International
Italien

Italien schlägt angesichts horrender Schulden den Sparkurs ein

epa11454667 Italian Minister of Economy and Finance Giancarlo Giorgetti attends a press conference presenting the agreement between ITA Airways and Lufthansa, in Rome, Italy, 03 July 2024. The Europea ...
Bild: keystone

«Basta!» – Melonis bester Minister zieht angesichts horrender Schulden die Notbremse

Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti ist ein Rechtspolitiker – aber kein Populist. Und deshalb sagt er: Wir müssen sparen und die Einnahmen erhöhen. Giorgia Meloni ist entsetzt.
10.10.2024, 21:33
Dominik Straub, Rom / ch media
Mehr «International»

Wenn Finanzminister über künftige Einsparungen und Mehreinnahmen sprechen, bleiben sie meist im Allgemeinen, im Nebulösen. Nicht so Giancarlo Giorgetti. «Alle werden Opfer bringen müssen», verkündete der 57-jährige Finanzminister in diesen Tagen. Um dann am Mittwoch vor dem Parlament noch nachzulegen und präziser zu werden: Die Treibstoffzölle müssten erhöht, die amtlichen Werte der Immobilen nach oben angepasst, Profite stärker besteuert werden.

Des weiteren kündigte er für die Ministerien lineare Kürzungen an. «Alle müssen ihren gerechten Beitrag zur Gesundung der öffentlichen Finanzen leisten», betonte Giorgetti, der Mitglied der rechtspopulistischen Lega von Transportminister Matteo Salvini ist.

Giorgettis Ansagen sind von den Koalitionspartnern – Lega inklusive – ungnädig aufgenommen worden. Regierungschefin Meloni drehte umgehend ein Video für ihre Social-Media-Kanäle, in welchem sie beteuerte, dass unter ihr keine Steuern erhöht würden. «Das machen linke Regierungen. Wir dagegen senken die Steuern», erklärte Meloni.

Aussenminister Antonio Tajani, Chef der einstigen Berlusconi-Partei Forza Italia, kommentierte mit Blick auf die angekündigte Anpassung der amtlichen Werte, «dass das Eigenheim in Italien ohnehin schon zu stark von staatlichen Abgaben belastet» sei. Auch Lega-Chef Salvini betonte, dass Steuererhöhungen nicht infrage kämen.

Dreitausend Milliarden Euro Schulden

In der Tat passt Giorgettis Forderung – Opfer bringen – schlecht zu dem rosigen Bild, das die Regierung vom Zustand der Nation zeichnet. Laut Meloni ist alles zum Besten bestellt: Die Wirtschaft wächst schneller als die der meisten anderen EU-Länder, die Arbeitslosigkeit ist so gering wie lange nicht mehr, die Zinsaufschläge für italienische Staatsschulden liegen tiefer als unter ihrem Vorgänger Mario Draghi.

Das stimmt zwar alles – nur ist das Bild nicht ganz vollständig: Letztes Jahr lag das Defizit des Staatshaushalts bei über 7 Prozent, die Schuldenlast beträgt fast drei Billionen Euro (EU-Rekord). Das kostet jährlich 100 Milliarden Euro an Zinsen – gleich viel wie die gesamten Bildungsausgaben. Und ab dem nächsten Jahr gelten wieder die europäischen Haushaltsregeln, die während der Pandemie ausgesetzt worden waren.

Für Italien bedeutet dies: Spätestens ab dem Jahr 2026 muss das Defizit unter 3 Prozent gedrückt und der Schuldenberg in den nächsten 7 Jahren deutlich abgebaut werden. Das heisst: Die von Giorgetti angekündigten Einschnitte und Abgabenerhöhungen werden in der einen oder anderen Form unausweichlich sein; zum Teil sind sie mit Brüssel auch längst vereinbart, etwa die Anpassung der amtlichen Werte. «Wenn die Regierung sagt, dass es keine neuen Steuern und Sparmassnahmen geben wird, dann lügt sie bewusst», betonte am Mittwoch der frühere Premier Matteo Renzi von der oppositionellen Mitte-Partei Italia Viva.

Das sieht auch Giorgetti so, obwohl er es natürlich nicht öffentlich sagen kann. Er ist einer der wenigen Minister in Melonis Kabinett, die neben Erfahrung auch grossen Sachverstand haben: Er war schon Wirtschaftsminister unter Mario Draghi gewesen und hatte wie dieser die Mailänder Elite-Universität Bocconi absolviert.

Die von Giorgetti angekündigten Abgaben- und Steuererhöhungen werden kommen, ob es den Koalitionspartnern passt oder nicht. Denn alle in der Regierung wissen, dass Giorgetti eher zurücktreten würde, als eine Massnahme mitzutragen, die er für haushaltpolitisch unverantwortlich hält. Den Rücktritt ihres besten Ministers will Giorgia Meloni aber auf keinen Fall riskieren – auch wenn er sich, wie in diesen Tagen, als Spielverderber aufführt. (aargauerzeitung.ch/lyn)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
JBV
10.10.2024 22:19registriert September 2021
Die beiden Staaten mit dem grössten Defizit im Staatshaushalt in der EU sind aktuell Italien (7,4%) und Ungarn (6.7%). Beide Staaten von rechten Regierungen regiert und dabei wird doch immer linken Regierungen nachgesagt sie könnten nicht mit Geld umgehen...
9321
Melden
Zum Kommentar
avatar
Quaerentius
11.10.2024 00:08registriert Mai 2022
Trotz Mitgliedschaft bei der Salvini-Partei scheint der Mann neben Sachverstand und Erfahrung Rückgrat zu haben. Nicht gerade häufig bei Politikern jedweder Couleur!
552
Melden
Zum Kommentar
avatar
cabli
10.10.2024 22:57registriert März 2018
Würden in Italien alle ihre Steuern zahlen dann stünde das Land viel besser da.
566
Melden
Zum Kommentar
38
Nach Assads Sturz: Erdoğan ist der grosse Profiteur
Die Türkei und der Iran verfolgen in Syrien unterschiedliche Interessen. Einer von beiden dürfte von Assads Sturz stark profitieren.

Das Machtgefüge in Syrien hat sich grundlegend verändert, seit das Regime von Baschar al-Assad nicht mehr an der Macht ist. Das hat auch Folgen für die Türkei und den Iran. Die beiden Staaten verfolgen seit Jahren eigene Interessen in Syrien.

Zur Story