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Du willst nur das Beste? Voilà:
Wladimir Putin griff zu einem grossen
historischen Vergleich. Während seiner Rede vor der UNO am Montag
schlug der russische Präsident eine internationale Koalition im
Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor. Als Vorbild
nannte er die Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg. Muslimische
Länder sollten dabei eine Hauptrolle spielen. Nach seinem Treffen
mit US-Präsident Barack Obama schloss Putin russische Luftangriffe
auf den IS nicht aus.
Für die Kämpfer des selbst ernannten «Kalifats» müsste dies eine furchterregende Perspektive sein.
Mächtige Freunde hat der IS keine, so gut wie alle Staaten sind
gegen ihn. Seit mehr als einem Jahr fliegt eine von den USA geführte
Koalition Luftangriffe gegen die Terrormiliz. Frankreich hat am
Wochenende ebenfalls seine Luftwaffe erstmals gegen den IS
eingesetzt.
Bewirkt haben die Luftschläge wenig.
Der IS kontrolliert im Irak und in Syrien ein Gebiet so
gross wie Grossbritannien. Warum sind die Dschihadisten trotz der
geballten internationalen Gegnerschaft nur schwer zu besiegen?
Mehrere Gründe sind dafür verantwortlich:
Der Irak ist geprägt durch die
Rivalität zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen
Minderheit, die unter Diktator Saddam Hussein das Land beherrschte.
Seit dem Abzug der US-Truppen 2011 hat sie sich
verschärft, viele Sunniten fühlen sich von den Schiiten
unterdrückt. Der sunnitische IS, der aus der Terrororganisation al-Kaida im Irak
hervorgegangen war, profitierte davon und und eroberte
weite Gebiete, darunter die Millionenstadt Mossul.
Die Rückeroberung kommt nicht voran.
Die irakische Armee verfügt über moderne US-Ausrüstung, ist aber
wenig motiviert und mehrfach vor den IS-Schergen davon gerannt. Die
Regierung in Bagdad und ihre «Schutzmacht» Iran setzen deshalb
auf schiitische Milizen, die bei den Sunniten oft mehr verhasst
sind als der IS. Eine geschlossene Front gegen das «Kalifat» existiert nicht, auch die Kurden im Norden des Landes führen ihren
Kampf weitgehend allein.
In Syrien tobt seit vier Jahren ein
brutaler Bürgerkrieg, der unzählige Menschen in die Flucht
getrieben hat. Der IS profitierte vom Chaos und riss sich ein grosses
Gebiet im Nordosten unter den Nagel. Die Stadt Rakka wurde zu einer
Art Hauptstadt des Kalifats. Zuletzt wurde die Stadt Palmyra mit
ihren antiken Ruinen erobert. Machthaber Baschar Assad will sich dem
Westen als Bollwerk gegen den IS andienen, in erster Linie aber
bekämpft er die gemässigteren Rebellen.
In den eroberten Gebieten hat der IS
rudimentäre staatliche Strukturen errichtet und damit einen Teil der
Bevölkerung auf seine Seite gezogen. Wer nicht spurt, muss mit
brutaler Vergeltung rechnen. Öffentliche Enthauptungen sind fast an
der Tagesordnung. Damit schüchtert die Terrormiliz die
Zivilbevölkerung und gegnerische Soldaten ein. Ihre Untaten
verbreitet sie via soziale Netzwerke und sorgt damit für Abscheu wie
auch Faszination bei potenziellen Kämpfern.
Rund 30'000 ausländische Kämpfer haben
sich der New York Times zufolge den Kopfabschneidern in Syrien und
im Irak angeschlossen. Die Türkei kontrolliert die wichtigsten
Verbindungsrouten ins IS-Gebiet inzwischen besser als früher.
Ausserdem häufen sich die Berichte über Deserteure, die sich
in den Dschihad locken liessen und stattdessen Gewalt, Korruption und
Entbehrungen vorfanden. Noch aber scheint der IS personell nicht
spürbar geschwächt zu sein.
Der Islamische Staat ist nicht einfach eine terroristische Gruppe, sondern eine effiziente Armee. «Ich habe noch nie so etwas Machtvolles wie den IS gesehen, diese Kombination aus Fanatismus und vorzüglicher militärischer Ausbildung», sagte der deutsche Publizist und IS-Kenner Jürgen Todenhöfer im Interview mit watson.
Der IS profitiert dabei vom Knowhow ehemaliger Offiziere des gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein. Sie wollen sich für ihre Entmachtung rächen und die verhassten Schiiten bekämpfen. Wichtigster Kopf war Izzat Ibrahim al-Duri, ein einstiger Vertrauter von Saddam. Er soll im April in der Nähe von Tikrit ums Leben gekommen sein.
Der Ölschmuggel ist durch Luftangriffe auf Förderanlagen stark eingebrochen. Dennoch verfügt der IS noch immer über Ressourcen, um seinen Staat zu finanzieren. Dazu gehören das Erheben von Steuern, Schutzgelderpressungen, Zölle, aber auch Versklavung und Zwangsprostitution. Ausserdem versucht die Terrormiliz, mit der Geiselnahme von Ausländern Lösegeld zu erpressen.
Über ihre finanzielle Lage gibt es widersprüchliche Angaben. Immer wieder tauchen Berichte auf, wonach der IS auch von reichen Geldgebern aus den Golfstaaten unterstützt wird.
Die Luftschläge der internationalen
Allianz haben die Eroberung der Stadt Kobane verhindert. Ansonsten
aber haben sie wenig Wirkung entfaltet. Der IS hat seine Taktik
angepasst. Er verschiebt seine Truppen nicht mehr im Konvoi, sondern
in kleinen Gruppen. Schweres Gerät wird nachts bewegt.
Ausserdem verschanzen sich die Dschihadisten in den Städten. Diese
werden kaum bombardiert, aus Furcht vor hohen Verlusten unter der
Zivilbevölkerung.
Den Einsatz von Bodentruppen schliessen
die USA und ihre Verbündeten kategorisch aus. Wladimir Putin
erklärte am Montag ebenfalls, von einem derartigen Engagement könne
«keine Rede sein». Und die
lokalen Streitkräfte und Milizen sind aus den oben erwähnten
Gründen nur bedingt in der Lage, den IS zu bekämpfen.
Der IS profitiert davon, dass seine
Gegner keineswegs geschlossen agieren. Jordanien und Libanon, die den
grössten Teil der Syrien-Flüchtlinge aufgenommen haben, wollen in
erster Linie nicht in den Konflikt hineingezogen werden. Die
öffentliche Verbrennung eines jordanischen Kampfpiloten hat diese
defensive Haltung nur kurz erschüttert. Die Türkei steckt mehr
Ressourcen in den Kampf gegen die kurdische PKK, sie wird als
grössere Bedrohung betrachtet als der IS.
Dubios ist die Rolle der Golfstaaten.
Saudi-Arabien behauptet, erst am Montag eine IS-Terrorzelle
ausgehoben zu haben. Ausserdem beteiligen sie sich an den
US-geführten Luftangriffen. Gleichzeitig bekämpft der IS mit Assad
und der irakischen Regierung zwei enge Verbündete des Iran, mit dem
Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Region ringt. «Die
wichtigste Lebensversicherung für den Islamischen Staat bleibt der
eskalierende Machtkampf zwischen dem Iran und Saudi-Arabien»,
schrieb die Wochenzeitung Die Zeit.
Die meisten Beobachter sind sich einig,
dass der IS nicht so schnell verschwinden wird, obwohl er auch unter
Muslimen überwiegend verhasst ist. An Vorschlägen zu seiner
Bekämpfung mangelt es nicht. Der CNN-Terrorexperte Peter Bergen hat
zehn Ideen formuliert. Dazu gehören Publizität für Deserteure,
damit sie von ihren Erfahrungen berichten, und Unterstützung für
muslimische Kleriker, die sich aktiv bemühen, jungen Menschen von
Dschihad-Phantasien abzubringen.
Deutlich ambitionierter sind die
Vorschläge von Jürgen Todehöfer in einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung. Der ehemalige CDU-Abgeordnete konnte als einer
von wenigen Westlern das IS-Gebiet besuchen, er hat darüber ein
Buch verfasst. Er fordert den Westen auf, «im Irak und in Syrien
eine Aussöhnung der bitter verfeindeten Volksgruppen zu erreichen».
Ausserdem soll er Saudi-Arabien und die Golfstaaten zwingen, «ihre
Unterstützung des Terrorismus mit Waffen und Geld zu beenden».
«Nur ein vereinter Irak und ein
vereintes Syrien können den IS in jene Hölle schicken, in die er
gehört», schreibt Todenhöfer. Dazu müsse auch Baschar Assad
eingebunden werden. Das sei bitter, aber Frieden in Syrien werde es
nur «mit dem bei seinen Gegnern so verhassten Diktator geben».
Auch Wladimir Putin hat vor der UNO diese Position bekräftigt. Sie
scheint im Westen zunehmend auf offene Ohren zu stossen.
Man mag sich über die Person Putin streiten, aber dumm ist er auf jeden Fall nicht.