seinem Arbeitsplatz ist, hat zwar einen Tag frei, erhält dann aber auch keinen Lohn. Solche Geschichten existieren zuhauf.
Die Rebellengruppe M23 hat Goma bereits 2012 besetzt. Damals reagierten westliche Länder, hielten hunderte Millionen an Entwicklungshilfe zurück. Auch US-Präsident Barack Obama schaltete sich ein. Nach wenigen Tagen war die Besetzung Gomas vorbei. Im aktuellen Fall sind die Reaktionen zurückhaltender. Weshalb?
Letztlich sind fast alle Länder durch diplomatische, militärische oder wirtschaftliche Abkommen mit Ruanda verbunden. China ist in der Region extrem präsent. Die USA haben zwar ein Gesetz verabschiedet, das amerikanischen Unternehmen den Kauf von Mineralien, an deren Abbau z. B. Kinder, schwangere Frauen beteiligt waren, verbietet. Dieser Beschluss schliesst lokale Firmen jedoch aus und verfehlt damit seine Wirksamkeit. Fast alle Menschen, mit denen ich im Rahmen meiner Projekte zusammengearbeitet habe, arbeiteten in ihrer Kindheit und Jugend in einer Mine. Als wäre es ein Ferienjob. Solange so viele Länder mit Ruanda wirtschaftlich lukrative Geschäfte machen, wird sich die Situation in der Region nicht stabilisieren.
Die Regierungen dort sind das Letzte für Land und Leute und ich hoffe, dass der nichts bringende, humanitäre Einsatz des Westens nicht passiert, um sein schlechtes Gewissen zu besänftigen.
Der Bevölkerung bringt es ja offensichtlich rein gar nichts. Bewirkt eher das Gegenteil.