Zwei Israelis erzählen vom 7. Oktober und ihren Hoffnungen und Gedanken für die Zukunft
Am 7. Oktober 2023 änderte sich das Leben aller Einwohner Israels und Gazas. Die palästinensische Terrororganisation Hamas griff Israel mit Raketen über Luft und Terroristen am Boden an. Israel antwortet mit der vollständigen Besetzung und dem Angriff auf Gaza.
Die «NZZ» hat mit zwei Männern gesprochen, die den 7. Oktober damals vor Ort miterlebt haben und ihre Erinnerungen teilen. Ihre Hoffnungen für die Zukunft könnten unterschiedlicher nicht sein.
Itay Shabi
Itay Shabi ist aus Kibbuz Beeri, einer Stadt, die rund fünf Kilometer von der Grenze zu Gaza entfernt liegt. In seinem Hosenbund steckt eine Pistole, als er das Haus betritt, in dem er am 7. Oktober mit seiner Familie war, wie die Zeitung schreibt. Seit dem 7. Oktober vor zwei Jahren trägt er sie immer auf sich.
Die Hamas-Kämpfer hätten die Tür zu seinem Haus aufgebrochen und seien hineingestürmt. Shabi, seine Frau und deren Zwillinge hätten sich im Schutzraum versteckt, bis die Kämpfer einen brennenden Reifen vor das Belüftungsrohr gelegt hätten und die Familie damit ins Freie trieben.
Sie hätten sich daraufhin hinter einer Palme im Garten versteckt – rund fünf Stunden lang. Shabi sagt heute, er halte es für ein Wunder, dass sie nicht entdeckt wurden. Sie hätten sich später im nahegelegenen Wald verborgen. Dort verbrachten sie auch die Nacht, bis sie wieder Hebräisch hörten – die israelische Armee traf ein. Er sagt:
Shabi habe Albträume vom Oktobertag vor zwei Jahren. Seine Kinder würden immer noch fragen, ob die Terroristen wiederkämen. Seinen Job musste er aufgeben. Er war Fahrer für eine Druckerei, doch mittlerweile könne er nicht mehr so lange im Auto mit seinen Gedanken alleine sein.
Heute helfe Shabi beim Wiederaufbau des Kibbuz'. Bei der Renovation aller Häuser, die am 7. Oktober zerstört wurden. Obwohl er den Wiederaufbau leite, wisse er nicht, ob er selbst jemals zurückkehren würde.
Seine Familie und er wollen erst zurückkehren, wenn «die» auf der anderen Seite weg sind. Mit «die» meine er die Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern in Gaza. Shabi meint, es gäbe keine Unschuldigen in Gaza, auch die Kinder seien es nicht, denn sie würden von Geburt an mit der Kultur des Terrors aufwachsen.
Shabi ist überzeugt, dass der Krieg in Gaza nicht mit der Zerschlagung der Hamas enden dürfe:
Jede Explosion aus Gaza, die Shabi höre, mache ihn glücklich. Er stellt klar, dass er keine Menschen töten wolle. Er wolle nur, dass sie nicht mehr in Gaza seien, die Palästinenser sollen hunderte Kilometer weit weg.
Früher sei Shabi überzeugt gewesen, dass nur ein Friedensschluss Israels Zukunft gewährleisten würde. Seit dem 7. Oktober 2023 habe er eine andere Ansicht. Er finde, man solle aus dem Gaza-Streifen den Nova-Streifen machen, in Erinnerung an die Israelis, die am Nova-Festival ermordet wurden.
Amir Tibon
Nur rund 800 Meter von der Grenze zu Gaza und 10 Kilometer nördlich von Shabis Heimatsort liegt Nahal Oz. Es wirke, als sei in Nahal Oz und in Amir Tibons Leben bereits die Normalität zurückgekehrt, schreibt die NZZ.
Amir Tibon sagt gegenüber der Zeitung, dass er nicht viel über den 7. Oktober 2023 nachdenke. Er denke lieber an die Zukunft. Tibon arbeitet für die linke israelische Tageszeitung «Haaretz». An jenem Tag habe er sich mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern im Schutzraum versteckt.
Gerettet wurde die Familie damals von Tibons Vater. Dieser war pensionierter General der israelischen Armee. Er hätte schnell verstanden, dass die israelische Armee überfordert gewesen sei und fuhr von Tel Aviv zu seinem Sohn, um dessen Familie zu evakuieren. Tibon und seine Familie leben mittlerweile im Norden Israels. Doch er möchte zurückkehren. Dies wolle er jedoch erst, wenn der Krieg vorbei ist. Er wolle seine Kinder nicht an einem Ort grossziehen, wo noch immer Maschinengewehrfeuer zu hören sei.
Wenn Trumps Friedensplan jedoch ganz oder teilweise umgesetzt werde, wolle er zurückkehren.
Anfangs habe Tibon den Krieg unterstützt, sagt er. Irgendwann habe er jedoch angefangen, daran zu zweifeln. Er sei auf die Hamas-Terroristen wütend gewesen, sie hätten seine Nachbarn und Freunde umgebracht. Doch er begann zu hinterfragen, was der Krieg noch bringe.
Er habe nie daran geglaubt, dass Gaza und mehrere Millionen Palästinenser einfach so verschwinden könnten. Für ihn sei es egal, wie der Krieg endet, Hauptsache er endet:
Amir Tibon glaubt an eine Zukunft, in der Israelis und Palästinenser neben- und miteinander leben können. Doch um dies zu erreichen, sagt Tibon, müssen sich alle die Frage stellen, wie man mit den Palästinensern und der eigenen Identität umgehe. Er glaubt, dass die Israelis bei den nächsten Wahlen im Herbst 2026 entscheiden, welcher jüdische Staat aus den Ruinen rund um Gaza entsteht. (nib)