Wenn Finanzminister über künftige Einsparungen und Mehreinnahmen sprechen, bleiben sie meist im Allgemeinen, im Nebulösen. Nicht so Giancarlo Giorgetti. «Alle werden Opfer bringen müssen», verkündete der 57-jährige Finanzminister in diesen Tagen. Um dann am Mittwoch vor dem Parlament noch nachzulegen und präziser zu werden: Die Treibstoffzölle müssten erhöht, die amtlichen Werte der Immobilen nach oben angepasst, Profite stärker besteuert werden.
Des weiteren kündigte er für die Ministerien lineare Kürzungen an. «Alle müssen ihren gerechten Beitrag zur Gesundung der öffentlichen Finanzen leisten», betonte Giorgetti, der Mitglied der rechtspopulistischen Lega von Transportminister Matteo Salvini ist.
Giorgettis Ansagen sind von den Koalitionspartnern – Lega inklusive – ungnädig aufgenommen worden. Regierungschefin Meloni drehte umgehend ein Video für ihre Social-Media-Kanäle, in welchem sie beteuerte, dass unter ihr keine Steuern erhöht würden. «Das machen linke Regierungen. Wir dagegen senken die Steuern», erklärte Meloni.
Aussenminister Antonio Tajani, Chef der einstigen Berlusconi-Partei Forza Italia, kommentierte mit Blick auf die angekündigte Anpassung der amtlichen Werte, «dass das Eigenheim in Italien ohnehin schon zu stark von staatlichen Abgaben belastet» sei. Auch Lega-Chef Salvini betonte, dass Steuererhöhungen nicht infrage kämen.
In der Tat passt Giorgettis Forderung – Opfer bringen – schlecht zu dem rosigen Bild, das die Regierung vom Zustand der Nation zeichnet. Laut Meloni ist alles zum Besten bestellt: Die Wirtschaft wächst schneller als die der meisten anderen EU-Länder, die Arbeitslosigkeit ist so gering wie lange nicht mehr, die Zinsaufschläge für italienische Staatsschulden liegen tiefer als unter ihrem Vorgänger Mario Draghi.
Das stimmt zwar alles – nur ist das Bild nicht ganz vollständig: Letztes Jahr lag das Defizit des Staatshaushalts bei über 7 Prozent, die Schuldenlast beträgt fast drei Billionen Euro (EU-Rekord). Das kostet jährlich 100 Milliarden Euro an Zinsen – gleich viel wie die gesamten Bildungsausgaben. Und ab dem nächsten Jahr gelten wieder die europäischen Haushaltsregeln, die während der Pandemie ausgesetzt worden waren.
Für Italien bedeutet dies: Spätestens ab dem Jahr 2026 muss das Defizit unter 3 Prozent gedrückt und der Schuldenberg in den nächsten 7 Jahren deutlich abgebaut werden. Das heisst: Die von Giorgetti angekündigten Einschnitte und Abgabenerhöhungen werden in der einen oder anderen Form unausweichlich sein; zum Teil sind sie mit Brüssel auch längst vereinbart, etwa die Anpassung der amtlichen Werte. «Wenn die Regierung sagt, dass es keine neuen Steuern und Sparmassnahmen geben wird, dann lügt sie bewusst», betonte am Mittwoch der frühere Premier Matteo Renzi von der oppositionellen Mitte-Partei Italia Viva.
Das sieht auch Giorgetti so, obwohl er es natürlich nicht öffentlich sagen kann. Er ist einer der wenigen Minister in Melonis Kabinett, die neben Erfahrung auch grossen Sachverstand haben: Er war schon Wirtschaftsminister unter Mario Draghi gewesen und hatte wie dieser die Mailänder Elite-Universität Bocconi absolviert.
Die von Giorgetti angekündigten Abgaben- und Steuererhöhungen werden kommen, ob es den Koalitionspartnern passt oder nicht. Denn alle in der Regierung wissen, dass Giorgetti eher zurücktreten würde, als eine Massnahme mitzutragen, die er für haushaltpolitisch unverantwortlich hält. Den Rücktritt ihres besten Ministers will Giorgia Meloni aber auf keinen Fall riskieren – auch wenn er sich, wie in diesen Tagen, als Spielverderber aufführt. (aargauerzeitung.ch/lyn)