Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron widersprochen und sieht die Verantwortung für das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen allein bei der dort herrschenden Hamas. «Während Israel alles in seiner Macht Stehende tut, um Zivilisten zu verschonen, und sie dazu aufruft, die Kampfgebiete zu verlassen, missbraucht die Hamas sie als menschliche Schutzschilde und tut alles dafür, um zu verhindern, dass sie in sicherere Gegenden gehen», schrieb Netanjahu am Samstag auf der Nachrichtenplattform X. Nach dem Massaker der islamistischen Hamas Anfang Oktober, bei dem nach neuen Angaben von israelischer Seite rund 1200 Menschen in Israel getötet wurden, gehen die Streitkräfte des Landes gegen Terrorgruppen im Gazastreifen vor.
Zuvor hatte Macron eine Waffenruhe gefordert. «Es werden Zivilisten, Babys, Frauen und alte Menschen bombardiert und getötet. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Zivilisten anzugreifen. Wir fordern Israel dazu auf, damit aufzuhören», sagte Macron in einem Interview des britischen Fernsehsenders BBC.
Seit Kriegsbeginn wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mehr als 11'000 Menschen getötet – die allermeisten davon seien palästinensische Zivilisten. Die Zahl der Verletzten wurde mit rund 27'500 angegeben, etwa 2700 Menschen gelten demnach als vermisst. Der Chef der Weltgesundhitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sagte vor dem UN-Sicherheitsrat, im Durchschnitt werde im Gazastreifen alle zehn Minuten ein Kind getötet.
Laut Netanjahu sollen die israelischen Streitkräfte nach dem Krieg die Kontrolle über den Gazastreifen haben. Das Militär werde «die Kontrolle über den Streifen behalten, wir werden sie nicht internationalen Kräften überlassen», sagte der Regierungschef Medienberichten zufolge bei einem Treffen mit Vertretern israelischer Grenzstädte. Zuvor hatte Netanjahu gesagt, Israel wolle nicht versuchen, den Gazastreifen zu erobern, zu regieren oder zu besetzen. Das dicht besiedelte Küstengebiet müsse aber entmilitarisiert, de-radikalisiert und wiederaufgebaut werden.
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock appellierte an die arabischen Golfstaaten, gemeinsam mit dem Westen an einer Friedenslösung für Israel und die Palästinensergebiete zu arbeiten. «Alle Menschen haben ein Interesse an Frieden und daran, in Würde zu leben», sagte die Grünen-Politikerin in Abu Dhabi. Der Hamas-Terror habe das Sicherheitsgefühl einer ganzen Region erschüttert.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel angesichts des Gaza-Kriegs Expansionismus vor. Israel versuche, «einen Staat aufzubauen, dessen Geschichte nur 75 Jahre zurückreicht und dessen Legitimität durch den eigenen Faschismus infrage gestellt wird», sagte er in Ankara. Israel habe sich bei der Staatsgründung 1948 «mit Gewalt das Land angeeignet, in dem das palästinensische Volk seit Tausenden von Jahren lebte», sagte Erdogan weiter. Der islamisch-konservative Politiker hat in der Vergangenheit immer wieder Partei für die Palästinenser ergriffen und Israel die Hauptschuld am seit Jahrzehnten währenden Nahost-Konflikt zugewiesen.
Wegen der schweren Bombardierungen, Zerstörungen und dem Mangel an medizinischem Material sind laut der Weltgesundheitsorganisation 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen ausser Betrieb. Auch die noch funktionierenden Kliniken liefen aufgrund von Material- und Strommangel nur im Notbetrieb. Sie hätten teils doppelt so viele Patienten wie Betten.
Bei dem Angriff der Hamas auf Israel wurden nach Angaben des israelischen Aussenministeriums am 7. Oktober nach neuen Erkenntnissen schätzungsweise 1200 Menschen ermordet. Bisher war die Zahl der Toten mit rund 1400 angegeben worden. Die Zahl könnte sich noch ändern, sagte ein Ministeriumssprecher - etwa wenn alle Leichen identifiziert worden seien.
Die deutsche Aussenministerin Baerbock führt am Samstag in Riad Gespräche mit dem Ministerpräsidenten und Aussenminister von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, sowie dem saudischen Aussenminister Faisal bin Farhan Al Saud. In der saudischen Hauptstadt kommt parallel auf Gesuch der Palästinenser auch die Arabische Liga zu einer Dringlichkeitssitzung zum Gaza-Krieg zusammen. In Israel will Baerbock zudem Aussenminister Eli Cohen und Oppositionsführer Jair Lapid treffen. Auch ein Gespräch mit einem Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde ist geplant. (saw/sda/dpa)