Im Nordwesten des Irans haben Demonstranten Berichten zufolge versucht, die Gebäude von staatlichen Behörden zu besetzen. Auf Videos, die am Donnerstag in sozialen Medien kursierten, waren Szenen zu sehen, die aus der kurdischen Stadt Mahabad stammen sollen.
Unklar war zunächst, ob die Demonstranten – wie behauptet – auch das Büro des Gouverneurs besetzen konnten. Zudem wurde über Schüsse in der Stadt berichtet. Die Umstände waren unklar. Die Videos liessen sich zunächst nicht verifizieren.
Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete, mit Hilfe der Polizei sei ein Eindringen der Demonstranten verhindert worden. Sie veröffentliche mehrere Fotos chaotischer Strassenszenen mit ausgebrannten Läden. Auch diese Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Menschenrechtsorganisation Hengaw mit Sitz in Oslo, die Kontakte in die Region unterhält, berichtete über Zusammenstösse mit Sicherheitskräften. Dabei soll in Mahabad mindestens ein Demonstrant getötet worden sein.
Die südiranische Grossstadt Schiras wurde am Mittwoch derweil von einem Terroranschlag erschüttert. Nach Angaben staatlicher Medien mindestens 15 Menschen getötet. In der Millionenstadt sollen an der schiitischen Heiligstätte Schah Tscheragh zudem Dutzende weitere Menschen verletzt worden sein, berichtete das Staatsfernsehen. Augenzeugen zufolge gab es rund um den Schrein ein grosses Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Attacke auf einem Telegram-Kanal für sich. Immer wieder verüben die sunnitischen Dschihadisten etwa in Afghanistan Angriffe auf schiitische Muslime, die sie als Abtrünnige des Islam bezeichnen und verachten.
Mohammad Bagheri, der Stabschef der iranischen Streitkräfte, machte die Teilnehmer von Protesten mitverantwortlich. «Sie sind mitschuldig an diesem grossen Verbrechen», zitierte die staatliche Nachrichtenagentur den Kommandeur am Donnerstag. Zugleich drohte er: «Die ausländischen und einheimischen Drahtzieher und Verursacher dieses schrecklichen Verbrechens werden bald von Sicherheitskräften und dem Geheimdienst überfallen.»
Inwiefern die Protestteilnehmer mitschuldig sein sollen, ist unklar. Viele Iraner befürchten, dass Sicherheitskräfte nach dem Anschlag noch härter bei Demonstrationen durchgreifen. Am Donnerstag rief eine staatliche Institution dann zu Protestmärschen nach dem Freitagsgebet auf.
Die EU hat unterdessen vom Iran angekündigte Strafmassnahmen gegen europäische Politiker, Journalisten und Einrichtungen scharf verurteilt. Die Sanktionen gegen zwölf Einzelpersonen und acht Einrichtungen seien offensichtlich rein politisch motiviert, sagte ein Sprecher des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. Anstatt sich auf politische Vergeltung zu konzentrieren, sollte der Iran lieber die Grundfreiheiten der eigenen Bevölkerung gewährleisten, die zum Beispiel Meinungsfreiheit einfordere.
In der iranischen Hauptstadt demonstrierten am Donnerstag Hunderte systemtreue Studenten vor der britischen Botschaft. Sie riefen Parolen gegen die Sender BBC Persian und Iran International, die in London ansässig sind. Vor wenigen Tagen hatte das iranische Aussenministerium die Sender auf eine Terrorliste gesetzt.
Auslöser der systemkritischen Massenproteste im Iran war im vergangenen Monat der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstossen haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.
(dab/sda/dpa)
In Solidarität mit den Frauen und Männern im Iran, die sich mit grösstem Mut gegen dieses fanatische, diktatorische System zur Wehr setzen und ihr Leben dabei riskieren.
Frau - Leben - Freiheit!