Israel bekommt von den USA zunehmend Druck, im Gazastreifen mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen, schwört seinen Verbündeten aber zugleich auf einen noch sehr langen Krieg ein. US-Präsident Joe Biden sagte am Donnerstag (Ortszeit) an die Adresse Israels: «Ich möchte, dass sie sich darauf konzentrieren, wie sie das Leben von Zivilisten retten können. Sie sollen nicht aufhören, die Hamas zu verfolgen, sondern vorsichtiger sein». Bei einem Treffen mit dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, in Tel Aviv machte Israels Verteidigungsminister Joav Galant gleichwohl klar, der Krieg werde noch «mehr als ein paar Monate» dauern – bis die islamistische Hamas komplett zerstört sei.
Die Terrororganisation habe eine «unter- und oberirdische Infrastruktur errichtet, die nicht einfach zu zerstören» sei, sagte Galant zu Sullivan. Im Anschluss an das Treffen kam Sullivan mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sowie den restlichen Mitgliedern des Kriegskabinetts zusammen. Netanjahu bekräftigte dabei nach Angaben seines Büros, dass Israel den Krieg gegen die Hamas «bis zum absoluten Sieg» fortsetzen werde. Nach Sullivans Gesprächen erwartet die US-Regierung nun einen Übergang der israelischen Bodenoffensive mit «hoher Intensität» zu «gezielteren» Operationen.
Dies sei ein Thema für «irgendwann in der nahen Zukunft», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstag in Washington. «Ich möchte mich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt festlegen.» Man wolle der islamistischen Hamas auch nicht mitteilen, was in den den kommenden Wochen oder Monaten auf sie zukommen werde. Wie eine solche militärische Operation aussehen könnte, sagte Kirby nicht und verwies auf die israelische Regierung.
Was auf die Hamas zukommt, dazu gab ein israelischer Armeesprecher schon mal einen kleinen Einblick. «Wir haben neue Kampfmethoden, die wir einsetzen werden, um Terroristen zu töten», erklärte Daniel Hagari am Donnerstagabend. Die Terroristen der Hamas und insbesondere ihre Anführer versteckten sich in ihren Tunneln im Untergrund. «Wir werden eindringen, Sprengstoff an Orten anbringen, von denen wir wissen, dass die Terroristen sie häufig aufsuchen, und auf den richtigen Moment warten, um sie unterirdisch zu töten», sagte Hagari. «Die Terroristen werden im Untergrund nicht sicher sein.»
Israels Armee hat zudem laut US-Medienberichten die Flutung der Tunnel getestet. Dabei sei Meerwasser in einige Tunnel gepumpt worden, um herauszufinden, ob sich die Methode zur grossflächigen Zerstörung des Tunnelnetzwerks eigne. Wie die «Times of Israel» nun über die Tests berichtete, «scheinen sie erfolgreich gewesen zu sein». Die Tunnel erstrecken sich über viele Kilometer. Darin sollen sich laut Israel etliche Terroristen verstecken und auch Geiseln aus Israel festhalten. Um israelischen Bomben aus der Luft widerstehen zu können, reichen manche Tunnel Dutzende Meter unter die Erde. Viele Tunnel sind mit Sprengfallen versehen, um israelische Soldaten zu töten.
US-Sicherheitsberater Sullivan plant derweil am Freitagmorgen ein Treffen mit dem israelischen Präsidenten Izchak Herzog. Zudem will er laut einem US-Regierungsvertreter am selben Tag Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah treffen. Mit Blick auf das Ende des Krieges und die Zukunft des Gazastreifens sprach der US-Regierungsvertreter von einer «Reihe von Sicherheitskräften, die mit der Palästinensischen Autonomiebehörde verbunden» seien, sagte er US-Beamte. Diese könnten in den Monaten nach dem Krieg «eine Art Kern bilden». «Aber das ist etwas, was wir mit den Palästinensern und den Israelis und mit regionalen Partnern diskutieren», sagte er weiter.
Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Mehr als 1200 Menschen wurden dabei getötet und rund 240 Geiseln nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Nach jüngsten Angaben der Hamas wurden bisher rund 18'700 Menschen bei Angriffen im Gazastreifen getötet.
Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen war Israel zuletzt international immer mehr unter Druck geraten – auch aus den USA. Israel sorgt sich derweil weiter um die von der Hamas noch festgehaltenen Geiseln. Wie Israels Militär am Freitagmorgen mitteilte, wurde die Leiche einer weiteren Geisel geborgen. Der tote Körper sei nach Israel zurückgebracht und dort identifiziert worden. Demnach handelt es sich um einen 28 Jahre alten Mann. Zur Todesursache machte die Armee zunächst keine Angaben.
Die Armee hatte die Zahl der noch in Gaza festgehaltenen Menschen zuletzt mit 135 angegeben. Unklar ist, ob die seitdem für tot erklärten Geiseln dazu zählen. Israelische Soldaten haben seit Beginn des Gaza-Kriegs bereits mehrere Leichen im Gazastreifen geborgen. Im Rahmen eines Deals zwischen Israel und der Hamas waren kürzlich insgesamt 105 Geiseln freigelassen worden. Im Austausch entliess Israel 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen.
«Wir werden weiterhin alles – alles – tun, um alle Geiseln nach Hause zu bringen», sagte Armeesprecher Hagari. Israels Regierungschef Netanjahu forderte das Rote Kreuz auf, mehr Druck auszuüben, um Zugang zu Hamas-Geiseln zu erhalten. «Sie haben jede Möglichkeit, jedes Recht und jede Erwartung, öffentlichen Druck auf die Hamas auszuüben», sagte Netanjahu bei einem Treffen mit der Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric, in Tel Aviv. Dabei überreichte er ihr ein Paket mit Medikamenten und forderte das IKRK auf, «seine Aufgabe zu erfüllen und diese an die Geiseln in Gaza zu liefern».
US-Sicherheitsberater Sullivan will am Freitag mit dem israelischen Präsidenten Izchak Herzog zusammentreffen. Zudem will er am selben Tag auch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah zusammenkommen. UN-Hilfsorganisationen informieren derweil in Genf über die Lage im Gazastreifen. (sda/dpa)