Künstlerinnen, Autoren und Filmleute überbieten sich gerade darin, mit offenen Briefen, Boykott- und Friedensaufrufen ihre Message zum neuen Nahostkrieg zu deponieren. Die Art, wie sie das tun, ist in einigen Fällen allerdings besorgniserregend.
Deshalb ist bereits eine Kontroverse im Gange, ob die Kulturschaffenden sich mit ihren oft erschreckend einseitigen Verlautbarungen selbst demontieren. «Die internationale Kunstwelt zerlegt sich beim Thema Naher Osten spektakulär», schreibt «Die Zeit». In der «Jüdischen Allgemeinen» wird das fiebrige neue Engagement der Kulturschaffenden eher sarkastisch kommentiert: «Der Kulturbetrieb findet seine Stimme wieder – leider».
Es begann mit einer grossen Manifestation auf verschiedenen Kunstplattformen, so auch im renommierten US-Magazin «Artforum»: In dem von 8000 Kunstschaffenden unterzeichneten offenen Brief kam ursprünglich der Terror der Hamas in Israel schlicht nicht vor, weder die Ermordung von 1400 Menschen noch die über 200 Geiselnahmen.
Hingegen gab es für die Unterzeichnenden, darunter die Philosophin Judith Butler und berühmte Künstlerinnen wie Nicole Eisenman oder Nan Goldin, «reichlich Beweise dafür, dass wir Zeugen eines sich ereignenden Genozids werden». Gemeint sind die vielen zivilen palästinensischen Opfer bei den Angriffen Israels gegen die Hamas. Immerhin fügten die Künstlerinnen und Künstler hinzu, man lehne «Gewalt gegen alle Zivilisten ab, unabhängig von deren Identität, und wir fordern ein Ende der Wurzeln der Gewalt: Unterdrückung und die Besetzung.»
Besetzung? Der Gazastreifen war in den letzten Jahren nominell gar nicht durch Israel besetzt. Der offene Brief im «Artforum» ist derart tendenziös einseitig abgefasst und missverständlich, dass sich der Begriff «Besetzung» auch auf das gesamte israelische Staatsgebiet beziehen könnte. Nach vereinzelten Entrüstungsstürmen fügten die Verfasser ein klärendes «Update» hinzu, in welchem sie beteuern, sie würden «die Abscheu angesichts des schrecklichen Massakers der Hamas» teilen. Trotzdem wurde der «Artforum»-Chefredaktor David Velasco gefeuert. Einzelne Künstler wie Peter Doig zogen ihre Unterschrift zurück.
Kein Wort zum Hamas-Terror gab es auch in anderen offenen Briefen, so im Brief der «Artists for Palestine UK», den Tausende unterschrieben, darunter die Schauspielerin Tilda Swinton, der Regisseur Mike Leigh oder der Musiker Robert Del Naja von Massive Attack.
Anders die Friedensbriefe von Kulturschaffenden in der Schweiz: Eine Gruppe von Filmleuten (darunter Stefan Haupt, Stina Werenfels, Patrick Frey, Katja Früh, Marcel Gisler oder Matthias von Gunten) verurteilen klar das Massaker der «islamo-faschistischen Hamas». Dennoch fordern sie einen sofortigen Waffenstillstand für Gaza und werben für die Friedensdemo am kommenden Donnerstag in Zürich.
So besonnen die Manifestation abgefasst ist, bleibt doch schleierhaft, wie genau die Schweizer Filmschaffenden sich einen Friedensprozess vorstellen. Wie sollen die Hamas-Terroristen nur mit Diplomatie und «ohne Gewalt» im Gazastreifen entwaffnet und ausgeschaltet werden, nachdem sie den Krieg durch ihren Angriff vom 7. Oktober doch gezielt provoziert haben?
Letztlich verharmlosen die Unterzeichnenden damit die Hamas, die sich ohne Gewalt sicher nicht vertreiben lässt. Andere Kulturschaffende sehen in der Terrorbewegung gar noch immer eine «dekoloniale Befreiungsbewegung», wie die deutsche Künstlerin Hito Steyerl im «Spiegel» beklagt.
Dennoch kann nicht von einer kollektiven Selbstdemontage der Kultur gesprochen werden. Es gibt auch selbstkritische Stimmen, die sich zu Wort melden. So ist in einem von den deutschen Autoren Björn Kuhligk und Markus Roloff lancierten offenen Brief davon die Rede, dass der Literaturbetrieb nach dem 7. Oktober in einem «an Bräsigkeit nicht zu überbietenden Schweigen» verharrte.
Die Verfasser reden nun aber Klartext:
Zu den über 1000 Unterzeichnenden dieses Briefes gehören neben der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auch die Schweizer Literaturpreisträger Christian Kracht und Sibylle Berg sowie andere hochkarätige Autoren wie Alain Claude Sulzer, Thomas Meyer oder Thea Dorn.
So unmissverständlich hat bis jetzt niemand zum Nahostkonflikt Stellung bezogen. Dieser offene Brief kommt endlich ohne fatale Ausblendungen oder politische Verharmlosungen aus und ist damit ein brauchbarer Ausgangspunkt der dringend nötigen weiteren Debatte.
Warum sollte irgendeine Berufsgruppe gefordert sein zu reagieren (mit Ausnahme der Politiker natürlich)?
Aber ich danke den Künstlerinnen und Künstlern, die - ungeachtet dessen, was da einige Möchtegern-Vordenkerinnen und -Vordenker vorzugeben versuchen, ihre freie Meinung kundtun.
Denn auch wenn es nicht meine Meinung ist, so gilt es zu anerkennen, dass es dazu auch andere Meinungen geben kann.
Es kann nicht angehen, dass gewisse Leute den Eindruck haben, sie seien es, nach deren Meinung man leben soll.