Vor einem Iran-Protest traf Gummischrot Samans Auge. Es soll kein zufälliger Schuss gewesen sein. Denn: Für die Sicherheitskräfte war Saman kein Unbekannter. Seit Jahren kämpft er gegen das autoritäre Regime im Iran. Den Angriff überlebte er nur knapp. Er verlor dabei ein Auge – und zunächst auch seine Heimat.
06.12.2022, 18:1807.12.2022, 09:20

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Bei den Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini demonstriere er an vorderster Front. Für die Sittenpolizei sei er kein Unbekannter. Seit mehr als zehn Jahren, so sagt er, leiste er Widerstand gegen das autoritäre Regime im Iran: Saman.
«Ich kämpfe gegen das Regime, weil es den Menschen meines Landes die kleinsten natürlichen Rechte genommen hat», sagt Saman zu watson.
In den sozialen Medien provoziert er das Regime nicht nur mit seinem Durst nach Freiheit, sondern auch nach Alkohol. Ein gefährliches Unterfangen. Denn: Seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 ist der Konsum von Alkohol per Gesetz verboten – und steht unter strenger Strafe. Es drohen laut der im Iran angewandten Scharia Peitschenhiebe und bei Wiederholung sogar die Todesstrafe.

«In meinem Iran bluten sich die Menschen aus Geldmangel gegenseitig aus und Maler malen meinen Iran ins Grab. Sie malen mehr Ruinen als zuvor.» Dies schrieb Saman 2017 auf Instagram. bild: instagram/samaniist Dass es die Regierung ernst damit meint, zeigt ein Bericht aus dem Jahr 2020. Amnesty International berichtete vom Fall eines Mannes, der wegen Alkoholkonsums mehrmals verurteilt und am Ende hingerichtet wurde.
«Ich kämpfe gegen das Regime, weil es den Menschen meines Landes die kleinsten natürlichen Rechte genommen hat.»
Saman ist sich dieser Gefahr bewusst. Für seinen Mut und seinen Widerstand wird er bewundert. Auf Instagram teilte der Aktivist unter einem Bild Folgendes: «Im Iran bluten sich die Menschen aus Geldmangel gegenseitig aus. Maler malen mein Iran ins Grab.» Unter den Kommentaren steht: «Du bist ein mutiger Mann. Möge Gott dich beschützen.»
Seither hat sich viel verändert.
Seit Monaten erlebt der Iran die heftigsten Proteste seit 2009. Seit Monaten kämpfen Frauen und Männer im ganzen Land für eine Revolution.
Auch Saman beteiligte sich an der Protestbewegung. Nacht für Nacht habe er von den Sicherheitskräften abgefeuerte Tränengaskanister zurückgeworfen. Die Aktion war den Sicherheitskräften ein Dorn im Auge.
Gummischrot-Schuss direkt ins Auge
Als er sich in der zweiten Protestwoche nach dem Tod von Mahsa Amini mit dem Motorrad zu einem Protest in Madin Vari Asr, Teheran, aufmachte, schoss ihm ein Mitglied der Sicherheitskräfte aus nächster Entfernung ein Gummigeschoss direkt ins linke Auge. Ins Visier der Polizei, so glaubt Saman, geriet er nicht rein zufällig. «Der Polizist erkannte mich», sagt Saman gegenüber watson.
Trigger-Warnung: Verletztes Auge
Achtung! Dieses Bild zeigt ein blutüberströmtes Auge.
Mit einem stark verletzten Auge sei er ins nächste Krankenhaus gefahren, wo man sich erst geweigert habe, ihn zu behandeln. Aufgrund des kritischen Zustandes von Saman sei er in ein anderes Krankenhaus gebracht worden, wo er schliesslich doch operiert wurde.
«Ich bin einem Hirntod nur knapp entkommen.»
«Der Einsatz von Gummischrot aus nächster Nähe verletzte mein Auge so stark, dass es irreparabel beschädigt wurde. Doch nicht nur das. Der Schuss wirkte sich bis zu den Blutgefässen im Gehirn aus. Ich bin einem Hirntod nur knapp entkommen», sagt Saman.
Retten konnte man sein linkes Auge aber nicht mehr. Der Schuss aus kurzer Entfernung liess ihn auf einem Auge erblinden.
Im Spital erholen konnte sich Saman nicht. Zu gross war die Angst vor einem weiteren Angriff – schliesslich wurde er in einem von der Regierung geführten Krankenhaus behandelt.
Mit seiner Familie floh er aus dem Iran – und lebt nun im Exil.
Und er kämpft weiter. In den sozialen Medien, in Fernsehshows und in Interviews erzählt er seine Geschichte, die, wie er sagt, Hunderte von Iranerinnen und Iraner teilen. Dass iranische Sicherheitskräfte besonders hart gegen Protestierende vorgehen, bestätigen diverse Berichte.
Iran schafft Sittenpolizei ab – diese Nachricht ging am Wochenende um die Welt. Einige westliche Medien feierten die Meldung als einen Erfolg für die Protestbewegung. Regimekritiker sehen in der Ankündigung keinen Durchbruch.
Im Gegenteil. «Dies ist eine perfide Propagandaschlacht mit dem Ziel, Wahrheit und Lüge verschwimmen zu lassen», sagt Politikwissenschaftler Ario Mirzaie gegenüber MDR.
Auch Saman misst der Ankündigung keine Bedeutung zu: «Ob die Sittenpolizei nun abgeschafft wird oder nicht, ändert nichts daran, dass die Islamische Republik seit Jahren Menschen ermordet, foltert und vergewaltigt.» Die Protestierenden habe ohnehin eine ganz andere Mission:
«Die einzige Forderung des Volkes ist, die Islamische Republik zu beseitigen, nicht die Sittenpolizei.»
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Konstantin Jefremow war mehrere Jahre Offizier in der russischen Armee. Nach dem Angriffskrieg des Kremls in der Ukraine hatte er nach eigenen Angaben allerdings genug. Jefremow sagt, er habe mehrmals versucht, aus der Armee auszutreten. Schliesslich sei er gefeuert worden, weil er nicht in die Ukraine zurückkehren wollte.