Vergangenen Donnerstag hat Pakistan den Notstand ausgerufen. Im südasiatische Land mit seinen rund 220 Millionen Einwohnenden regnet es seit Mitte Juni beinah ununterbrochen. Der Monsunregen kam dieses Jahr ungewöhnlich früh.
Besonders stark betroffen ist die Region Belutschistan im Südwesten. Doch auch der Nordwesten Pakistans hat wegen der Fluten mit grossen Schäden zu kämpfen.
«Die Flut ist noch zerstörerischer, als wir es 2010 erlebt haben», sagt Jawad Ali. Er ist der stellvertretende Länderdirektor der Entwicklungsorganisation Helvetas und in Islamabad stationiert. Vor zwölf Jahren habe sich das Wasser in den Bergen angesammelt und die tieferliegenden Gebiete im Süden überflutet. «Dieses Mal ist der Süden bereits vom vielen Monsunregen überflutet. Und jetzt kommen die Fluten aus den Bergen hinzu», sagt Ali.
2010 verwüstete die Flut einen Fünftel des Landes. Das ist eine Fläche fast so gross wie die Schweiz. Heuer sollen sich die Fluten bereits noch weiter ausgedehnt haben.
Das sagt die pakistanische Klimaministerin Sherry Rehman. Die Fluten würden «jede Grenze und jede Norm, die wir in Vergangenheit gesehen haben, überschreiten», sagte Rehman gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Pakistan wird hart vom Klimawandel getroffen. Gemäss der deutschen Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch belegt es Platz acht der Länder, die durch Extremwetterereignisse am meisten bedroht sind. Die ersten drei Plätze belegen Puerto Rico, Honduras und Myanmar.
Der Monsunregen wird auch in Zukunft immer wieder zu Extremwetterereignissen führen. Darauf deutet eine Studie hin, die 2021 im Journal Sciences Advances publiziert wurde. Die steigenden Durchschnittstemperaturen führen dazu, dass mehr Energie im Klimasystem zur Verfügung steht und so extreme Ereignisse ermöglicht.
Die Konsequenzen dieser Ereignisse tragen die Menschen vor Ort.
Eine halbe Million Menschen haben gemäss dem Sprecher des UN-Nothilfebüros ihr Dach über dem Kopf verloren.
Laut dem UN-Nothilfekoordinator waren 2010 mehr als 14 Millionen Menschen von den Überschwemmungen betroffen. Auch diese Zahl könnte 2022 geknackt werden. Damit wären 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Pakistans von den Fluten betroffen.
Gemäss Medienberichten kamen mehr als 1100 Menschen ums Leben. «Es waren überwiegend Männer, die den Fluten zum Opfer fielen», sagt Jawad Ali von Helvetas. Viele hätten versucht, ihre Familien vor den Fluten zu bewahren. Anders als 2010 sei die Warnung vor den Fluten aber früher gekommen. «Das hat noch weitere Tote verhindert», sagt Ali.
Dennoch zähle aktuell das nackte Überleben. Ali und das Helvetas-Team leisten Hilfe vor Ort. «Viele haben sich während der Flucht verletzt und benötigen medizinische Versorgung», so Ali zu watson. Doch es fehle in erster Linie an Trinkwasser, Lebensmitteln und Obdach.
Die Güter zu den Menschen zu bringen, sei jedoch eine Herausforderung, so Ali weiter. Denn:
Die Menschen mit Gütern zu versorgen, ist gar nicht so einfach. Die Regierung und das Militär helfe mit Helikoptern und Booten vor Ort, sagt Ali.
Auch das Helvetas-Team konnte bisher rund 2000 Familien mit den nötigsten Gütern versorgen. Zudem konnten genügend Wasser für 10'000 Menschen für einen Monat bereitgestellt werden. Doch Zeit aufzuatmen, habe man nicht. Ali macht sich Sorgen, um die Hygiene. Vielerorts ist das Trinkwasser kontaminiert. Viele Menschen befinden sich derzeit zusammengepfercht auf engstem Raum. Ein idealer Nährboden für Krankheiten, die sich ausbreiten könnten. Zudem ist ein Ende des Regens nicht in Sicht.
Etwas gibt Ali aber Hoffnung. Am Dienstag rief die UNO Pakistan einem ersten Hilfspaket im Umfang von 160 Millionen Dollar auf. «Die internationale Gemeinschaft muss jetzt zusammenstehen», sagt Ali.
Bilawal Bhutto Zardari, der pakistanische Aussenminister griff am Dienstag vor der UN in Genf zu harschen Tönen. «Die Katastrophe ist in ihrem Ausmass und ihrer Verwüstung kolossal und hat sowohl unsere Ressourcen als auch unsere Kapazität überstiegen», so Zardari. Und fügte an: «Pakistan ist zum ‹Ground Zero› der grössten existenziellen Bedrohung dieses Jahrhunderts geworden – der globalen Erwärmung», sagte er.