Die Welt befindet sich in einem Ausnahmezustand: «Die Klima- und Umweltkrise ist die grösste Bedrohung, die die Menschheit je erlebt hat.»
Mit diesem Satz eröffnet Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg ihren Gastbeitrag im Online-Magazin The New Statesman. 20 der 21 wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1850 sind in diesem Jahrhundert zu verzeichnen. Die Zahl der Überschwemmungen weltweit ist seit 1950 um das 15-Fache gestiegen, die Zahl der Waldbrände um das Siebenfache.
Man gehe davon aus, schreibt Greta, dass bis zu fünf Millionen Menschen jährlich aufgrund der aussergewöhnlich heissen oder kalten Temperaturen sterben würden. «Die Natur wird verwüstet: Wir erleben ein rapides Artensterben und die Zerstörung ganzer Ökosysteme.»
We should abandon the illusion that politicians will come to the rescue of planet Earth, especially those who delight in calling themselves climate leaders. Time and again they have betrayed the faith that has been placed in them.
— Greta Thunberg (@GretaThunberg) October 19, 2022
I write in @NewStatesmanhttps://t.co/AI0cM0CqEN
Und das gelte nicht nur für die Generationen, die nach uns kämen – sondern auch für uns.
Im IPCC-Bericht hätten Forschende gewarnt, dass wir die 1,5-Grad-Marke bei den derzeitigen Emissionen noch binnen dieser Dekade reissen würden. Und das, betont Greta, sei der Punkt, an dem das Risiko einer unumkehrbaren Klimakatastrophe mit schwerwiegenden Folgen deutlich zunehme.
Und dennoch: «Die führenden Politiker der Welt leugnen die existenzielle Bedrohung, verzögern aktiv den Wandel und lenken die Wählerschaft ab», kritisiert Greta. «Anstatt sich zusammenzuschliessen, um die Krise zu bekämpfen, zersplittert die Weltgemeinschaft, während Kriege geführt werden und Grossmächte um die Kontrolle über knappe Ressourcen und Territorien kämpfen.»
Als Initiator der industriellen Revolution und brutaler Kolonisator trage Grossbritannien Greta zufolge eine besondere Verantwortung, in der Klimakrise eine moralische politische Führungsrolle zu übernehmen. Doch das passiere nicht, ganz im Gegenteil sogar. Die an diesem Donnerstag zurückgetretene Premierministerin Liz Truss hätte stattdessen «Wachstum, Wachstum, Wachstum» gefordert. «Aber was bedeutet das, wenn es die Wirtschaft gegen Mensch, Natur und Klima ausspielt?», fragt Greta.
Schon vor dem Amtsantritt der scheidenden Premierministerin Liz Truss seien die gesetzlich verankerten Verpflichtungen, um bis 2050 netto null Emissionen zu erreichen, «beängstigend unzureichend» gewesen, «aber die derzeitige Regierung scheint sie ganz und gar über Bord geworfen zu haben», schreibt Greta zum Zeitpunkt, als Truss noch nicht zurückgetreten war.
Wie viele weitere Länder auch, rechtfertigt Grossbritannien seine politischen Entscheidungen angesichts der «kriminellen Invasion» Russlands in die Ukraine mit der nationalen Sicherheit. «Aber nichts ist sicher in einer Welt, die von zunehmender Hitze, Feuer und Überschwemmungen heimgesucht wird», betont Greta. Vielmehr zeige der Krieg in der Ukraine, dass die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nicht nur zur Aufrechterhaltung autoritärer Regime beiträgt, sondern auch Expansionsbestrebungen von Moskau bis zum Golf finanziere.
Greta ergänzt:
Und trotz der Folgen der Klimakrise nehmen die weltweiten Treibhausgasemissionen weiter zu. Die Ölförderung steige rasant, die Energiekonzerne würden weiter «himmelhohe Gewinne» einfahren, während unzählige Menschen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten.
«Die notwendigen Veränderungen, um die schlimmsten Folgen zu vermeiden, sind nicht in Sicht», schreibt Greta. Schon heute, bei einer Erwärmung von «nur» 1,2 Grad, würden Menschen vertrieben und verlören ihr Leben und ihre Existenzgrundlage. Übersteigen wir aber die 1,5-Grad-Grenze, wie jüngste Studien zeigen, laufen wir Gefahr, irreversible Kipppunkte zu überschreiten, «die menschliches Leid in unvorstellbarem Ausmass nach sich ziehen werden».
Laut einem Bericht, der kürzlich im Magazin «Nature Sustainability» erschienen ist, waren die wohlhabendsten zehn Prozent der Weltbevölkerung für 48 Prozent aller im Jahr 2019 verursachten Emissionen verantwortlich. Unterdessen seien die untersten 50 Prozent lediglich für zwölf Prozent der Emissionen verantwortlich.
Das ist unfair.
Doch die Industrieländer schaffen es, wie Greta schreibt, nicht einmal, die 100 Milliarden Dollar bereitzustellen, die sie den ärmeren Ländern ab 2020 jährlich zur Unterstützung für Anpassungsmassnahmen aufgrund der Klimakrise versprochen hatten.
Greta ist masslos enttäuscht und sagt:
Doch auch wenn sich Greta manchmal wie ein «broken record» fühle (Anmerkung der Redaktion: eine kaputte Schallplatte), die immer und immer wieder das Gleiche wiederhole, dürften wir nicht verzweifeln. «Die Art und Weise, wie wir die Klima- und Umweltkrise betrachten und über sie sprechen, hat sich verändert.» Eine kritische Masse von vor allem jüngeren Menschen fordere einen Wandel, der das Zögern, Leugnen und die Selbstgefälligkeit der Politiker, die uns erst in diese Ausnahmesituation geführt hätten, nicht länger toleriere. «Ich glaube an die Demokratie und an die Kraft der kollektiven Weisheit», sagt Greta.
Noch sei es nicht zu spät. Und wir alle hätten die Pflicht, so vielen Menschen wie möglich dabei zu helfen, die katastrophale Lage zu verstehen. «Wir alle müssen mehr tun, um zu erklären, zu informieren und aufzuklären. Öffentlicher Druck kann einen tiefgreifenden Wandel bewirken.»
Die katholische Kirche hat mit Ablassbriefen damals immerhin Kathedralen gebaut, die heutigen Händler bauen damit einen grösseren Pool im eigenen Garten oder eine Rakete für den Mond.
In dieser Beziehung hat er, obwohl die Fossilen eigentlich seine Haupteinnahmequelle sind, mehr bewirkt als alle Klimastreiks und Proteste zusammen.
Erst Putin hat die Energiewende so richtig befeuert, so zynisch das jetzt klingen mag.