US-Präsident Joe Biden hat vor geschichtsträchtiger Kulisse an der nordfranzösischen Küste zum Kampf gegen Aggressoren und hasserfüllte Ideologie in der Heimat und im Ausland aufgerufen. Die Soldaten, die vor 80 Jahren unter dem Einsatz ihres Lebens die Strände der Normandie gestürmt hätten, erwarteten, dass die Freiheit auch heute geschützt werde, sagte Biden am Freitag bei Pointe du Hoc in der Normandie an seine Landsleute daheim gerichtet. «Sie bitten uns, unsere Aufgabe zu erfüllen, (...) die Demokratie zu verteidigen, der Aggression im Ausland und im eigenen Land entgegenzutreten, Teil von etwas zu sein, das grösser ist als wir selbst.»
Pointe du Hoc ist ein Küstenabschnitt in der Normandie, an dem vor 80 Jahren - am 6. Juni 1944 - alliierte Truppen gelandet waren. Der sogenannte D-Day markierte den Auftakt der Befreiung Frankreichs und Westeuropas von der Nazi-Herrschaft. Zur Streitmacht der Alliierten gehörten damals vor allem US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Polen und Franzosen.
Der Ort diente Biden nun als filmreife Kulisse: ein Pult im Wind, direkt an der Steilküste, nur wenige Meter hinter Biden fielen die Klippen steil ins Meer hinab, etwa 30 Meter tief. Biden scherzte, er bekomme Ärger mit dem Secret Service, wenn er näher an den Rand trete, um hinabzublicken. Überreste einer militärischen Festung und Bombenkrater erinnern an die dramatischen Szenen, die sich dort vor 80 Jahren abspielten.
Rund 225 amerikanische Soldaten hatten am D-Day den Auftrag, die kleine Landspitze Pointe du Hoc an der nordfranzösischen Steilküste einzunehmen. Biden erzählte, die Männer hätten sich damals mit Leitern, Seilen und zuletzt mit ihren blossen Händen die Klippen hochgekämpft. Viele von ihnen starben. Der US-Präsident rief seine eigenen Landsleute dazu auf, sich am Einsatz der amerikanischen D-Day-Kämpfer ein Beispiel zu nehmen.
Die US-Soldaten bei Pointe du Hoc hätten damals ihre Mission und ihr Land über sich selbst gestellt, mahnte Biden. «Glaubt irgendjemand, dass sie heute von jedem Amerikaner etwas anderes erwarten würden?» Die Männer seien aus allen Teilen der USA gekommen, vom Land, aus den Städten. «Die Geschichte hat gezeigt, dass gewöhnliche Amerikaner die aussergewöhnlichsten Dinge tun können.» Die Rede, die für Biden eine lange Anreise aus dem fast 300 Kilometer entfernten Paris erforderte, fiel am Ende vergleichsweise kurz aus und dauerte nicht mal zwölf Minuten.
Biden hatte bereits am Donnerstag eine Gedenkfeier zum D-Day auf einem nahegelegenen US-Militärfriedhof dazu genutzt, zur Verteidigung der Demokratie aufzurufen. Die dunklen Mächte, gegen die die D-Day-Soldaten vor 80 Jahren angekämpft hätten, gebe es noch heute, sagte er dort und nannte als Beispiel den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Auch in seiner Rede bei Pointe du Hoc verwies der US-Präsident auf den Krieg von Kremlchef Wladimir Putin gegen das Nachbarland - und beschwor internationale Allianzen gegen Autokratie. Mit Blick auf die D-Day-Kämpfer von Pointe du Hoc sagte Biden: «Zweifelt irgendjemand daran, dass sie wollen, dass Amerika heute hier in Europa gegen Putins Aggression auftritt?» Die Männer damals hätten die Strände der Normandie an der Seite ihrer Verbündeten gestürmt. Sie hätten sicher auch heute keinen «Alleingang Amerikas» für gut befunden.
Bei seiner Rede konzentrierte sich Biden nun vor allem auf das Publikum daheim und redete den Amerikanern ins Gewissen. Mit Blick auf die Kämpfer von Pointe du Hoc sagte er: «Zweifelt irgendjemand daran, dass sie Himmel und Erde in Bewegung setzen würden, um die hasserfüllten Ideologien von heute zu besiegen?» Der 81-Jährige mahnte: «Sie verlangen von uns, dass wir dem treu bleiben, wofür Amerika steht.» Es sei die Aufgabe der heutigen Generation, sicherzustellen, dass die Demokratie fortbestehe und die Seele der Nation weiterlebe.
Die «Rettung der Seele der Nation» - das hat sich Biden in seinem Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben. Seine Rede bei Pointe du Hoc war nicht Teil der offiziellen D-Day-Feierlichkeiten, sondern ein eigener Akzent des Demokraten, der bei der Präsidentenwahl im November für eine zweite Amtszeit antreten will. Auch wenn es sich um eine offizielle Ansprache des Präsidenten auf einer Auslandsreise handelt, lässt sich Bidens Appell schwer von seinem Wahlkampf trennen.
Der Demokrat hat den Kampf für Freiheit und Demokratie ins Zentrum seiner Wiederwahlkampagne gestellt - und sein Team versucht, wo immer es geht, in dieser Hinsicht einen dramatischen Kontrast zu Bidens Vorgänger, Donald Trump, herauszuarbeiten, der den Amtsinhaber bei der Wahl herausfordern will. Trump hat mehrfach bewiesen, dass er es mit Demokratie, Verfassung und Grundwerten nicht so genau nimmt. Trauriger Höhepunkt ist sein Versuch, gegen seine Niederlage gegen Biden bei der Präsidentenwahl 2020 anzukämpfen und den Wahlausgang umzukehren. Trumps Feldzug gegen den Wahlausgang gipfelte in der Erstürmung des US-Kapitols durch seine Anhänger am 6. Januar 2021.
Biden ist für einen mehrtägigen Besuch in Frankreich. Nach seinen Stationen in der Normandie wird er am Samstag in Paris vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron als Staatsgast empfangen. (hkl/sda/dpa)