Während sich gerade weltweit in den über 1200 Bikram-Yoga-Studios Menschen in Bikini und kurzen Hosen bei 40 Grad in Yogaposen biegen, geht ein Netflix-Dokumentarfilm durch die Decke. Er handelt vom vermeintlichen Gründer dieses sogenannten Bikram-Yogas – dem Yogastil, bei dem man in glühender Hitze exakt 26 Yogaposen und zwei Atemübungen macht. Der Film zeigt, wie Bikram Choudhury über Jahre Millionen anhäufte, Frauen missbrauchte und die Yogi-Welt zum Narren machte. Die ganze Geschichte in fünf Punkten:
Der in Indien geborene, selbsternannte Yoga-Guru Bikram Choudhury reiste in den 70er-Jahren nach Los Angeles, um die Leute mit seinem Yogastil von jeglichen körperlichen Beschwerden zu befreien, wie er es einst erklärte. Er wurde schnell populär und löste einen regelrechten Yoga-Boom aus. Alle wollten wissen, was es mit dem Hype um den Yogi mit gebrochenem Englisch auf sich hat. Sie luden ihn in TV-Shows ein und besuchten seine Yogastunden.
Die Teilnehmenden waren hin und weg vom «gottähnlichen» Yoga-Guru. Leute mit Hüft-, Wirbelsäulen- oder Übergewichtsproblemen berichteten, wie sie dank dem Bikram-Yoga geheilt werden konnten. Er sähe in ihren Körpern ein Potenzial, das sie selber nicht erkannten. Schaute er ihnen in die Augen, hätten sie das Gefühl, er würde mit der Seele sprechen.
Später gründete er das Bikram Yoga College of India und bot eine Ausbildung zum Bikram-Yogalehrer an. Die Leute strömten von weltweit in das Studio – über 60 Leute seien jeweils in einem Saal gewesen. Wenn er diesen betrat, klatschten und kreischten die Teilnehmenden. Zuvorderst sass Bikram erhöht auf einem Sessel. Die langen Haare zu einem Dutt zusammengebunden, schwarze, knappe Badehosen und später stets mit seiner goldenen Rolex-Uhr am Handgelenk. Während sich seine Schülerinnen und Schüler klatschnass schwitzten, liess er sich jeweils von einer Klimaanlage auf seinem Sessel kühlen.
Die Zahl der Bikram-Schülerinnen und -Schüler nahm exponentiell zu. Und der Beverly-Hills-Yogi, wie man ihn mit der Zeit nannte, gehörte langsam zu den Stars von Hollywood. Bikram posierte vor seinen glänzenden Oldtimern, Ferraris, Bentleys und Villen, kleidete sich mit Pelzjacken und Sonnenbrillen, trat in Glitzeranzügen auf.
Doch wie schaffte er es, so viel Geld mit Yoga-Unterricht zu verdienen? Sein System war ausgeklügelt und versprach, ihm ständigen Geldfluss zu garantieren. Denn es konnte nur ein lizenziertes Birkam-Yogastudio eröffnen, wer die Ausbildung bei ihm absolvierte. Er habe sogar dafür gesorgt, dass man ohne seine Genehmigung den Mietvertrag nicht erhält – denn den Bikram-Namen liess er patentieren.
Die neunwöchige Bikram-Yogalehrerausbildung fand später nicht mehr nur in kleinen Räumen statt, sondern er mietete ganze Hotelanlagen dafür. Er selbst hauste in der Präsidentensuite. Bis zu 500 Leute standen aufgereiht im Saal und gehorchten den Anweisungen ihres Meisters. Während der Ausbildungsdauer war es ihnen nicht erlaubt, die Anlage zu verlassen. Die Teilnahmegebühr pro Person: 10'000 Dollar. Eine Investition, von welcher die Auszubildenden sich grossen Erfolg versprachen. Schliesslich wollten auch diese von der grossen Nachfrage und dem Yoga-Boom profitieren und mit einem eigenen Studio viel Geld verdienen.
Heute schätzt man sein Imperium auf 100 Millionen Dollar.
Im Netflix-Film werden immer wieder TV-Interviewsequenzen eingeblendet. In diesen erzählt er davon, dass er in Indien Gewichtsheber war und 1964 an der Olympiade in Tokyo teilnehmen wollte, doch dann sei ihm die Gewichtsstange mit einem Gewicht von 210 Kilogramm auf die Beine gefallen. Alles sei zersplittert und kaputt gegangen. Deshalb habe er den indischen Yogi Bishnu Charan Ghosh aufgesucht und sich von ihm durch Yogatherapie heilen lassen. Er war so begeistert, dass er «alle Beine und Knien der Welt in Ordnung bringen wollte». In Indien habe er dreimal hintereinander die Yogameisterschaft gewonnen und weil er so ungeschlagen schien, hätten ihn die Organisatoren vom Wettbewerb verbannt.
Also kreierte er den Bikram-Yogastil und wanderte in die USA aus. Dort habe er den Präsidenten Nixon von seiner Arthritis-Erkrankung geheilt und deshalb die Green Card bekommen.
In den USA schien all das niemand zu hinterfragen. Keiner ging den erzählten Geschichten nach. Stattdessen lobten ihn die Yoga-Begeisterten in den Himmel und feierten ihren «Bad-Boy-Yogi».
Als er 2013 in die Negativschlagzeilen geriet, rief seine Geschichte eine indische Journalistin auf den Plan. Sie ging seinen Erzählungen auf den Grund und merkte schnell: praktisch alles, was er behauptete, stimmte nicht. Zu der Zeit, als er die indische Yogameisterschaft bestreiten und gewonnen haben soll, gab es noch gar keinen nationalen Yoga-Wettkampf. Ausserdem war er zu dieser Zeit noch Bodybuilder und machte Stuntshows.
Doch es kam noch dicker: Seine Yogatechnik mit den 26 Posen und zwei Atemübungen bei 40 Grad soll gar nicht von ihm stammen. Die Journalistin stiess auf einen Inder, der bei dem selben Yogi-Meister wie Bikram war, dem mittlerweile verstorbenen Yoga-Star Bishnu Ghosh. Dieser soll das Lehrbuch «Yoga-Cure» veröffentlicht haben. Darin sind exakt dieselben Yoga-Posen abgebildet, die Bikram als seine eigenen ausgibt.
Auch, dass er Präsident Nixon heilte und im Gegenzug in den USA bleiben durfte, war erfunden. Bei Gerichtsverhandlungen kam heraus, dass er nie mit ihm in Kontakt stand.
So begeisternd und euphorisierend Bikram sein konnte, so infernalisch und bösartig war er zugleich. Ein ehemaliger Teilnehmer seiner Ausbildung erzählt im Dokumentarfilm, dass ihnen vor dem Kurs immer gesagt wurde, sie sollen ausreichend trinken und essen. Während der Yogalektion rief Bikram jeweils «the best food is ...» und die Teilnehmer mussten «... no food!» zurückrufen. Ausserdem soll er jeweils gesagt haben, sie sollten ihre «Schwänze abbinden und sich Korken in die Muschi stecken», denn es sei verboten, während des Kurses auf die Toilette zu gehen. Also begannen die Teilnehmenden, ihn Trinkflaschen zu urinieren. Eine Teilnehmerin, die damals für die medizinische Versorgung während der neunwöchigen Ausbildung zuständig war, erzählt in der Netflix-Doku ausserdem von infizierten Atemwegen, Dehydration, Schlafentzug, Ohnmacht.
Sein bipolares Verhalten zeigte sich auch darin, dass er die Teilnehmenden regelmässig anschrie. Eine Videoaufnahme aus dem Übungssaal zeigt, wie er neben einer Teilnehmerin steht und sagt «Runter! Runter! Warum schaffst du es nicht? Du Schlampe! Du Pfeife!» Auch vor anderen sexuellen Beleidigungen gegenüber Frauen scheute er sich nicht: «Frauen sind Schlampen und Huren. Sie sind hier, um ihre Beine zu spreizen», soll er gesagt haben. Auch Rassismus verübte der gebürtige Inder. Eine Frau erzählt, dass er über sie gesagt habe: «Bringt diese schwarze Schlampe raus, sie ist ein Krebsgeschwür.»
Doch bei Beleidigungen blieb es nicht. Jeweils mitten in der Nacht rief er einzelne Frauen zu sich. Sie sollten mit ihm einen Bollywood Film schauen und ihn massieren. Zuerst die Hände, Füsse, den Nacken – und dann forderte er sie auf, ihn zwischen seinen Beinen zu massieren. Einer Teilnehmerin versperrte er den Ausgang, als sie gehen wollte, drückte sie gegen die Tür, küsste und begrapschte sie. Ihr gelang die Flucht. Danach wollte sie das Programm abbrechen, doch er versicherte ihr, dass das nicht mehr vorkommen würde. Das versprach er allen, die er sexuell nötigte und bedrängte.
Bei einer Teilnehmerin soll er noch weiter gegangen sein. Sie lebte eine Zeit lang bei ihm im Haus, zusammen mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern. Als diese schliefen, versuchte er sie eines Abend zu küssen. Sie stiess ihn zurück und machte ihm klar, dass sie das nicht wollte. Er entschuldigte sich und riss sie kurz darauf in die Küche, wo er sie vergewaltigt haben soll. Danach ging sie im Gästezimmer schlafen und tat so, als sei das nie geschehen. Ihre ganze Existenz sei vom Bikram-Yoga abhängig gewesen, denn sie wollte unbedingt ein eigenes Studio eröffnen. Als sich später eine der Teilnehmerinnen öffentlich äusserte, dass er sie sexuell genötigt hat, wusste sie, dass sie nicht sein einziges Opfer war.
Insgesamt sechs Frauen zeigten ihn wegen sexuellem Missbrauch an. Doch beim Verhör verweigerte er seine Aussage. Es kam weder zu einer Gerichtsverhandlung, noch zu einer Verurteilung.
Seine Rechtsberaterin wollte den Vorwürfen aber nachgehen. Als er von ihrem Vorhaben Wind bekam, bestellte er sie zu sich ins Hotelzimmer und verlangte von ihr, dass sie zu ihm ins Bett stieg und ihn massiert. Er machte ihr klar, dass sie ihr Vorhaben stoppen soll. Als sie sich das nicht bieten lassen wollte, drohte er ihr und entliess sie schliesslich.
Daraufhin zeigte sie ihn wegen Geschlechtsdiskriminierung, unrechtmässiger Kündigung und sexueller Belästigung an. Obwohl er immer wieder versuchte, den Prozess hinauszuzögern, bekam sie in allen Anklagepunkten recht. Er wurde zu 7,5 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt. Bis heute hat sie noch keinen Cent davon gesehen. Nach dem Prozess setzte er sich nach Thailand ab und tauchte unter. In den USA wird er weder strafrechtlich verfolgt, noch wurde ein Auslieferungsbefehl gegen ihn ausgestellt.
Wo sich Bikram Choudhury niedergelassen hat, weiss niemand. Seit der Verurteilung hat er jedoch weiterhin Birkam-Yoga-Ausbildungen weltweit angeboten, zuletzt in Spanien. Trotz den inzwischen öffentlich gewordenen Vorwürfen war der Kurssaal noch immer voll.
Der Netflixfilm hat rund um den Globus hohe Wellen geschlagen. Davon bekam auch der «allmächtige» Yogi-Meister mit und liess von seinem Sprecher ausrichten: «Bikram Choudhury weist die im Film erhobenen Vorwürfe von sexuellem Missbrauch und Belästigung entschieden zurück und ist tief betroffen von der anhaltenden Diffamierung seines Charakters.» Gleichzeitig ist er aber auch überzeugt, dass die Netflix-Doku dem Birkam-Yoga zu einem Comeback verholfen habe.
Daran ist zu zweifeln, inzwischen gibt es zahlreiche Bikram-Yogis, die seit der Veröffentlichung der Vorwürfe ihr Studio zu «Hot Yoga» umbenannt haben und sich von ihrem ehemaligen Lehrer distanzierten.