Wenn man Alicudi googelt, packt einen das Fernweh. Die westlichste der äolischen Inseln ragt als Hügel aus dem Tyrrhenischen Meer vor der Nordküste Siziliens. Die Bilder zeigen unzähligen Steintreppen und -Terrassen, welche die Insel erschliessen – herkömmliche Strassen gibt es kaum. Mediterrane Häuser schmiegen sich in die steilen Klippen, an den Stränden reihen sich die bunten Fischerboote aneinander.
Doch die Bevölkerung dieses malerischen Ortes hat ein grosses Problem: Die verwilderte Geissenpopulation auf der Insel hat mittlerweile das sechsfache der menschlichen Bevölkerung erreicht. Und auf einer Insel, die gerade einmal fünf Quadratkilometer gross ist, richten 600 Ziegen richtig viel Schaden an.
Gloria, die Besitzerin eines Cafés im Hafen von Alicudi, sagt gegenüber dem «Guardian»:
Dabei lebten die Ziegen einstmals friedlich im oberen Teil der Insel, wo sie sich geschickt in den steilen Klippen bewegten. Aber sie vermehrten sich in den vergangenen Jahren so schnell, dass sie ihren Lebensraum in bewohnte Gebiete ausdehnten. Dort schädigten sie die Gärten und stifteten Chaos, indem sie Teile von Steinmauern wegrissen oder sich auch mal in die Häuser vorwagten.
Der Bürgermeister der Stadt, Riccardo Gullo, hat mittlerweile genug von den meckernden Genossen – er hat einen Aufruf gestartet, um die Tiere loszuwerden.
«Wir ziehen es auf keinen Fall in Erwägung, die Tiere zu töten, deshalb wollen wir sie verschenken», sagt er gegenüber dem «Guardian». «Jeder kann einen Antrag für eine Ziege stellen, es muss kein Bauer sein und es gibt keine Mengenbeschränkungen.»
Doch: Wie und warum kamen die Geissen überhaupt auf die Insel? Alicudi ist immerhin eine rund dreistündige Bootsfahrt vom sizilianischen Festland entfernt – geschwommen sind die Tiere wohl nicht. Man geht davon aus, dass vor 20 Jahren erstmals Ziegen von jemandem nach Alicudi gebracht wurden, der die Tiere züchten wollte. Doch der Plan scheiterte und die Ziegen wurden sich selbst überlassen.
Dieses Schicksal ist nicht unüblich in der EU. Und nicht nur in Alicudi führt es zu Problemen. So schlug 2019 die griechische Insel Samothraki Alarm: Verwilderte Ziegen, die genau wie in Alicudi die Anzahl der Menschen überstiegen, grasten die Insel bis zur Erosion ab. Regenfälle schwemmten das Rathaus weg. Schlammlawinen gefährdeten die Bevölkerung. «Es gibt keine grossen Bäume mehr, um den Boden festzuhalten», sagte George Maskalidis, Aktivist einer örtlichen Umweltschutzgruppe damals gegenüber «Welt.de».
Befeuert wird das Problem von EU-Subventionen. Hirten und Bauern kauften sich billig Ziegen. Die Preise für Wolle, Leder und Milch sanken. Und die Bauern und Hirten mussten sich nach neuen Jobs umschauen, um zu überleben. Anstatt die Tiere zu schlachten, entliessen die Besitzer die Ziegen in die Wildnis, wo sie sich unkontrolliert vermehrten und mit ihrem Heisshunger ganze Landstriche befielen.
Kritiker verweisen darauf, dass die Subventionen der EU nicht überwacht worden seien und keine langfristigen Perspektiven gehabt hätten. Mittlerweile gibt es Initiativen, um die mancherorts ausgeartete Ziegenpopulation einzudämmen.
Bürgermeister Riccardo Gullo hofft, das Geissli-Problem auf unkonventionelle Art lösen zu können. (yam)